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Klimabasar: Wie hoch steigt das Meer?

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Uno-Report Klimarat feilscht um Daten zum Meeresspiegel-Anstieg

Viele Milliarden Euro stehen auf dem Spiel: Ein Uno-Gremium entscheidet über die Prognose zum Anstieg der Ozeane - sie bestimmt, wie viel Steuergeld  die Staaten in den Küstenschutz pumpen müssen. Hunderte Studien werden verhandelt, es geht zu wie auf einem Basar.

Hamburg/Melbourne - Eine Zahl sorgt für Unruhe in Wissenschaft und Politik. Die Zahl entscheidet über viele Milliarden Euro Steuergelder. Im nächsten Uno-Klimareport, der in etwa zwei Jahren erscheinen soll, wird die Zahl festgeschrieben: Sie gibt an, wie stark die Ozeane bis zum Jahr 2100 voraussichtlich anschwellen werden. 146 Millionen Menschen leben weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel. Je höher der erwartete Anstieg der Ozeane, desto mehr Geld müssen Staaten für Deiche und Küstenschutzmauern ausgeben und desto mehr Menschen müssen vielleicht umgesiedelt werden. Deshalb ist die Zahl so heftig umstritten.

18 ausgewählte Wissenschaftler aus zehn Ländern entscheiden darüber, welche Ergebnisse aus der Meeresspiegel-Forschung im Report des Uno-Klimarates (IPCC) berücksichtigt werden. Es geht um eine der wichtigsten Fragen der Zukunft: Wie hoch steigt das Meer? Die Uno-Arbeitsgruppe steht unter erheblichem Druck, denn die Studienergebnisse zum Thema weichen um nahezu fünf Meter voneinander ab - doch der Uno-Report muss zu einem klaren Ergebnis kommen: Er soll eine Spanne für den erwarteten Meeresanstieg angeben. Entscheidend dabei ist der Maximalwert, der das schlimmste Szenario beschreibt - um eben diese Zahl wird am meisten gerungen.

Der letzte Uno-Klimareport sagte einen Anstieg der Meere um bis zu 59 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts vorher. Nun müssen die Uno-Experten für den nächsten Report erneut Hunderte Studien sichten - doch die Auswahl fällt schwerer denn je. Das Feilschen um die Ergebnisse gleicht dem Handel auf einem Basar: Auf der einen Seite haben Forscher alarmierende Meeresspiegel-Prognosen veröffentlicht, die die Angaben des letzten Uno-Klimareports weit übertreffen. Demgegenüber stehen tatsächliche Messungen des Meeresspiegels: Sie lassen bislang keinen extremen Anstieg erkennen.

"Wer bietet mehr?"

Fest steht lediglich: Im weltweiten Durchschnitt steigt das Wasser. In den vergangenen Tagen erreichte die Debatte einen neuen Höchststand: 4000 Experten diskutierten auf der IUGG-Tagung von Ozeanforschern im australischen Melbourne ihre Ergebnisse. Mitunter lautet dabei die Maxime: "Wer bietet mehr?"

Der Klimaforscher James Hansen von der Nasa zum Beispiel warnt in einem aktuellen Papier  vor einem Anstieg der Meere um fünf Meter in den nächsten 90 Jahren - er verneunfacht damit die Schätzung des Höchstszenarios aus dem letzten Uno-Klimareport. Der Nasa-Forscher riskiere mit der Extremprognose seine Glaubwürdigkeit, meinen manche Klimatologen. Schließlich hatten Geoforscher vor drei Jahren festgestellt , dass ein Anstieg von mehr als zwei Metern in 100 Jahren gar nicht möglich sei, weil so viel Eis in der kurzen Zeit nicht schmelzen könne.

Doch Hansen meint, in der Erdgeschichte Hinweise dafür gefunden zu haben, dass der Meeresspiegel künftig um fünf Zentimeter pro Jahr und mehr anschwellen könnte. Derzeit jedoch steigen die Pegel gerade mal um drei Millimeter pro Jahr - also um ein Siebzehntel des von Hansen prognostizierten Wertes.

Die Diskussion eskaliert

Diese Woche eskalierte die Diskussion. Die Geoforscher Jim Houston vom Engineer Research Center in Vicksburg und Bob Dean von der University of Florida in Gainsville in den USA legten im Fachblatt "Journal of Coastal Research" überraschend dar , dass der Meeresspiegel während des vergangenen Jahrhunderts ziemlich gleichbleibend angestiegen sei - eine Beschleunigung sei nicht zu erkennen.

Doch prompt kam Widerspruch: Houston und Dean seien nur deshalb zu ihrem Ergebnis gelangt, weil die Autoren ihre Meeresspiegel-Berechnung in den dreißiger Jahren beginnen ließen, schreibt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der häufig alarmierende Studien zum Meeresspiegel publiziert. Wähle man einen beliebigen anderen Ausgangspunkt im vergangenen Jahrhundert, zeige sich hingegen ein beschleunigter Anstieg, betont Rahmstorf zusammen mit einem Kollegen in seiner Replik im gleichen Fachmagazin .

