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Vogtland: Mysteriöse Signale aus der Tiefe

Foto: Uni. Leipzig

Aufsteigende Gase Der unheimliche Atem des Vogtland-Vulkans

Forscher beobachten verstärkte vulkanische Aktivität in Mitteldeutschland: Unerwartete Erdbeben schütteln die Region, Gase lassen Tümpel brodeln. Was geht da vor?

Es ließ sich gut leben mit dem Vulkan unter den Füßen im Dreiländereck von Bayern, Sachsen und Böhmen. Schon Goethe badete in den Thermalquellen von Karlsbad - das blubbernde Wasser verdankt die Gegend einer monströsen Magmablase in großer Tiefe.

Nun berichten Wissenschaftler auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU) in Wien über rätselhafte Veränderungen im Untergrund. Fast scheint es, der Vulkan würde bockig. Deutlicher denn je macht er auf sich aufmerksam.

Ans leichte Zittern des Bodens hatten sich die Anwohner gewöhnt. Alle paar Jahre ließen Erdbeben-Schwärme das Dreiländereck wochenlang vibrieren. Zuletzt im Herbst 2011, davor im Herbst 2008, im Herbst 2000 und im Winter 1985. Es sind Lebenszeichen des Vulkans: Vom Magma erhitztes Grundwasser steigt auf, zwängt sich durch Gesteinsritzen, bis der Fels ruckelt.

Die Beben haben sich verändert

Das stärkste gemessene Beben hatte die Stärke 4,6 auf der Richterskala - ab einem Wert von 5 würde es gefährlich: Schornsteine und einfache Mauern können zusammenbrechen. Doch die Erdbeben-Historie der Region zeige, dass die Stärke 5 nicht übertroffen werde, glaubten Geoforscher.

Das Vogtland schien über eine eingebaute Starkbeben-Sicherung zu verfügen. Die Schwarmbeben wirkten als Gefahrensenker für die Region, hofften Experten: Sie entschärften die Spannung im Gestein und somit auch die Bedrohung durch starke Stöße. Doch die Beben haben sich verändert.

Früher kamen sie als leichtes Grollen Tausender schwacher Stöße, die nach Tagen ihren Höhepunkt fanden in einem dumpfen Schlag, der zuweilen Putz von den Wänden bröckeln ließ. Im Laufe weiterer Tage oder Wochen erstarb das Zittern. Im vergangenen Jahr jedoch passierte Erstaunliches: Ohne vorherigen Trommelwirbel machte die Erde einen Ruck.

Verstärkter Vulkan-Atem

"Während in den letzten Jahrzehnten stets nur typische Schwarmbeben auftraten, gab es am 24. Mai 2014 ein relativ starkes Beben der Magnitude 3,5 als erstes Ereignis", berichtet Jens Heinicke von der Karls-Universität Prag auf der EGU-Tagung. "Am 31. Mai folgten außergewöhnlich starke Beben mit Magnituden bis 4,5", wundert sich der Geoforscher. Die Beben waren bis nach Leipzig und weit hinein nach Bayern spürbar.

Am Donnerstagvormittag nun haben Sensoren das stärkste jemals registrierte Beben direkt in der Region Halle/Leipzig aufgezeichnet. Das Ruckeln der Stärke 3,3 ereignete sich an einer Spalte im Untergrund, die bis ins Dreiländereck reicht - ein Zusammenhang mit dem Vulkan scheine möglich, erklären Experten auf der EGU-Tagung.

"Der Wandel der Beben hat uns überrascht", ergänzt Tomas Fischer, ebenfalls Erdbebenforscher an der Karls-Universität. Veränderungen hatten sich zwar angedeutet; die Schwärme waren mit jedem Mal kürzer geworden. Aber 2014 ereignete sich der Hauptschlag erstmals ganz am Anfang. Kann es vielleicht doch heftiger beben als angenommen, fragen sich die Gelehrten. "Die Ursache des Wandels kennen wir nicht", sagt Fischer.

Zugleich registrierten Forscher ein verstärktes Atmen des Vulkans: Nach den Beben im Mai 2014 strömte fünfmal mehr Vulkangas aus dem Boden, berichten Heinicke und Fischer. Vor allem Kohlendioxid ließ wochenlang Tümpel, sogenannte Mofetten, in Westböhmen regelrecht brodeln. Vermutlich hätten die Beben den Boden aufgerissen und damit den Weg für Gase freigemacht, meint Fischer.

Magma in Wallung

Dass es bebt, liegt wohl vor allem am unentwegten Gasstrom aus der Tiefe, der die Erde unter Spannung setzt. Es quillt gar so viel Helium-3-Gas aus dem Boden wie am Ätna, einem der aktivsten Vulkane der Welt. Das Isotop Helium-3 stammt aus großer Tiefe - im Gegensatz zu Helium-4, der gängigen Variante des Edelgases.

In den vergangenen Jahren hat sich der Anteil von Helium-3 gegenüber Helium-4 deutlich erhöht. Nirgends sonst in Mitteleuropa wurden so große Mengen vulkanischen Heliums gemessen wie im Dreiländereck. Steigt also Magma auf?

"Anzeichen, der Vulkan würde erwachen, haben wir nicht", betont Fischer. Gleichwohl scheine das Magma in Wallung geraten zu sein: Der verstärkte Aufstieg von Kohlendioxid und Helium-3 weise auf "eine langsame Zunahme magmatischer Aktivität", meint der Seismologe.

Heißer Gesteinsbrei

Der heiße Gesteinsbrei drängt hinauf bis 30 Kilometer unter den Boden des Dreiländerecks. Darauf deuten Bilder des Untergrunds, die mithilfe von Druckwellen erzeugt werden: Wie Lichtstrahlen werden die Wellen an der Grenze verschiedener Gesteinsschichten gebrochen - ihre Reflexionsmuster bilden die Eingeweide des Planeten ab.

Die Messungen zeigen, dass sich in 30 bis 60 Kilometer Tiefe heißes Gestein mit der Konsistenz von Glas staut. Es sind offenbar die Relikte eines Vulkans, der vor rund 300.000 Jahren erloschen ist. Würde der Weg nach oben frei, ergösse sich erneut Lava übers Land.

Die Strecke zur Oberfläche ist lang. Doch in Jahrtausenden, mit steigendem Druck aus der Tiefe, könnte der Vogtland-Vulkan erneut explodieren.

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