Umfragen Der Mythos der wachsenden Klimaskepsis

Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Klimaforschung ist erschüttert - das zumindest scheinen die Umfragen der vergangenen Monate zu zeigen. Eine neue Erhebung besagt nun das Gegenteil - und ihr Autor übt scharfe Kritik an unsauber ausgeführten und falsch interpretierten Untersuchungen.
Protest für mehr Klimaschutz: Ist das Vertrauen in die Wissenschaft wirklich erschüttert?

Protest für mehr Klimaschutz: Ist das Vertrauen in die Wissenschaft wirklich erschüttert?

Foto: Binsar Bakkara/ ASSOCIATED PRESS

Erst die Affäre um gestohlene E-Mails von Klimaforschern, dann das Desaster des Gipfels von Kopenhagen, und anschließend das Bekanntwerden von Fehlern im letzten Bericht des Uno-Klimarats IPCC: Seit einem halben Jahr scheint sich alles gegen die Klimaforschung verschworen zu haben. Die Reaktion der Meinungsforscher ließ nicht lange auf sich warten: Mehrere Umfragen schienen zu belegen, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft schwer erschüttert ist. Insbesondere in Großbritannien und den USA schien die Überzeugung um sich zu greifen, der Klimawandel habe nichts mit menschlicher Aktivität zu tun - falls er überhaupt existiere.

Jetzt aber hat eine Umfrage das genaue Gegenteil ergeben - und ihr Autor, der Stanford-Professor Jon Krosnick, übt bei dieser Gelegenheit teils scharfe Kritik an seinen Kollegen. Viele der Umfragen, die ein Schwinden der Sorge vor der Erwärmung konstatiert hätten, seien unsauber durchgeführt oder falsch interpretiert worden, schreibt Krosnick in einem Beitrag für die "New York Times".

Krosnick hat, finanziert durch die National Science Foundation der USA, in der ersten Juniwoche 1000 repräsentativ ausgewählte Amerikaner per Telefon befragen lassen. Die Ergebnisse:

  • 74 Prozent glauben, dass die Durchschnittstemperatur der Erde in den vergangenen 100 Jahren gestiegen ist. 75 Prozent dieser Personen sagten, der Mensch sei maßgeblich dafür verantwortlich.
  • 71 Prozent sagten, dass sie den Wissenschaftlern mittelmäßig, sehr oder vollständig vertrauten.
  • 86 Prozent wollen, dass die US-Regierung die Luftverschmutzung durch die Industrie begrenzt.
  • 78 Prozent sind gegen höhere Steuern auf Stromverbrauch und 72 Prozent gegen mehr Abgaben auf Benzin, dafür aber befürworten 84 Prozent Steuererleichterungen für regenerative Energien. Ähnlich große Mehrheiten befürworten Steuererleichterungen für sparsamere Autos (81 Prozent), Strom sparende Geräte (80 Prozent) sowie energieeffiziente Wohnungen und Bürogebäude (80 Prozent).
  • Nur 14 Prozent sind der Meinung, dass die USA keine Maßnahmen gegen den Klimawandel einleiten sollten, solange andere große Nationen wie China und Indien dies nicht auch tun.

Diese Ergebnisse stehen auf den ersten Blick in eklatantem Widerspruch zu anderen Umfragen der vergangenen Monaten. So meldete der Pew Research Center im Oktober 2009 , dass nur noch 57 Prozent der Amerikaner an handfeste Beweise für einen globalen Temperaturanstieg glaubten.

Ein genauerer Blick auf diese und andere Umfragen lasse jedoch teils schwere Mängel erklären, schreibt der Politikwissenschaftler und Psychologe Krosnick. So habe eine Frage der Pew-Demoskopen gelautet: "Gibt es angesichts dessen, was Sie gelesen und gehört haben, harte Beweise dafür, dass die Durchschnittstemperatur auf der Erde in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist?" Mit dieser Frage, kritisiert Krosnick, erfahre man, was die Befragten an wissenschaftlichen Details mitbekommen haben - nicht aber, ob sie nun persönlich an die Existenz der Erwärmung glauben oder nicht.

Fragwürdige Methoden, zweifelhafte Interpretationen

Eine weitere vielzitierte Umfrage wurde im März dieses Jahres vom Gallup-Institut durchgeführt. Hier lautete die zentrale Frage: "Wenn Sie darüber nachdenken, was Sie in den Nachrichten gehört haben - wird die Ernsthaftigkeit der globalen Erwärmung allgemein übertrieben, korrekt dargestellt oder untertrieben?" 48 Prozent antworteten "übertrieben". Das Institut titelte daraufhin auf seiner Website: "Die Sorgen der Amerikaner vor dem Klimawandel sinken." Krosnick sieht das anders: "Die Leute wurden gefragt, was ihr Eindruck von den Nachrichten war", so der Professor, "und nicht nach ihrer Meinung über den Klimawandel."

