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Kampf gegen Ölpest: Umstrittene Chemikalien

Foto: HO / REUTERS

US-Ölkatastrophe Mit Gift gegen Gift

Bisher gibt es nur eine Waffe im Kampf gegen die Ölpest im Golf von Mexiko: eine Chemikalie namens Corexit, die das Öl zersetzt. Rund eine Million Liter wurden bereits ins Meer gekippt. Doch Experten befürchten, dass die Flüssigkeit für die Umwelt schlimmer sein könnte als das Öl selbst.

Der lange gefürchtete Moment kam ganz anders als erwartet. Leise, kaum sichtbar, ohne großen Knall. "Helloranges, moosiges Zeug" nennt Jacqueline Michel die äußersten Ausläufer des Ölteppichs im Golf von Mexiko, die am Donnerstag das Land erreichten. Michel, eine Forscherin der US-Wetter- und Ozeanbehörde NOAA, hat das Öl selbst entdeckt - auf den Chandeleur Islands, einer langen, filigranen Inselkette, etwa 50 Kilometer vor der Küste Louisianas.

"Es ist ziemlich erstaunlich", sagt Michel, "dass wir das Öl diese ganze Zeit im Wasser hatten und es bisher so wenig an der Küste gab." In der Tat verläuft die Katastrophe in Zeitlupe: 16 Tage brauchte der Ölteppich nach der Explosion der Ölplattform "Deepwater Horizon", bis er ans Ufer gelangte. Zwar ist es nur ein dünner Schaumfilm, und das Ufer ist unbewohnt, unwirtlich und unzugänglich. Doch für alle hier am Golf ist es ein entscheidender Moment.

Die Chandeleur Islands vor dem Mississippi-Delta sind ein Heiligtum der Umweltfreunde - und eines der ältesten US-Naturschutzgebiete. Ein Foto von 1915 zeigt Theodore Roosevelt, wie er dort am Strand sitzt und grimmig aufs Meer starrt. Der US-Präsident hatte sich der Inselchen damals angenommen, nachdem er erfahren hatte, dass die Vögel dort abgeschlachtet wurden, damit ihre Federn Damenhüte schmücken.

Von den Stränden der Inseln ist spätestens seit dem Hurrikan "Katrina" nicht mehr viel übrig. Der Sturm zerstörte sie 2005 fast komplett. Zurück blieb eine karge Muschellandschaft, die nur selten aus den Wellen auftaucht. Tausende Pelikane nisten trotzdem hier. Und nun ist das Öl da.

Der Ölkonzern BP, der "Deepwater Horizon" gechartert hatte, schickte sofort Säuberungsteams zu den Chandeleur Islands. "Es herrscht große Sorge", sagt Admiralin Mary Landry von der US-Küstenwache, die alle Einsätze hier zentral koordiniert. "Hier steht viel auf dem Spiel."

"Es gibt keine guten Optionen"

Unterdessen geht der Wettlauf mit dem Öl auch an der Unglücksstelle auf hoher See weiter. In der Nacht zum Freitag erreichte der Schleppkahn mit der 100-Tonnen-Stahlglocke die Stelle, wo die Plattform untergegangen war. Nun wird die Gerätschaft langsam ins Wasser gelassen. In 1500 Metern Tiefe soll sie am größten Leck Öl absaugen. Doch das, so räumt BP-Chef Doug Suttles ein, werde frühestens Anfang nächster Woche klappen.

Währenddessen läuft die Arbeit mit einer riskanten Methode, die vor allem Umweltschützern Sorge macht - und auf den ersten Blick eigenartig erscheint: Das giftige Öl soll bereits tief unter Wasser mit einem anderen Gift bekämpft werden. Es geht um einen Cocktail namens Corexit 9500, der vom US-Chemiekonzern Nalco hergestellt wird.

