Vulkanologen Todesgefahr am Kraterrand
Hunderte Menschen flohen in Panik vor der gewaltigen Aschewolke, die der indonesische Vulkan Merapi gestern spuckte. Fünf Kilometer raste das 800 Grad heiße Glutgemisch die südöstliche Flanke hinab und kam knapp vor den ersten Siedlungen zum Erliegen. Der Vulkan auf der indonesischen Insel Java birgt tödliche Gefahr, obwohl sein nächster Ausbruch erst noch bevorsteht.
Auf der anderen Seite des Berges arbeiteten - nur vier Kilometer vom Gipfel entfernt - seelenruhig deutsche Forscher und beobachteten den gefährlichen Ausbruch. Matthias Hort und Alexander Gerst von der Universität Hamburg reparierten Überwachungsgeräte. Dass sie ihr Leben riskierten, bestreiten die Wissenschaftler. Doch jedes Jahr sterben Vulkanologen bei der Ausübung ihres Berufes, einem der gefährlichsten Gewerbe der Welt - Leichtsinn oder Berufsrisiko?
Die Liste der Opfer ist lang. Besonderes Aufsehen erregte ein Unfall am 14. Januar 1993 auf dem kolumbianischen Vulkan Galeras. Der Geologe Stanley Williams von der Arizona State University führte im Rahmen einer Vulkanologentagung eine Gruppe Wissenschaftler und Touristen auf den Gipfel, obwohl der Vulkan in den Tagen zuvor bedrohlich erzittert war. Wenige Minuten nachdem der Trupp in den Krater gestiegen war, riss der Boden auf. Asche, Lava und Gestein schossen hervor und zerfetzten neun Menschen.
Lange Liste toter Forscher-Berühmtheiten
Williams kam mit Knochenbrüchen davon. Er bestritt Vorwürfe, leichtsinnig gehandelt zu haben. "Williams liebt das Risiko", meint hingegen Hans-Ulrich Schmincke vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel, einer der weltweit angesehensten Vulkanforscher.
Erst kurz zuvor, im Juni 1991, hatte ein Unglück am japanischen Unzen Entsetzen ausgelöst. 43 Wissenschaftler, Journalisten und Touristen hatten sich in die Sperrzone des seit Monaten rumorenden Vulkans gewagt und wurden von einer Glutwolke verbrannt. Eins der Opfer, der berühmte Vulkanologe Harry Glicken, hatte zuvor jahrelang gewarnt, die Gefährlichkeit von Vulkanen werde unterschätzt.
Mit ihm starben die berühmten Vulkanfotografen Katia und Maurice Krafft ("Kriegsberichterstatter der Vulkanologie"). Sie hatten stets behauptet, spüren zu können, ob ein Vulkan bedrohlich wird. Sie hinterließen fast eine halbe Million Fotos von Vulkanausbrüchen. "In ihrem Haus waren alle Wände mit Vulkanbildern behängt", erinnert sich Schmincke. "Sie gaben zu, besessen zu sein."
Die deutschen Forscher auf dem Merapi hingegen bestreiten, überehrgeizig zu sein. "Ich habe Frau und Kinder und würde mein Leben nicht für Daten aufs Spiel setzen", sagt Matthias Hort. Indes: Wäre die gestrige Glutwolke anstatt nach Südosten nach Westen abgegangen, wo die Forschungsstation steht, wären die Vulkanologen in äußerster Lebensgefahr gewesen.
Zwar gibt es dort einen Betonbunker, doch ob er dem glühenden Steinhagel Stand gehalten hätte, ist unklar. Zudem bliebe kaum Zeit für eine Flucht in den Bunker. Denn bis Menschen die mit Rennwagengeschwindigkeit gespenstisch leise talwärts rasenden Todeslawinen bemerken, ist es oft zu spät.
"Die Forschungsstation steht auf einer Anhöhe, doch die Ascheströme durchlaufen die Täler", beruhigt Hort. Außerdem breche der Merapi kaum einmal nach Westen hin aus.
