Dramatische Analyse Der deutsche Wald stirbt

Fichten im Sommer 2020 in Nordrhein-Westfalen: Abgestumpft
Foto: Fabian Strauch/ DPADer Zustand des deutschen Waldes hat sich im vergangenen Jahr weiter verschlechtert. Lediglich 21 Prozent der Bäume hatten noch vollständig intakte Baumkronen, wie die Waldzustandserhebung 2020 ergab. Es ist der schlechteste Wert seit Beginn der Auswertung im Jahr 1984. Die übrigen 79 Prozent wiesen mehr oder minder große Schäden auf. Die dramatische Analyse wird am Mittwochmittag von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) vorgestellt.
»Die Stürme, die Dürre, der massive Borkenkäferbefall und auch die vermehrten Waldbrände der vergangenen drei Jahren haben dem Wald in Deutschland massiv geschadet«, schreibt das Bundeslandwirtschaftsministerium, das die Zahlen auswerten lässt. Schon im Bericht für das Jahr 2019 waren die Zahlen historisch schlecht gewesen, doch im vergangenen Jahr nahmen die Schäden noch einmal zu.

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Anteil toter Fichten stieg um das 20-Fache
Sprunghaft angestiegen ist der Anteil der Bäume, die innerhalb eines Jahres abgestorben sind. Für die Analyse werden rund 10.000 Bäume in Deutschland regelmäßig beobachtet, ihr Zustand erfasst. Aus dieser Stichprobe lässt sich der Zustand des gesamten Waldes hochrechnen. Von 2019 auf 2020 starben demnach rund 1,7 Prozent aller beobachteten Bäume ab. Auch das ist ein Negativrekord – und fast das Zehnfache des Durchschnitts in normalen Jahren. Besonders deutlich war der Anstieg bei der Fichte: Rund 4,3 Prozent aller beobachteten Bäume starben ab, üblich sind Werte zwischen 0,1 und 0,2 Prozent.
Am Massensterben der Fichte war wohl zu einem guten Teil der Borkenkäfer schuld. Die Tiere haben im vergangenen Jahr ideale Bedingungen vorgefunden, denn 2020 war nach 2018 und 2019 das dritte Jahr mit einem trockenen Sommer in Folge. Wegen des Wassermangels konnten die Käfer leicht in Fichten eindringen. Die Bäume mussten massenweise gefällt werden. In einigen Bundesländern rückten sogar Bundeswehrsoldaten an, um tote Bäume zu bearbeiten.
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Gesunden Wäldern kann der Borkenkäfer wenig anhaben. Die in Deutschland vielerorts verbreiteten Fichten-Monokulturen gelten hingegen als besonders anfällig. Sie sind bei Forstwirten beliebt, weil Fichten schnell und gerade wachsen und sich so Gewinne erwirtschaften lassen. Die Strategie hat sich allerdings weder als ökologisch noch wirtschaftlich nachhaltig erwiesen. Weil wegen des Borkenkäfers so viele Fichten gefällt wurden, ist das Angebot an Fichtenholz massiv angestiegen. Die Folge waren rapide fallende Preise – laut Statistischem Bundesamt um rund 35 Prozent in drei Jahren.
Nur noch jede zehnte Buche intakt
Noch schlechter als der Fichte geht es den Buchen. Zwar sterben weniger dieser Laubbäume ab, doch schon seit mehr als zehn Jahren weisen zwischen 30 und 60 Prozent der Buchen eine »deutliche Kronenverlichtung« auf. Das bedeutet, den Bäumen fehlen 25 Prozent oder mehr der normalen Blattmasse. Im Jahr 2020 waren mit 55 Prozent mehr als die Hälfte aller Bäume in einem derart schlechtem Zustand. Gerade einmal jede Zehnte Buche hatte eine intakte Baumkrone.
Die Werte schwanken von Jahr zu Jahr, doch begonnen hat die negative Entwicklung bereits in den Achtzigerjahren. Damals lag der Anteil der deutlichen Kronenverlichtung bei Buchen bei gerade einmal 13 Prozent, sie hat sich also seitdem vervierfacht.
Zumindest für die Eichen gab es im vergangenen Jahr aber auch gute Nachrichten, ihr Zustand verbesserte sich etwas. »Die Eiche zeigt somit erste Anzeichen der Regeneration, bleibt jedoch weiterhin auf einem hohen Schadniveau«, schreiben die Autoren der Waldzustandserhebung.
Wo der Wald nicht mehr zu retten ist, will die Politik nun beim Pflanzen neuer Bäume helfen. Insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro Fördergelder stehen für kommunale wie private Waldbesitzer bereit. Umstritten ist allerdings, ob diese Wiederaufforstung ökologisch wirklich nachhaltig ist oder man die Wälder nicht lieber einige Zeit der Natur überlassen sollte.