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Golf von Mexiko: Ölkatastrophe ist nicht aufzuhalten

Foto: Patrick Semansky/ AP

US-Ölpest Tierschützer planen gigantische Rettungsaktion im Golf

Die Ölpest im Golf von Mexiko hat ihr erstes Vogelopfer, ganze Heerscharen verklebter Tiere werden folgen. Mit Hochdruck bereiten sich Biologen auf eine der größten Wildtierrettungsaktionen vor, die die Welt je gesehen hat. Das Vogelsterben könnte sich über Monate hinziehen.

Die Katastrophenhelfer der Marine Spill Response Corporation arbeiteten gerade mitten im Ölteppich, als sie den Vogel im Wasser entdeckten. Fast zutraulich näherte sich das Tier dem Boot. Mit einem Kescher gelang es, den Vogel zu bergen. Nun ist das Federtier der derzeit wohl bekannteste Vogel der Welt.

Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat ihr erstes Vogelopfer. Am Samstag präsentierten US-Wildtierexperten in der Nähe des Küstenortes Venice im US-Bundesstaat Louisiana den etwa einjährigen Basstölpel einer internationalen Journalistenschar, die seit Tagen die Südküste der USA belagert. Etwas verhuscht lugte der Vogel unter einem Handtuch hervor. Dann wurde ihm, umkreist von Kameras, mit einem Tubus Flüssigkeit eingetrichtert.

Doch so skurril die Szene auch wirkte: Der verschreckte Vogel ist höchstwahrscheinlich der Vorbote einer Heerschar verölter und verklebter Tiere, die schon sehr bald an den Küsten des Golf von Mexiko angespült werden könnten.

Der U.S. Fish and Wildlife Service und zahlreiche von der Ölfirma BP rekrutierte Tierexperten bereiten sich an den Küsten der US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida mit Hochdruck auf eine der vermutlich größten Wildtierrettungsaktionen vor, die die Welt je gesehen hat.

Nach dem Untergang der Ölplattform "Deepwater Horizon" am 22. April hat sich der Ölteppich, gespeist vom steten Strom neuen Öls aus der Tiefe, mittlerweile auf eine Größe von weit über 10.000 Quadratkilometern ausgeweitet. Noch am Wochenende könnte nun erstes zähes und klumpiges Öl die Küsten erreichen und zur akuten Gefahr für die marine Lebenswelt werden.

"Eine wahre Katastrophe"

Meeresschildkröten, Seekühe, Delfine und Wale schwimmen in den Gewässern. Rund 34.000 Vögel leben alleine in den Sümpfen, Salzmarschen und an den Stränden Louisianas. Nun drohen Tausende von ihnen im Ölschlick zu verenden.

"Wir planen für das Schlimmste", sagt Tom MacKenzie vom U.S. Fish and Wildlife Service. Die Situation vor der Küste könnte sich "zur vielleicht größten Ölpest auswachsen, die wir je gesehen haben". Und auch Melanie Driscoll, Direktorin der Bird Conservation for the Louisiana Coastal Initiative ist äußerst besorgt: "Die Versuche, das Öl zu stoppen, bevor es die Küste erreicht, sind heroisch", sagt sie, "aber möglicherweise werden sie nicht ausreichen." Es drohe "eine wahre Katastrophe" für die Vögel der Region.

Größte Gefahr besteht vor allem für jene Vögel, die auf vorgelagerten Inseln wie Breton Island, Gosier, New Harbor oder den Chandeleur Islands leben. Viele von ihnen brüten derzeit, so etwa die majestätischen Braunpelikane, die gerade erst von der Roten Liste der bedrohten Arten gestrichen wurden. Auch Brandseeschwalben und Seeregenpfeifer nisten an den Stränden. Zierliche Rötelreiher und Ibisse staksen durch die Sümpfe. "Für die Vögel könnte das Timing nicht schlechter sein", sagt Driscoll, "in der Brutsaison sind sie dem Öl besonders schutzlos ausgeliefert."

Vor allem auf der Jagd geraten die Tiere häufig in die Ölfalle. Auch Nistplätze können in Gefahr geraten, wenn starke Winde öliges Wasser in die Kolonien drückt. Ist ein Vogel erst verölt, muss schnell gehandelt werden. "Das Federkleid von Seevögeln gleicht einer Daunenjacke", erläutert Jay Holcomb vom International Bird Rescue Research Center. Wenn der Vogel nass werde, habe er keine Möglichkeit mehr, seine Körpertemperatur zu regulieren und erfriere. Maximal ein bis zwei Tage könne ein verölter Vogel überleben, sagt Holcomb. Daher sei schnelles Handeln gefragt.

Das allerdings könnte sich in diesem Fall als schwierig erweisen. Denn große Areale der Golfküste gleichen verästelten Wasserlandschaften, in denen es fast unmöglich erscheint, die verölten Vögel überhaupt einzufangen. "In Feuchtgebieten wie diesen haben wir große Probleme", sagt Holcomb, "natürlich versuchen die Vögel, weg zu kommen und verschwinden im Zweifelsfall im Schilf."

Vollwäsche dauert 45 Minuten

Ist eines der Federtiere indes erst einmal eingefangen, stehen seine Chancen nicht schlecht. Allerdings ist Expertise gefragt. "Jedes Öl ist anders", erläutert die Tierärztin Erica Miller von der Organisation Tri-State Bird Rescue & Research. Deshalb rupfen die Experten den Tieren zunächst einige Federn aus und testen an ihnen ihr Reinigungsverfahren, das entsprechend der Konsistenz des Öls modifiziert wird. 12 bis 24 Stunden dürfen die Vögel dann zunächst ruhen, um sich zu beruhigen. Immer wieder wird ihnen währenddessen Flüssigkeit eingetrichtert, da sie von der Anstrengung vollkommen dehydriert sind. Dann folgt der Waschgang.

Mit bis zu vier Personen müssen die Helfer größere Vögel wie etwa Pelikane festhalten. Seifenlauge wird in die Federn einmassiert. Um den Kopf zu säubern, kommt auch schon mal eine Zahnbürste zum Einsatz. Über tausend Liter Wasser würden je Vogel benötigt, so Tierärztin Miller. Bis zu 45 Minuten dauere die Vollwäsche.

Bei der Präsentation des ersten Ölopfers am Samstag demonstrierten die Experten die aufwendige Prozedur an einer Plastikente. Der Basstölpel war schon am Morgen geschrubbt worden. Nun duckte er sich verängstigt in eine mit einem Netz abgedeckte Holzkiste. Die Experten hoffen darauf, dass der Vogel bald sein Gefieder wieder einfetten wird, um es wasserabweisend zu machen. Nach etwa zehn Tagen soll er - in einem unverölten Seegebiet - zurück in die Freiheit entlassen werden.

"Wir sind dankbar und erleichtert, dass wir bislang nur einen verölten Vogel haben", sagt Miller, "so haben wir genug Zeit, um hier alles aufzubauen."

Bis zu 200 verölte Vögel will das Entölungsteam von Venice am Ende gleichzeitig behandeln können. Wird das ausreichen?

Vogelretter Holcomb ist zuversichtlich. Er war schon vor mehr als 20 Jahren bei der Havarie des Tankers Exxon Valdez in Alaska dabei. "Damals gab es das Problem, dass sehr viele Vögel in sehr kurzer Zeit an die Strände gespült wurden", erinnert er sich. Das könnte jetzt anders werden. Das große Sterben könnte sich dieses Mal über Monate hinziehen.

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