Asbestanzüge stören bei der Arbeit
Zuletzt sei das im Dezember 1930 geschehen, als ein Ausbruch 1300 Menschen tötete. Eine Explosionsserie im Jahr 1872 löschte gar alle umliegenden Dörfer im weiteren Umkreis aus. Vor 2000 Jahren erreichten Asche- und Schlammlawinen die 35 Kilometer südlich gelegene Stadt Yogyakarta. "Bei solchen Ereignissen hätten wir keine Chance", räumt Hort ein, "doch eine große Eruption ist derzeit unwahrscheinlich."
Auf ähnliche Weise mögen sich auch jene indonesischen Vulkanologen beruhigt haben, die im Juli 2000 den unweit des Merapi gelegenen Feuerberg Semeru bestiegen. Am Fuße des Berges war alles ruhig, doch eine kleine Eruption am Gipfel tötete zwei von ihnen und verletzte fünf. Die Forscher trugen keine Schutzkleidung.
"Asbestanzüge und Gasmasken behindern zu sehr bei der wissenschaftlichen Arbeit", verteidigt Schmincke die Laxheit seiner Kollegen. Wichtig seien lediglich Funkgerät, feste Schuhe und wetterfeste Kleidung. "Unfälle gibt es auch bei anderen Berufen."
"Im Nebel wird es bedrohlich"
Doch die hohe Zahl von Todesopfern dürfte belegen, dass das Gewerbe des Vulkanologen gefährlicher ist als das eines Haiforschers oder Bombenentschärfers.
"Im Nebel wird es bedrohlich", gibt Hort zu. Auf dem italienischen Stromboli, der als spuckfreudigster Vulkan der Welt gilt, sei er einem Ausbruch einmal bedenklich nahe gekommen. "Die Einschläge kamen immer dichter, doch wir konnten sie nicht sehen durch den Nebel."
Ein Abenteuer sei es manchmal schon, bestätigt Schmincke. Vor Lavafontänen des Hawaii-Vulkans Kilauea habe er einst über glühende Lavaströme flüchten müssen, so dass die Schuhsohlen geschmolzen wären. Man entwickle mit der Zeit jedoch ein Gefühl dafür, welches Risiko man eingehen könne.
Den Vulkan vor einem Ausbruch rechtzeitig zu verlassen, ist den Experten kaum möglich. Sie können zwar bestimmen, ob ein Vulkan gefährlich ist, wann er ausbrechen wird aber nur ungenau. Gleichwohl konnten vor manchen Eruptionen nach Warnung von Vulkanologen Tausende Menschen rechtzeitig evakuiert werden, etwa 1991 am Pinatubo auf den Philippinen.
Radargeräte für den Pfropfen des Merapi
Je aktiver ein Vulkan ist, desto schwieriger ist jedoch die Prognose eines Ausbruchs. Ausgerechnet für den Merapi, an dessen Flanken Millionen Menschen leben, ist die Ausbruchsvorhersage besonders kompliziert.
Die Prognose wurde zudem erschwert, weil die Forscher bislang nur selten Informationen vom Gipfel des Merapi erhielten - er ist meist von Wolken bedeckt. Dort oben sitzt allerdings wie ein gewaltiger Pfropfen eine stetig wachsende und langsam abbröckelnde Gesteinskuppe, von deren Stabilität abhängt, wann der Vulkan ausbricht. Zwei Radargeräte, die Matthias Hort und Kollegen am Berg installiert haben, bieten seit einigen Jahren freie Sicht auf den Gipfel.
Ausgerechnet jetzt waren diese Geräte jedoch ausgefallen. Auch um sie zu reparieren, sind die Forscher gestern auf den Merapi gefahren. Die Hamburger Wissenschaftler haben aber nur ein Gerät in Ordnung bringen können. Das zweite steht am Südwesthang. Doch dorthin wollen die Vulkanologen nicht - das Risiko ist ihnen doch zu groß.