Verschwindende Gletscher Asiens Flüssen droht Wassermangel
Nojin Kangtsang - Tibets riesige Gletscher schmelzen, doch die Bauern auf den einsamen Höhen des Himalayas wissen von nichts. Bis zu einem Drittel dieser Gletscher auf dem Dach der Welt, aus denen sich die großen Flüsse Asiens speisen, könnten den Fachleuten zufolge bis 2050 verschwunden sein, die Hälfte bis 2090, wenn die Erderwärmung andauert. Obwohl die Zeichen des Schwundes in den eisigen Höhen Tibets schon bemerkbar sind, sorgen die Bauern hier sich einzig um ihr Tagewerk und das Wetter von morgen.
Selbst an einem der kältesten Orte Tibets, am Nojin Kangtsang Gletscher zwischen der tibetischen Hauptstadt Lhasa und dem Mount Everest, ist die Erwärmung spürbar. Das Wasser des Bergsees Yamdrok-So ist schon tief türkis gefärbt, ein Zeichen, dass das winterliche Eis schon abschmilzt. Warmes Wetter im Januar und Februar hat diesen natürlichen Vorgang beschleunigt. Und die umliegenden Berge haben eine dünne Schneedecke zu einer Jahreszeit, zu der sie eigentlich tief im Schnee stecken sollten.
"Durch die Erwärmung der Erdatmosphäre hat sich das Klima auf der tibetischen Hochebene in den vergangenen drei Jahren erheblich gewandelt", sagt Xu Liangyan, ein Ingenieur beim staatlichen chinesischen Wetteramt. Das Amt teilte erst kürzlich mit, das vergangene Jahr sei das wärmste in China seit 1951 gewesen. Mehr als ein Drittel der Wetterstationen auf der Hochebene, immerhin alle über 4000 Meter über dem Meeresspiegel, verzeichneten Rekordtemperaturen. "Es ist offensichtlich, dass die Eisschmelze sich beschleunigt und die Schneegrenze zurückweicht", sagt Kang Shichang vom Tibet-Institut der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.
Dieser Rückgang droht schon bald dramatische Folgen für die Wasserversorgung ganz Asiens zu haben. "Feuchtgebiete gehen zurück, der Grundwasserspiegel sinkt", warnt Song Yanling vom staatlichen Wetteramt. Im Westen der Hochebene sei die Durchschnittstemperatur in diesem Winter zwischen zwei und vier Grad höher gewesen als in anderen Jahren. Der Rückgang der Gletscher könnte die Wasserversorgung der großen Ströme Asiens - Ganges, Brahmaputra, Indus, Yangtze, Gelber Fluss und Mekong - gefährden. Bis zu drei Milliarden Menschen leben an diesen Flüssen oder in der Nähe - und könnten schon bald von Wassermangel bedroht sein.
Allein im Westen Chinas könnten der Uno zufolge bis zu 300 Millionen Bauern bald von Wasserknappheit betroffen sein. Doch die Bauern in Tibet sind sich der Situation nicht bewusst. "Der Winter war schwer, wir hatten sehr viel Schnee", sagt Quesan, Dorfvorsteher von Hamu am Ufer des Sees Yamdrok-So. "Die Menschen hier haben nur winzige Stücke Land und wenig Vieh." Dass die Menschheit die Natur bedroht, kann er sich nicht vorstellen, leben doch die Bewohner seines Dorfes seit Jahrhunderten so wie heute. "Hier zerstört niemand etwas", sagt der Mann.
Auch der Hirte Tunju erinnert sich lediglich daran, dass es in diesem Jahr viel Schnee gab. "Man konnte zu Fuß über den See", sagt der Mann, der 100 Schafe für sieben Yuan am Tag (etwa 70 Cent) hütet. Und auch die junge Deji Cuonu, die am Fuß des Nojin Kangtsang Gletschers lebt, hat von Klimawandel noch nichts gehört. "Mir ist nur aufgefallen, dass es in letzter Zeit viel geschneit hat."
Philippe Massonet, AFP