Rahmstorf und viele andere Forscher meinen, einen beschleunigten Meeresspiegel-Anstieg zu erkennen: Bis 1993 schwollen die Meere pro Jahr um durchschnittlich 1,7 Millimeter an - die Daten beruhten bis dahin auf Küstenpegeln. Seit 1993 jedoch vermessen Satelliten die Ozeane. Sie stellten einen Anstieg von gut drei Millimetern pro Jahr fest. Eine Beschleunigung also?

Weitere Beschleunigung - oder nicht?

Fest stehe, dass sich der Anstieg im Laufe des 20. Jahrhunderts verstärkt habe, sagt John Church vom australischen Klimaforschungsinstitut CSIRO, der Leiter der Meeresspiegel-Arbeitsgruppe im Uno-Klimarat. "Ob wir seit 1993 eine Beschleunigung haben, ist aber noch nicht klar", sagt er. Die Qualität der Daten sei nicht gut genug, um eine klare Aussage treffen zu können erläutert Eduardo Zorita vom GKSS-Institut für Küstenforschung. In den vergangenen acht Jahren habe sich der Anstieg der Ozeane jedenfalls wieder abgeschwächt; wie es nun weitergehe, sei ungewiss.

Manche Forscher   sehen für die letzten Jahrzehnte gleichwohl eine außergewöhnliche Beschleunigung. Eine Arbeit von Simon Holgate, Meeresspiegel-Forscher am National Oceanogrphy Centre in Liverpool, jedoch nicht.  Seiner Studie zufolge wären die Anstiegsraten seit 1993 nichts Außergewöhnliches. Im 20. Jahrhundert habe sich der Meeresspiegel-Anstieg zuvor schon mal ähnlich beschleunigt; doch dann verlangsamte er sich wieder, sagt auch Guy Wöppelmann von der Université de La Rochelle in Frankreich.

Das Ergebnis verwundert umso mehr, weil Studien verstärktes Tauen der Grönland-Gletscher konstatiert haben. Das Schmelzwasser müsste den Anstieg der Meere ja eigentlich beschleunigt haben, wundert sich der Glaziologe Eric Rignot vom Jet Propulsion Laboratory der Nasa.

Fehlbewertung im Uno-Report?

Der Uno-Klimareport von 2007 hatte allerdings betont, dass das Verhalten der Eismassen in Grönland wenig verstanden sei. Deshalb verzichtete der Bericht auf allzu pessimistische Annahmen über die Grönland-Schmelze - doch das sei vermutlich eine Fehlbewertung gewesen, meint Riccardo Riva von der Technischen Universität im niederländischen Delft. Neueste Daten über beschleunigte Gletscherschmelze zeigten, dass der Uno-Report den künftigen Meeresspiegel-Anstieg vermutlich unterschätzt habe.

"Ohne ein besseres Verständnis der Eismassen Grönlands und der Antarktis können wir nichts Genaues über die künftige Entwicklung sagen", ergänzt Josh Willis, Ozeanforscher am Jet Propulsion Laboratory der Nasa in den USA. Fest stehe zwar, dass die meisten Küsten schrumpfen würden. Doch die Frage bleibe: "Wie schnell?"

Während James Hansen bis 2100 fünf Meter in Aussicht stellt, glaubt sein Kollege Simon Holgate, dass das Meer "selbst beim höchsten Treibhausgasausstoß" unter einem Meter Erhöhung bleibt. Sollte sich das Anschwellen der Ozeane nicht weiter beschleunigen, stünden die Ozeane im globalen Durchschnitt am Ende des Jahrhunderts lediglich 27 Zentimeter höher.

Diese grob voneinander abweichenden Abschätzungen miteinander zu vereinbaren, versuchen derzeit die 18 Mitglieder der Meeresspiegel-Arbeitsgruppe des Uno-Klimarats. Im Gedächtnis der Weltöffentlichkeit und der Politiker aber wird wie immer vor allem der Extremwert für den maximal möglichen Pegelanstieg bleiben - es ist die vielleicht wichtigste Zahl des gesamten Uno-Klimareports.

Anmerkung des Autors: In einer vorigen Version des Artikels wurde der Wissenschaftler Simon Holgate in missverständlichem Zusammenhang zitiert. Holgate ist nicht der Meinung, dass die Umstellung der Messinstrumente seit 1993 irrtümlich einen beschleunigten Meeresspiegelanstieg anzeigen könnte. Es sei gleichwohl unklar, ob sich der Anstieg des Meeresspiegels in den letzten Jahren weiter beschleunigt habe.

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