Vor Klimagipfel in Cancún Blockierer aller Länder vereinigen sich

Scheitert der Klimagipfel in Cancún, bevor er begonnen hat? Weil in den reichen Industrienationen klimapolitischer Stillstand herrscht, lehnen sich auch Schwellenländer wie Indien und China entspannt zurück. Die Gefahr wächst, dass die Welt bald ohne internationales Klimaschutz-Abkommen dasteht.
Klima-Aktivistin (in Hong Kong, Dezember 2009): Schwierige Verhandlungen

Klima-Aktivistin (in Hong Kong, Dezember 2009): Schwierige Verhandlungen

Foto: ANTONY DICKSON/ AFP

Ab kommenden Montag trifft man sich wieder im "Maritim". Dann kommen in dem Bonner Hotel Diplomaten aus aller Welt zusammen, um den Klimagipfel im mexikanischen Cancún im Dezember vorzubereiten. Doch die Stimmung ist mies. In den USA ist gerade die Verabschiedung eines Klimagesetzes auf lange Sicht unwahrscheinlich geworden. Nun geschieht, was Beobachter befürchtet hatten: Die einflussreichen Schwellenländer Brasilien, Südafrika, Indien und China nehmen das Debakel im US-Senat zum Anlass, die internationalen Verhandlungen weiter zu blockieren.

Die Mitglieder der sogenannten Basic-Gruppe treffen sich seit dem weitgehend gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen regelmäßig. Jetzt haben sie nach einer Zusammenkunft in Rio de Janeiro signalisiert, dass sich die Welt wohl auch beim kommenden Gipfel in Mexiko nicht auf einen Vertrag werde einigen können. "Sollten die US-Senatoren bis Cancún immer noch kein Gesetz fertiggestellt haben, werden wir kein rechtlich verbindliches Abkommen erzielen", sagte Südafrikas Umweltministerin Buyelwa Sonjica am Montag.

Die Konfliktlinien sind aus Kopenhagen bekannt: Die Industriestaaten bekennen sich zwar zu ihrer Verantwortung für den bisherigen Klimawandel, fordern aber von den aufstrebenden Schwellenländern, ihren Treibhausgas-Ausstoß zu senken. Denn Tatsache ist, dass die Emissionen von Ländern wie Indien rasant steigen. Die Schwellenländer wiederum wollen ihr Wachstum nicht durch strenge Klimaregeln abwürgen - und verlangen von den reichen Staaten Finanz- und Technologietransfers.

"Ich denke, wir sind nach Kopenhagen alle etwas schlauer", sagte der indische Umweltminister Jairam Ramesh in Rio de Janeiro. "Unsere Erwartungen für Cancún sind realistisch, wir können keine Wunder erwarten." Der wichtigste Grund für die Schwierigkeiten sei das Fehlen von klaren Rahmenbedingungen für die versprochenen Finanztransfers von den Industrie- in die Entwicklungs- und Schwellenländer. Brasilien, Südafrika, Indien und China wollen sich nun im Oktober in Peking treffen, um eine gemeinsame Position für Cancún festzulegen. Das Verhandeln dürfte für die Industriestaaten dann nicht unbedingt einfacher werden.

Swimmingpool oder Tunnel ans andere Ende der Welt?

Eine Einigung in diesem Jahr sei unwahrscheinlich, hatte der Ende Juni aus dem Amt geschiedene Uno-Klimachef Yvo de Boer erklärt. Die internationalen Klimagespräche glichen einem Bauprojekt, bei dem eine Gruppe von Leute gemeinsam ein Loch grabe, sagte de Boer dem Magazin "NZZ Folio". Manche würden denken, sie arbeiteten an einem Swimmingpool, andere glaubten, einen Tunnel auf die andere Seite der Welt fertigzustellen. "Früher oder später kommt es zu Spannungen, weil die eine Seite befürchtet, der Pool würde zu tief, während die andere bemängelt, der Tunnel sei noch nicht tief genug."

