
Dzanga-Sangha-Schutzgebiet: Paradies der Waldelefanten
Waldelefanten-Wilderei in Afrika Gier besiegt Liebe
Es könnte das Paradies im Herz der Finsternis sein: die Elefantenherden vor den scharlachfarbenen Blätterdächern der Lophira-Bäume, Rotbüffel neben Riesenwaldschweinen und Bongo-Antilopen, Ibisse und schillernde Bienenfresser.
Nirgendwo sonst lassen sich die scheuen Waldbewohner des äquatorialen Regenwalds in solch eindrucksvoller Artenvielfalt und Zahl beobachten wie von der Aussichtsplattform der berühmten Lichtung Dzanga Bai.
"Es ist ein Wunder", sagt Andrea Turkalo. Unter den Augen der US-amerikanischen Forscherin haben sich mehr als vierzig Elefanten versammelt. Sie graben mit ihren Rüsseln im Schlick einer Saline.
Grenzüberschreitendes Unesco-Welterbe
Alte Bullen mit mächtigen Stoßzähnen vertreiben Rivalen mit gespreizten Ohren und unmissverständlichen Drohgebärden. Halbwüchsige Kühe trompeten aufgeregt auf der Suche nach ihren Kälbern.
Gemeinsam mit dem angrenzenden Lobéké-Nationalpark in Kamerun und Nouabele-Ndoki in der Republik Kongo bildet das Dzanga-Sangha-Schutzgebiet in der Zentralafrikanischen Republik das grenzüberschreitende Unesco-Welterbe Sangha Trinational. Waldelefanten leben in weiten Teilen des tropischen Afrikas von Gabun bis Uganda. Aber nur hier kann man sie Tag und Nacht beobachten.
Andrea Turkalo zeichnet winzige Skizzen von Elefantenköpfen in ihr Notizbuch. Es werden vorerst ihre letzten von vor Ort sein, denn Turkalo muss die Zentralafrikanische Republik verlassen - der Staat, so scheint es, will sie loswerden.
Dabei ist die Dzanga Bai für die 65-Jährige ihr Zuhause. Als die Biologin 1980 mit ihrem damaligen Mann, einem Gorillaforscher, zum ersten Mal in die Zentralafrikanische Republik reiste, war sie von Dzanga Sangha fasziniert.
Sie kehrte zehn Jahre später zurück und begann ihre Forschungsarbeit über die Waldelefanten. "Ich hatte einfach Glück", sagt sie. "Niemand hatte die Tiere zuvor wirklich studiert." Sie schlug in der Nähe der Lichtung ihr Lager auf und begann akribische Aufzeichnungen über die Elefanten.
Schon bald konnte sie die einzelnen Tiere an ihren Schädelformen und Einrissen in den Ohren unterscheiden. "Ich bin ein sehr visueller Mensch", sagt Turkalo. Für sie seien Elefanten wie Menschen. "Ich erkenne sie an ihren Gesichtern." Sie gab ihnen Namen und lernte, die komplexen Familienstrukturen und Lebensweisen zu verstehen.
Seit 1990 hat Andrea Turkalo fast 4000 Waldelefanten identifiziert. Etwa 1500 besuchen in regelmäßigen Abständen die Lichtung. Von einigen Familien kennt sie bereits die dritte Generation. Viel von dem, was die Forschung heute über die Tiere weiß, geht auf Turkalos Langzeitstudien für die Wildlife Conservation Society zurück.

Dzanga-Sangha-Schutzgebiet: Paradies der Waldelefanten
Sie entdeckte, dass die Waldelefanten erst viel später geschlechtsreif werden und deutlich längere Babypausen einlegen, als ihre Verwandten in der Savanne. Das macht die Bestände noch verwundbarer, als sie es ohnehin schon wegen der zunehmenden Elfenbein-Wilderei sind.
"Erst vor zwei Tagen wurde ein Elefant nur zwei Kilometer von hier getötet", sagt Turkalo. In den letzten Monaten wurden Dutzende Elefanten in Zentralafrika Opfer der Wilderei. Die wahren Zahlen kennt niemand. Es gibt kaum einen Ort, wo es gut für sie aussieht. Innerhalb eines Jahrzehnts sind die Gesamtbestände von Afrikas Waldelefanten nach jüngsten Forschungsergebnissen um mehr als 60 Prozent zurückgegangen.
"Die Tiere reagieren sehr sensibel auf die wachsende Präsenz des Menschen und weichen in ruhigere Orte aus", sagt Turkalo, "Aber selbst im Reservat wird Holz gefällt. Es ist ein riesiges Problem." Vor allem chinesische Unternehmen haben längst Gefallen gefunden an den wertvollen Tropenhölzern der Region.
"Ich bin ein Pessimist"
Zwar geben die Regierungen im äquatorialen Afrika gerne vor, ihre Wälder langfristig schützen zu wollen, die Realität sieht aber oft anders aus. "Eine nachhaltige Holzwirtschaft existiert nur auf dem Papier", sagt Turkalo. In Wahrheit laufe gerade ein Ausverkauf der Wälder an asiatische Firmen. Die Regierungen seien mitverantwortlich für den Raubbau an der Natur.
