Umweltbilanz Olympia 2008 Luft, so sauber wie die Spiele
Das Projekt saubere Luft hatte höchste Priorität. Chinas Regierung wollte unbedingt verhindern, dass Olympia 2008 im Smog stattfindet, der im Peking der vergangenen Jahre zum Alltag dazugehört. So starteten die Behörden ein ambitioniertes Programm zur Luftreinhaltung, das Atmosphärenforscher weltweit als spannendes Großexperiment verfolgt haben. In mehreren Stufen wurden die Emissionen heruntergefahren - zunächst in Kohlekraftwerken und Industrieanlagen. Ab Juli gab es zusätzlich Fahrverbote in der notorisch vom Stau geplagten Stadt.
Das Büro der Stadt Peking für Umweltschutz verkündete bereits am 8. August, dem Tag der Eröffnung der Spiele, dass die Luftqualität bei Olympia gesichert sei. Die diversen Maßnahmen im Vorfeld hätten dazu geführt, dass die Luftqualität an 246 und nicht wie zuvor nur an 100 Tagen pro Jahr den gesetzten Standards genüge. Die zusätzlich seit Juli geltenden Beschränkungen hätten die Emissionen nochmals um 30 Prozent verringert.
Am 18. August ging das Pekinger Umweltschutzbüro mit der nächsten Erfolgsmeldung an die Öffentlichkeit: Peking habe bereits den achten Olympia-Tag mit exzellenter Luftqualität erlebt - auch aufgrund des reduzierten Autoverkehrs. China gibt die Verschmutzung mit dem sogenannten Air Pollution Index (API) an, der Messungen von Feinstaub und mehreren Abgasen wie Schwefeldioxid und Stickoxid kombiniert. Der Index wurde von China selbstentwickelt. Ein API-Wert unter 50 gilt nach chinesischer Lesart als ausgezeichnet, zwischen 50 und 100 sprechen die Behörden von guter Qualität, ab 100 bis 150 von geringfügiger Verschmutzung. Die Skala reicht bis 500.
"Die Sonne so gut wie nicht zu sehen"
Laut der offiziellen Statistik des chinesischen Ministeriums für Umweltschutz war der Luftreinheitsindex API während der Spiele stets unter 100. Der Höchstwert von 94 wurde am Eröffnungstag (8. August) ermittelt, in den Folgetagen gingen die Werte nach unten (API-Minimum von 17 am 15. August). Danach stieg der Index wieder an bis auf 60, gemessen am 21. August (Donnerstag). Soweit die offiziellen Angaben.
Aber wie gut war die Luft tatsächlich? Stimmen die Angaben überhaupt? Der US-Umweltexperte Steven Andrews hatte China im Juli vorgeworfen, seine Luftwerte zu schönen.
Zweifel an den Jubelmeldungen sind angebracht. Am Eröffnungstag beispielsweise mit offiziell guter Luftqualität (API=94) hatte es die Sonne schwer, durch die dicken über Peking hängenden Schwaden zu dringen, wie Fotos von diesem Tag belegen (siehe Fotostrecke). Das bestätigt auch SPIEGEL-ONLINE-Reporter Christian Gödecke, der die Spiele in Peking verfolgt: "In der ersten Olympia-Woche hat man die Sonne so gut wie gar nicht gesehen. Erst als es dann mehrmals geregnet hat, wurde die Luft klarer, und der Himmel war tatsächlich blau."
"Belastung um 30 bis 50 Prozent verringert"
Was in China noch als gute Luftqualität durchgeht - ein API kleiner 100 - würden viele hierzulande als Smog bezeichnen. Das weiß auch Andreas Wahner, Leiter des Troposphären-Instituts am Forschungszentrum Jülich. "Der chinesische Luftverschmutzungsindex beruht auf Grenzwerten und Empfehlungen für Schwellenländer", sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Vor allem beim Feinstaub sei der Index großzügiger.
Wahners Forschungsgruppe hat 2006 gemeinsam mit der Peking Universität nach Hauptverursachern des Smogs in der Stadt gefahndet und Maßnahmen zur Emissionssenkung vorgeschlagen - etwa Filter und qualitativ bessere Kohle in Kraftwerken. Während der Spiele war Wahner vor Ort, um die Höhenverteilung von Aerosolen, Ozon und Stickoxiden zu messen.