Tatsächlich wirken die Verhandlungen derzeit so, als arbeiteten die Teilnehmer an einer Pfütze. Der US-Senat wird sich wahrscheinlich nicht vor September wieder mit dem Thema Klimaschutz befassen. Ein fertiges Gesetz bis zum Klimagipfel im Dezember ist mehr als unwahrscheinlich. Für Kopenhagen-Teilnehmer ist das ein Déjà-vu, denn beim Gipfel vor einem Jahr sah die Lage ganz ähnlich aus. Die innenpolitische Blockade in den USA lieferte vor allem China einen Vorwand, keine Konzessionen zu machen.

Auch andere Staaten liefern Argumentationshilfe für internationale Klimablockierer. So zum Beispiel Australien: Die Regierung hat gerade ein Emissionshandelssystem bis ins Jahr 2012 verschoben. Zuvor hatte die Industrie massiven Druck ausgeübt. Auch die Europäische Union kann sich nicht durchringen, im Alleingang ambitionierte Klimaziele zu beschließen. Ein gemeinsamer Brief der Umweltminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens mit der Forderung, bis zum Jahr 2020 nicht 20, sondern 30 Prozent weniger CO2 als 1990 auszustoßen, fand nur bei EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard Unterstützung.

Das liegt auch an fehlender Rückendeckung für Norbert Röttgen innerhalb Deutschlands. So hat Kanzlerin Angela Merkel ihren Umweltminister gezielt gebremst: Sie stehe nur dann hinter dem 30-Prozent-Plan, wenn er keine zusätzlichen Lasten für die deutsche Wirtschaft mit sich bringe, sagte Merkel in einer CDU-Präsidiumssitzung. Deutschland sei beim Klimaschutz ohnehin schon Vorreiter. Wenn Europa mehr sparen wolle, dann seien die anderen EU-Länder in der Pflicht.

Niemand bewegt sich

"Es gibt keinen Zweifel, dass die Industrieländer ihre Ziele zur Emissionsminderung anheben müssen", hat die neue Uno-Klimachefin Christiana Figueres auf ihrer ersten Pressekonferenz erklärt. Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Niemand bewegt sich, während die Zeit für eine Einigung knapp wird.

Doch was geschieht, wenn die Staaten auch in Mexiko beim Klimaschutz nicht vorankommen?

Der von 100 Ländern formal unterstützte "Copenhagen Accord" ist rechtlich unverbindlich. Und für das Kyoto-Protokoll tickt die Uhr: Es läuft Ende 2012 aus. Im schlechtesten Fall steht die Welt danach ganz ohne Regeln zur CO2-Begrenzung da - und auch ohne ein finanzielles Ausgleichssystem für den Klimaschutz in ärmeren Staaten. Denn der internationale Emissionshandel, über den sich Geld für Klimaprojekte beschaffen lässt, stünde mit dem Ende von Kyoto mangels rechtlicher Grundlage vor dem Aus.

Im Uno-Klimasekretariat arbeiten Fachleute derzeit an einem Plan B. Einen entsprechenden Auftrag hatten einige Kyoto-Staaten den Bonner Experten im Juni gegeben: Was passiert, wenn es keinen Nachfolger für das Kyoto-Protokoll gibt, das den Industrieländern derzeit Reduktionsziele auferlegt, die Schwellenländer aber nicht in die Pflicht nimmt? Nach Wunsch von Klimachefin Figueres sollten sich die Staaten zumindest auf eine Verlängerung des Protokolls einigen. Möglich seien ein oder zwei Jahre - ganz nach Wunsch der Regierungen.

Im Bezug auf Cancún tritt im übrigen auch Figueres auf die Euphoriebremse. Die Vorstellung, dass "ein magisches, weltweites Abkommen" alle Probleme lösen könne, werde den bisherigen Schritten nicht gerecht. Selbst wenn schon morgen ein neuer Klimavertrag verabschiedet würde, wäre es alles andere als sicher, ob er vor dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls in Kraft treten könnte. Dafür muss das Dokument nämlich von mehr als 100 Staaten ratifiziert werden. Beim Kyoto-Protokoll hat das acht Jahre gedauert.

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