"Ich bin ein Pessimist, einfach weil ich Realist bin", sagt der Leiter des WWF-Büros in Dzanga Sangha. Der Spanier arbeitete seit 1980 in verschiedenen Nationalparks im zentralen Afrika. Er hat an vielen Orten die zunehmende Abholzung und Wilderei erlebt.
Zwischen 2008 und 2013 wurden 17 seiner Mitarbeiter in der Demokratischen Republik Kongo von Wilderern getötet. "Es war mehr ein Armeeeinsatz als Naturschutz", erinnert er sich, "aber sie waren mehr als wir". Und Dzanga Sangha? "Wir müssen auch hier vorbereitet sein."
Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich der WWF im Park. Mit Unterstützung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aus Deutschland und der Stiftung Tri-National de la Sangha bildet er Wildhüter aus und fördert die Infrastruktur für die Forschung und den Ökotourismus.
"Hier geht es nicht um die Elefanten"
Das Engagement für Dzanga Sangha konnte bisher verhindern, dass das Schutzgebiet nicht längst wie andere Parks in der Region ausgewildert wurde. Noch ziehen die Elefanten und Gorillas eine wachsende Anzahl an Besuchern an. Aber wie lange noch?
"Die Wilderei ufert aus", sagt Turkalo. Wilderer aus Kamerun schaffen Elfenbein von hier in den mehr als 1000 Kilometer entfernten Hafen von Douala. Von dort wird es nach Fernost verschifft. Die allgegenwärtige Korruption verhindert ein Ende des illegalen Handels.
Im Frühjahr verlangt das Umweltministerium unerwartet Geld von Turkalo. Mehrere Tausend Dollar soll die Wissenschaftlerin für ihre Forschungsarbeit in den letzten drei Jahrzehnten nachzahlen.
"Nie zuvor hat man von mir Forschungsgeld verlangt", sagt Turkalo. "Alle wissen hier, dass ich mich mit meiner Arbeit für den Schutz der Elefanten einsetze. Aber hier geht es nicht um die Elefanten."
Das Ministerium lässt nicht locker. Turkalo und die Wildlife Conservation Society, das steht fest, können eine solche Summe nicht aufbringen. "Man will mich loswerden."
Es ist nicht das erste Mal, dass die Forscherin ans Aufgeben denkt. Im März 2013, als muslimische Séléka-Rebellen aus dem Norden in das Schutzgebiet vordrangen, hatte sie ihre Forschungsunterlagen gepackt und war über Nacht mit einem Boot in den Kongo geflohen.
Touristen kamen trotz des Bürgerkriegs
Die Rebellen töteten 26 Elefanten in der Dzanga Bai und plünderten Turkalos Camp. "Ich wusste, es kann jederzeit wieder passieren", sagt sie. Dennoch kehrte sie zurück, nachdem die Rebellen die Region verlassen hatten.
Sie hat gelernt, in einem Failed State zu überleben. Die Zentralafrikanische Republik gehört nach dem Fragile States Index von 2016 zu den drei instabilsten Ländern der Erde und zu den Nationen mit dem geringsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf.
Das Dzanga-Sangha-Gebiet an der Grenze zu Kamerun und dem Kongo galt jedoch meist als relativ sicher, weil es weitgehend von den politischen Unruhen im Norden abgeschnitten blieb. Die Lichtung der Waldelefanten und zwei an Menschen gewöhnte Gorillagruppen lockten Touristen in den Park, selbst während in anderen Regionen der Bürgerkrieg tobte.
Andrea Turkalo hat alle politischen Umstürze und Militärrevolten überdauert. Nun aber wendet sich der Staat selbst gegen sie.
Flucht über den Fluss
Vor Kurzem hat sie die Zentralafrikanische Republik verlassen. "Dieses Mal für immer", sagt sie in einem Telefonat aus den USA. "Ich hatte Angst. Ich weiß von Leuten, die im Gefängnis landeten, weil sie mit der Politik aneinandergerieten."
An ihrem letzten Tag auf der Aussichtsplattform der Dzanga Bai hatte sie von ihren Elefanten Abschied genommen. "Ich bin kein sentimentaler Mensch. Aber dann wohl doch, als ich über die tausenden Tage nachdachte, die ich hier verbracht habe."
Von ihrem Entschluss, nie mehr zurückzukommen, erzählte sie nur ihren engsten Freunden. In das Boot, das sie über den Dzanga-Fluss ins Ausland brachte, nahm sie nur das Nötigste und ihre Datensammlung mit.
Zurück in den USA verfolgt sie am Computer die Neuigkeiten aus Dzanga Sangha, das einmal ihre Heimat war. "Jetzt höre ich nur noch aus der Ferne von den Elefanten", sagt sie. "Doch ich träume von ihnen. Noch immer."
Hinweis: Die Recherche des Autors vor Ort wurde unterstützt von Diamir Reisen.