Das Rezept hält die Firma geheim. Fest steht aber: Das Zersetzungsmittel trennt das Öl in winzige, biologisch abbaubare Tröpfchen, die zu Boden sinken. "Wie Spülmittel", beschreibt BP-Manager Suttles die Wirkung. So soll verhindert werden, dass das Öl aufsteigt, an Land kommt und Tieren schadet. Das ist freilich nur ein Kompromiss. Denn keiner weiß, ob und wie sich Corexit auf die Ökosysteme der Tiefsee auswirkt.

"Giftiger als das Öl selbst"

"Die Mischung hat eine chemische Toxizität, die auf viele Weise schlimmer ist als das Öl", warnt Meeresbiologe Richard Charter. Der NOAA-Berater hat die Methode für die norwegische Umweltorganisation Bellona untersucht - und hält sie für ein "gigantisches Experiment". "Es gibt keine guten Optionen. Man will den Schaden für die Küste minimieren, könnte dadurch aber dem Ökosystem auf See noch schwerer schaden."

Der Umweltforscher Terry Hazen befürchtet einen "ganz neuen ökologischen Alptraum". Manche der Lösungsmittel seien "giftiger als das Öl selbst". Hazen hat die Technologie schon nach der Havarie des Tankers "Exxon Valdez" in Alaska 1989 untersucht. Sein Rat: Den Ölteppich in Ruhe lassen und darauf warten, dass natürliche Mikroben ihn von selbst zerfressen.

Das Ocean Studies Board (OSB), ein Arm des US-Forschungsrats National Research Council, bezeichnete den Einsatz ölzersetzender Stoffe im Jahr 2005 als "eine der schwierigsten Entscheidungen" für Umweltteams. Es bestehe die Gefahr, dass Fische, Korallen, Krabben, Austern und andere Seetiere von den Chemikalien angegriffen würden. Das OSB weigerte sich, den Einsatz der Gifte "guten Gewissens" abzusegnen: Es gebe "zu wenig Informationen" über die Wirkung.

Zwei Jahre später kamen israelische Forscher zu ähnlichen Schlüssen: Die Gifte richteten unter Wasser "bedeutenden Schaden" an. In Großbritannien ist Corexit seit zehn Jahren sogar verboten. Hier galt die Besorgnis vor allem den Lebewesen an Felsküsten, zu deren Reinigung Corexit auch eingesetzt wurde.

Hersteller wirbt mit "bedeutenden Testprogrammen"

Viele der Tests fanden im Labor statt, nicht in der Natur. Ungewiss bleibt deshalb zum Beispiel, ob die Gifte die wasserabweisende Schicht des Gefieders von Seevögeln angreifen. Corexit-Hersteller Nalco hält sich bisher bedeckt, verweist auf seiner Website aber auf "bedeutende Testprogramme" an der Louisiana State University und der University of Miami: Die zeigten "klar", dass Corexit zum Beispiel ölverseuchte Mangroven und Marschgras retten könnte. Auch ist Corexit von der US-Umweltbehörde EPA genehmigt.

Um die Zweifler zu beruhigen, veröffentlichte Nalco jetzt quasi den Beipackzettel von Corexit. Demnach stellt einer der Inhaltsstoffe eine "moderate" Gefahr für Menschen dar und kann zu Entzündungen von Augen, Haut und Lunge führen. Krebserregende Substanzen enthalte der Cocktail nicht. Auch die Umweltwirkungen seien "moderat". Die Substanz sei aber brennbar, ihre Dämpfe sollten nicht eingeatmet werden.

Bisher hat BP nach eigenen Angaben im Golf von Mexiko schon rund eine Million Liter Corexit eingesetzt. Die Substanz wurde aus Flugzeugen gekippt, aber auch direkt in die leckende Ölquelle gepumpt. Dieser Unterwassereinsatz wurde jetzt aber einstweilen gestoppt. Vor einem weiteren Einsatz sollen erst Testergebnisse von Epa-Forschern ausgewertet werden.

Die dahinter stehende Frage ist simpel: Ist es sinnvoll, die Tiefsee zu Gunsten der Küsten rings um den Golf zu gefährden? "Noch gibt es keinen Konsens", sagt NOAA-Koordinator Charlie Henry. "Aber wir fangen ja gerade erst an."

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