Als unerfreulichstes Beispiel nennt Krosnick eine Umfrage des US-Senders CNN. Der habe allen Ernstes folgende Frage gestellt: "Welche Aussage kommt ihrer Sicht der Klimaerwärmung am nächsten: Die globale Erwärmung ist ein bewiesener Fakt und wird hauptsächlich durch Emissionen von Autos und Industrieanlagen wie Kraftwerken und Fabriken verursacht; die globale Erwärmung ist ein bewiesener Fakt und wird hauptsächlich durch natürliche Veränderungen ausgelöst, die nichts zu tun haben mit Emissionen von Autos und Industrieanlagen; oder die globale Erwärmung ist eine Theorie, die noch nicht bewiesen ist."

Hier wurde laut Krosnick nicht nur eine Schlüsselregel des guten Umfrage-Designs missachtet, nämlich dass man immer nur eine Frage auf einmal stellen sollte. Die Frage biete auch keine Möglichkeit, zu antworten, dass der Klimawandel gar stattfinde. "Nicht gerade die Art von Frage, die besonders sichere Ergebnisse verspricht", so Krosnick. "Wenn bei Umfragen dagegen einfach und direkt gefragt wurde, kamen ähnliche Ergebnisse heraus wie bei unseren."

Die Klima-Besorgnis nimmt ab - aber für wie lange?

Krosnick bestätigt, dass auch sein Institut den Rückgang der unmittelbaren Klima-Besorgnis gemessen hat. Während 2007 noch 84 Prozent an die Existenz der Erwärmung glaubten, seien es inzwischen nur noch 74 Prozent. Auch das Gallup-Institut stellte im März fest , dass nur noch 53 Prozent meinten, der Klimawandel habe bereits begonnen oder werde das in einigen Jahren tun. Zwei Jahre zuvor hatten das noch 65 Prozent geglaubt. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil derjenigen, die angaben, die Erwärmung werde nicht während ihres Lebens oder gar nicht eintreten, von 24 auf 35 Prozent.

Allerdings: Als dieser Trend einsetzte - etwa Anfang 2008 - war die Welt der Klimaforschung noch einigermaßen in Ordnung. Der Klimagipfel von Bali war im Dezember 2007 mit der "Bali Roadmap" durchaus erfolgreich zu Ende gegangen, die Hoffnung auf den klimapolitischen Durchbruch zwei Jahre später in Kopenhagen war groß. Dass stattdessen die E-Mail-Affäre und die Fehler im IPCC-Bericht die Wissenschaft erschüttern sollten, ahnte niemand.

Dennoch hält Krosnick den Trend für nicht besonders langlebig. Die statistische Analyse der Daten aus den Umfragen seines Instituts habe ergeben, dass die kleiner werdende Besorgnis in der Bevölkerung vor allem auf das kurzfristige Wetter, nicht aber auf die Beobachtung langfristiger Klimatrends zurückzuführen sei. 2008 war das kühlste Jahr seit Beginn des Jahrhunderts - "und Menschen, die Klimawissenschaftlern nicht vertrauen, baue auf ihren persönlichen Beobachtungen der Natur". Ein paar heiße Jahre würden sie vermutlich schnell wieder bekehren.

"Climategate" blieb offenbar weitgehend folgenlos

Der sogenannte "Climategate"-Skandal um gestohlene Forscher-E-Mails habe die öffentliche Meinung dagegen kaum beeinflusst - zumindest nicht in den USA. Nur neun Prozent hätten in seiner Umfrage angegeben, von den gestohlenen E-Mails zu wissen und zu glauben, sie machten Wissenschaftler weniger vertrauenswürdig. Das gleiche antworteten 13 Prozent auf die Frage nach den Fehlern im Weltklimarat-Bericht.

Selbst in Großbritannien, wo die "Climategate"-Affäre wochenlang die Schlagzeilen dominierte, sind die Mehrheitsverhältnisse nach wie vor eindeutig, betont Krosnick. So ergab eine Umfrage der BBC im Februar, dass "nur" noch 75 Prozent der Menschen an die Existenz des Klimawandels glaubten - gegenüber 83 Prozent im November 2009. "Klimaskepsis greift um sich", titelte die BBC auf ihrer Website. "Die Schlagzeile hätte aber aussagen müssen, dass sich nach wie vor eine riesige Mehrheit der Briten einig ist und genauso denkt wie die meisten Amerikaner", meint Krosnick.

Damit nehme der Klimawandel eine Sonderstellung unter den politischen Themen ein. Während es bei anderen Debatten in den USA - wie der Abtreibungsfrage oder der illegalen Einwanderung - bestenfalls knappe Mehrheiten gebe, sei die Öffentlichkeit in Sachen Klimawandel ausnahmsweise weitgehend einer Meinung. "Das", meint Krosnick, "gibt den gewählten Volksvertretern eine einmalige Chance, eine Menge Wähler zufriedenzustellen."

mbe
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