Bericht zu Ökoproblemen der Zukunft Uno warnt vor fünf unterschätzten Umweltgefahren
Die Vereinten Nationen warnen in einem neuen Bericht vor fünf globalen Umweltrisiken, die aus ihrer Sicht zu wenig beachtet werden. Auf Menschen und Natur kämen große Probleme zu, wenn gentechnisch veränderte Lebewesen freigesetzt werden oder der arktische Permafrostboden weiter auftaut.
Zudem würden die Lebensräume von Tieren und Pflanzen immer mehr durch Straßen und Infrastruktur begrenzt, weiter große Mengen an Stickstoff in die Umwelt gelangen und manche Maßnahmen zum Klimaschutz die Situation eher verschlimmern, heißt es im diesjährigen Report "Frontiers 2018/2019".
In "nur ein paar Jahrzehnten" habe die Menschheit die globalen Temperaturen 170-mal schneller als normal steigen lassen, 75 Prozent der Erdoberfläche verändert und 93 Prozent aller Flussläufe umgebaut, schreibt darin Joyce Msuya, geschäftsführende Unep-Generalsekretärin.
"Das zeigt, dass wir Menschen nicht nur drastische Veränderungen in der Biosphäre verursachen, sondern auch, dass wir inzwischen fähig sind, die Bausteine des Lebens neu zu schreiben und aus dem Nichts zu erschaffen", heißt es mit Blick auf die Gentechnik.
Konkret verweisen die Experten im aktuellen Bericht auf folgende Themen:
- Siegeszug der synthetischen Biologie
Bereits jetzt würden etwa E.coli-Bakterien genetisch so verändert, dass sie Biotreibstoffe herstellen können. Zudem können durch Hefe Anti-Malaria-Mittel erzeugt werden. Aber mit der neuen Genschere Crispr, die gezieltere und billigere Genmanipulation erlaubt, würden nun "bei der Freisetzung von veränderten Organismen die Grenzen getestet". Im Labor sei es bereits gelungen, durch die Aussetzung von genveränderter Mücken "eine Population von Malariamücken erfolgreich zusammenbrechen zu lassen", ein Feldversuch dazu laufe in Burkina Faso an. Ein solcher Eingriff in die Natur wirft für die Unep große ethische Fragen auf. Eine derartige Do-it-yourself-Biologie berge das Risiko von Terrorangriffen auf Ernten oder die Herstellung von Biowaffen.
- Zerschneidung von Lebensräumen
Immer mehr Straßen, Dämme oder Zäune durchschneiden Naturräume. Vor allem in Schwellenländern sind große Infrastrukturprojekte geplant, allein weitere 3700 Staudämme an Flüssen. Bereits jetzt legten viele Säugetiere nur noch etwa halb so lange Distanzen zurück, um Futter zu suchen oder sich zu paaren, schreibt der Bericht. Zwar stünden 15 Prozent der weltweiten Landfläche unter Naturschutz, aber nur die Hälfte der Gebiete sei mit anderen Naturregionen verbunden. "Schutzgebiete allein retten die Artenvielfalt nicht", so die Experten, "ihre Verbindung ist die Verkörperung der Ökologie." Hoffnung auf mehr Bewegung bei dem Thema sieht die Unep in der Weltkonferenz zur Biodiversität 2020 in Peking.
- Auftauen des Permafrosts
In den Böden der Arktis schlummert eine Zeitbombe: Dort lagert im gefrorenen Zustand die Hälfte des Kohlenstoffes, der weltweit in den Böden gespeichert ist. Durch den Klimawandel taut er auf und entlässt Kohlendioxid - und das noch viel schädlichere Klimagas Methan in die Atmosphäre. Bisher ist die Südgrenze der Permafrost-Region bereits 30 bis 80 Kilometer nach Norden gewandert, heißt es. Die Situation wird durch häufigere Waldbrände verschlimmert, aber auch Bergbau, Infrastruktur und Landwirtschaft tragen dazu bei. Selbst wenn das Pariser Abkommen zum Klimaschutz umgesetzt werde, sei "es wahrscheinlich, dass die arktische Umwelt 2100 ziemlich anders als heute ist", schreiben die Experten. Es gebe "dringenden Handlungsbedarf für regionale Anpassungsmaßnahmen."

Gebäude im tauenden Permafrost: Abgesackt
- Überschuss an Stickstoff
Die Rolle des Kohlenstoffs für den Klimawandel ist bekannt - "aber verglichen damit gibt es wenig öffentliche Debatte über die Notwendigkeit, beim Stickstoff zu handeln", moniert die Unep. Landwirtschaft, Verkehr und Industrie pumpen große Mengen an Stickstoff in die Umwelt, was zu "schlechter Luftqualität, der Belastung von aquatischen und terrestrischen Ökosystemen, Verschlimmerung des Klimawandels und zur Schwächung der Ozonschicht beiträgt", heißt es. Das Problem mit dem Stickstoffüberschuss habe die Unep bereits 2014 angesprochen. Aber "es hat so wenig Fortschritt bei der Lösung des Problems gegeben", meinen die Experten. Während Stickstoff im Wert von jährlich 200 Milliarden Dollar als Abfallstoff in die Umwelt gelange, werde er auf der anderen Seite künstlich erzeugt - ein Recyclingsystem sei dringend notwendig.
- Verschlimmbesserung durch Klimaschutz
Anpassung an höhere Meeresspiegel, Dürren oder Niederschläge durch die Erderwärmung ist nötig - aber manchmal gehen solche Maßnahmen nach hinten los: Wenn Deiche und Straßen in Gegenden von Bangladesch gebaut werden, die 2050 sicher unter Wasser stehen werden, führe das dazu, dass jetzt mehr Menschen dorthin zögen, statt in sicheren Gegenden zu siedeln. In Somalia stellen Farmer wegen der Dürre verstärkt Holzkohle her und dezimierten so die Wälder - das wiederum trage zu noch größerer Trockenheit bei. Wenn in Australien wegen der Hitzewelle mehr Strom aus Kohlekraft für die Klimaanlagen gebraucht werde, dann sei das "Schlechtanpassung" (Maladaptation). Die Unep empfiehlt als Gegenmittel: Einen genauen Blick auf Kosten und Nutzen der Maßnahmen.

Zerstückelte Landschaften: Grüne Inseln zwischen Straßen
"Wir teilen die Einschätzung der Unep, dass es sich hier um drängende Themen handelt", sagt Jörg-Andreas Krüger, Geschäftsführer Naturschutz beim WWF Deutschland dem SPIEGEL. "Viele dieser Probleme brennen uns jetzt schon auf den Nägeln." Unter Experten und Umweltorganisationen würde über diese Fragen "schon seit Jahren geredet, das ist nicht ganz neu", so Krüger. "Aber es ist gut, wenn die Unep ein weltweites Bewusstsein für diese Themen schafft, die bisher nicht auf dem Bildschirm von Politik, Wirtschaft und Medien sind."
Mit den "Frontiers"-Reporten nehmen die Umweltschützer der Uno regelmäßig Risiken in den Blick, die ihrer Meinung nach gerade erst sichtbar geworden sind, aber noch nicht breit diskutiert werden. In den letzten Jahren warnten sie etwa vor Mikroplastik, illegalem Handel mit bedrohten Arten oder weltweiten Sandstürmen.