Sein Fazit: "Die Schadstoffbelastung hat sich generell um 30 bis 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr verringert." Circa zwei, drei Wochen vor Beginn der Spiele seien die Werte stark zurückgegangen. Das bestätigt auch SPIEGEL-Korrespondent Andreas Lorenz, der seit Jahren in Peking lebt. "Die Luft ist spürbar besser geworden." Von Beschwerden bei Sportlern wegen der anfangs dicken Luft haben Lorenz und sein Kollege Gödecke bislang nichts gehört. Klagen gab es vielmehr über die extreme Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit.
Vom Status eines Luftkurorts ist Peking freilich immer noch meilenweit entfernt. Das verdeutlichen auch unabhängige Messungen von Journalisten. Die Nachrichtenagentur AP und die britische BBC haben nahe ihrer Büros in Peking mit eigenen Geräten die Feinstaubbelastung gemessen - vor und während der Spiele. Zusätzlich dokumentieren sie die Luftverschmutzung täglich mit einem Foto. Natürlich handelt es sich in beiden Fällen nur um punktuelle Messungen - doch die Ergebnisse sind alarmierend.
Erschreckend hohe Feinstaubwerte
Die AP-Messungen ergaben für den 10. August (dritter Olympia-Tag) einen PM10-Wert von etwa 600 Mikrogramm pro Kubikmeter - bislang der Rekord während der Spiele. PM10 erfasst Teilchen mit einem Durchmesser kleiner gleich zehn Mikrometer. Der PM10-Grenzwert in der EU liegt bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter. Er darf an einem Messpunkt nicht mehr als 35 Mal pro Jahr überschritten werden - ansonsten können beispielsweise Fahrverbote angeordnet werden. Das BBC-Messgerät ermittelte am 10. August ebenfalls einen Olympia-Höchstwert, allerdings nicht 600, sondern 278 Mikrogramm pro Kubikmeter (siehe Fotostrecke).
Jülich-Forscher Wahner bestätigt grundsätzlich die extrem hohen Feinstaubwerte zu Beginn der Spiele, er hat Zugriff auf die Messdaten der Peking Universität. Die AP-Angabe von 600 hält er jedoch für zu hoch, möglicherweise sei das Gerät nicht richtig geeicht gewesen. "Bei der Eröffnung und in den ersten Tagen lagen die Stundenmittelwerte stellenweise über dem chinesischen Grenzwert von 300 Mikrogramm pro Kubikmeter", sagt Wahner. Die WHO empfehle für Länder wie China den Tagesmittelgrenzwert von 150. "Bis zum Schluss der Spiele wurden die 150 Mikrogramm kaum überschritten, oft lag der Wert unter 50 Mikrogramm", berichtet der Atmosphärenforscher.
Auf einer Pressekonferenz am 8. August wurde der Direktor des Pekinger Umweltbüros, Du Shaozhong, von Journalisten zu den Diskrepanzen zwischen AP-Messungen und offiziellen Daten befragt. Am 7. August sei die Feinstaubbelastung fast achtmal höher gewesen als der WHO-Standard von 50, ob das nicht eine Gefahr für die Athleten darstelle, wollte ein Reporter wissen.
Du Shaozhong äußerte in seiner Antwort grundsätzliche Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Messung. Er habe mit einem Journalisten gesprochen, der selbst Messungen durchführe, allerdings mit einem Gerät, das für den Einsatz in geschlossenen Räumen konzipiert sei und nicht für Messungen im Freien. "Ich bin mir nicht sicher, ob das Gerät überhaupt zertifiziert ist", sagte Du Shaozhong. Er habe Zweifel, ob die ermittelten Messdaten stimmten. Für Messungen der Luftqualität gebe es Standards, die eingehalten werden müssten. Zudem sei es unwissenschaftlich, von Fotos Rückschlüsse auf die Luftqualität zu ziehen.
Interessant in puncto Umweltbilanz ist übrigens auch ein Vergleich der offiziellen Luftverschmutzungsdaten von Olympia 2008 mit exakt demselben Zeitraum im Jahr 2007. Die API-Daten vom chinesischen Umweltministerium belegen, dass zumindest an den ersten Olympia-Tagen genauso dicke Luft herrschte wie exakt ein Jahr zuvor. Erst am 15. August gingen die zuvor nahezu synchron verlaufenden Kurven auseinander (siehe Fotostrecke). Offensichtlich waren also vor allem die starken Regenfälle für die vergleichsweise gute Luft bei Olympia verantwortlich.
Atmosphärenforscher Wahner warnt China-Besucher aus westlichen Ländern vor allzu großer Überheblichkeit, wenn ihnen die Luft stinkt. "Vor 15 bis 20 Jahren hatten wir örtlich in Deutschland ähnlich schmutzige Luft, zum Beispiel im Ruhrgebiet."