
Uno-Fischereireport Jeder fünfte Fisch stammt aus Chinas Farmen
Nie haben Menschen mehr Fisch gegessen als heute: Mit jährlich 17,2 Kilogramm pro Person - täglich also knapp 50 Gramm - sei der Konsum auf einen Höchstwert gestiegen, berichtet die Welternährungsorganisation FAO. Deutsche essen im Durchschnitt 15 Kilogramm Fisch pro Jahr, Portugiesen sogar 55 Kilogramm.
2009 wurden weltweit gut 145 Millionen Tonnen Fisch gefangen, knapp 118 Millionen Tonnen davon für den Verzehr. Der Rest wurde etwa für die Produktion von Mischmehl verwendet. Pro Jahr stieg die Fangmenge um etwa zwei Millionen Tonnen. Der ausgiebige Konsum ist laut FAO vor allem dem Ausbau von Fischfarmen zu verdanken; sie sorgten mittlerweile für 55 Millionen Tonnen Fisch, also für gut ein Drittel der gesamten Lieferungen. Anfang der fünfziger Jahre wurden nur knapp eine Million Tonnen Fisch in Farmen gezüchtet.
Trotz des rapiden Ausbaus von Fischfarmen haben sich die beobachteten frei lebenden Fischbestände nicht erholt. Weiterhin würde ein Drittel der frei lebenden Gruppen überfischt - dort werden also mehr Tiere gefangen als nachwachsen, berichtet die FAO. Ein "sehr Besorgnis erregendes Ergebnis", sagt FAO-Fischereiexperte Richard Grainger. Ziel müsse es sein, die Zahl der überfischten Bestände zu reduzieren.
Momentan droht aber das Gegenteil: Mehr als die Hälfte der Fischbestände würde bereits "voll ausgenutzt", noch höhere Fangmengen würden diese Bestände gefährden, heißt es in dem Bericht. Lediglich ein Siebtel der Fischbestände sei vom Menschen nicht beeinträchtigt.
Viel gehandelt, stark bedroht
"Wir müssen zu einer ausgewogenen Bewirtschaftung der Meere kommen, sonst wächst sich die ökologische Schieflage in den Weltmeeren zu einer sozialen Krise aus", warnt die Fischereiexpertin des Umweltverbandes WWF, Karoline Schacht, gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Die Meere können nicht mehr Fisch hergeben", ergänzt der Meeresbiologe Onno Groß von der Meeresschutzorganisation Deepwave.
Fischprodukte seien weiterhin das meistgehandelte Nahrungsmittel mit einem Rekordwert von gut 75 Milliarden Euro, schreibt die FAO in ihrem Report, der alle zwei Jahre die neuesten Daten präsentiert. Der weltweit am meisten gefangene Fisch ist demnach die Peruanische Sardelle, 2008 wurden von dem pazifischen Tier 7,4 Millionen Tonnen gefangen. An zweiter Stelle steht der Alaska-Pollack, gefolgt vom Atlantikhering und der Tunfischart "Echter Bonito" - von diesen Fischen wurden 2008 etwa 2,5 Millionen Tonnen gefangen.
Bei vielen Arten geht die Fa ngmenge seit Jahren zurück - weil es immer weniger junge Fische gibt: Von Kabeljau, Seehecht und Schellfisch wurden im Nordatlantik 2008 zusammen nicht einmal mehr acht Millionen Tonnen gefangen. "Da ist die Fangmenge in zehn Jahren um ein Drittel zurückgegangen", resümiert WWF-Expertin Schacht.
Die größte Fischfangnation ist bei weitem China, das bevölkerungsreichste Land, mit einer Fangmenge von fast 15 Millionen Tonnen. Hinzu kommen die Fische aus Farmen, China betreibt die meisten: Es gewann auf diese Weise 2008 knapp 33 Millionen Tonnen Fisch in den Farmen - fast jeder fünfte Fisch, den die Menschheit fördert, stammt also aus chinesischen Fischfarmen.
Geplanter Raubzug
Als größter Importmarkt für Fisch stehe gleichwohl die Europäische Union in der Verantwortung, sagt Karoline Schacht. "Nirgendwo ist der Anteil überfischter Gewässer größer als in der EU", betont die WWF-Expertin. "Die europäischen Regierungen planen den Raubzug in den Meeren mit", sagt Meeresbiologe Groß gegenüber SPIEGEL ONLINE. Zwar hat die EU Ende 2010 die Erlaubnis zum Fischfang in Ost- und Nordsee und im Atlantik eingeschränkt. Umweltschützer jedoch kritisierten die neuen Fangquoten als zu lasch.
In Europäischen Gewässern sind derzeit besonders gefährdet:
- Europäischer Aal: Den Beständen droht nicht nur der Zusammenbruch - sondern sogar das Aussterben.
- Rotbarsch: 15 Jahre alt muss ein Rotbarsch werden, bevor er Nachwuchs kriegen kann. Zu viele Tiere werden jedoch vorher gefangen, so dass die Bestände teils auf fünf Prozent der ursprünglichen Menge geschrumpft sind.
- Roter Thunfisch: Die EU-Kommission verhängte ein Fangverbot. Besonders die Nachfrage nach Sushi hat den Bestand dramatisch schrumpfen lassen.
- Hering: Die Bestände in Nord- und Ostsee sind äußerst bedroht.
- Makrele: Die EU hat Island und die Faröer-Inseln aufgefordert, ihre Fangquoten zu senken. Makrelen schwimmen mit warmem Wasser nach Norden, wo sie in Massen in die Netze gehen.
Doch Politiker sind im Dilemma, es hängen schließlich allein in Europa etwa 400.000 Arbeitsplätze an der Fischerei. Weltweit sichert die Arbeit in der Branche etwa 540 Millionen Menschen ihr Auskommen - also fast für jeden Zwölften, berichtet die FAO.
In Europa sollen die Arbeitsplätze reduziert werden, EU-Pläne sehen vor, die Zahl der Fischerboote zu halbieren. Ginge es weiter wie bisher, verlören noch mehr Fischer ihre Arbeit - da sind sich Experten einig: Denn dann würde es nicht mehr genug Fische zum Fangen geben. Dass die Fischtheken hierzulande noch immer gefüllt sind, liegt daran, dass mittlerweile 60 Prozent der Fische nach Europa importiert werden; Dorade ersetzt Dorsch, Pangasius den Rotbarsch.
Hinweis der Redaktion: In einer ersten Version dieses Textes war von "Hechten" im Atlantik die Rede. Gemeint waren aber Seehechte. Wir bitten, den Irrtum zu verzeihen.