Warmer Winter Schneechaos im März - längst vergessen
Irgendwann im Herbst ist es so weit. Der Wintermantel wird aus der Plastikhülle gezupft, Mottenkugeln entfernt, und aus einer unteren Schublade werden Fleeceschaal, gefütterte Fäustlinge und Bommelmütze hervorgeholt. Mitteleuropäer jedoch konnten diese an kaltes Wetter gemahnenden Accessoires bislang getrost an der Garderobe hängen lassen.
Frühlingstemperaturen in Chemnitz genauso wie im Central Park in New York, Schneemangel in den Alpen und gar Politiker, die fordern, man solle aufhören, mit Kunstschnee-Kanonen dagegen anzukämpfen. "In Hamburg blühen die Kirschen", meldete die "Bild am Sonntag" und die "Sächsische Zeitung" beklagt: "Es ist zu warm: Läuse fressen Kohlköpfe kahl".
Dieser Winter ist ungewöhnlich warm, bisher jedenfalls. Auch in den kommenden Tagen wird sich daran wenig ändern: Frühlingshafte Temperaturen von mehr als 10 Grad hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Offenbach vorhersagt. Am Oberrhein seien sogar mehr als 15 Grad drin. Erst in der regnerischen und stürmischen Nacht zum Freitag würden die Werte auf 9 bis 3 Grad zurückgehen. Dauerfrost gibt es in Europa höchstens in Nordskandinavien und im nördlichen Russland, melden die Meteorologen. Sonst fällt die Temperatur europaweit selten unter den Nullpunkt.
Zieht man den langjährigen Durchschnitt zum Vergleich heran, wird klar, was "warmer Winter" bedeutet: Plus 0,2 Grad Celsius beträgt die Temperatur in den Wintermonaten Dezember, Januar und Februar in Deutschland im statistischen Mittel - das sich freilich selbst aus vielen normalen und extremen Werten zusammensetzt. So ein Extrem erleben wir gerade. Ob hingegen im Februar oder März nicht doch noch große Kälte - so wie im vergangenen Jahr - für Schnee in rauen Mengen sorgen wird, ist völlig offen. Im Moment beschäftigen sich die Deutschen mit der Frage, was noch "normal" ist. Und was darf man aus dem warmen Winter ableiten?
"Nie mehr Schnee" und "Klima-Alarm"?
"Nie mehr Schnee?" fragt die Zeitung "B.Z." aus Berlin. "Klima-Alarm!" titelte die Konkurrenz vom "Berliner Kurier". "Es besteht immer wieder die Gefahr, zu schnelle Schlüsse aus dem aktuellen Wetter zu ziehen", sagte Uwe Kirsche vom DWD zu SPIEGEL ONLINE. "Aus Einzelergebnissen kann man nicht auf den Klimawandel schließen."
So bemerkenswert zweistellige Plustemperaturen Anfang Januar erscheinen mögen, es gab immer wieder Ausreißer nach oben im sogenannten Hundertjährigen Kalender. Seit 1901 wird in Deutschland die Temperatur aufgezeichnet. In den Jahren 1975, 1990 und 2004 waren die Winter besonders mild, wie die Statistik zeigte. Der Rekordhalter bislang ist aber der Winter des Jahres 1998 mit durchschnittlich 3 Grad Celsius statt 0,2 Grad. Erst im Nachhinein wird sich sagen lassen ob - und falls ja, wo in dieser Rangliste - sich der jetzige Winter einreiht.
Aber für diesen Fall, warnt Meteorologe Kirsche vor dem Schluss, dass ein warmer Winter zwangsläufig mit dem Klimawandel zusammenhängt. Er verweist auf den vergangenen, sehr kalten und schneereichen Winter. "Da hätte jeder im Umkehrschluss schreiben müssen: Der Klimawandel hat sich erledigt."
Tatsächlich stellte sich das vergangene Jahr im Nachhinein als eines der wärmsten Jahre des vergangenen Jahrhunderts heraus, wenngleich es das Rekordjahr 2000 nicht übertreffen konnte. In Erinnerung geblieben ist der Monat Juli, den die Offenbacher zum heißesten und sonnigsten seit Beginn der Aufzeichnung kürten. Eifrig wurde spekuliert, ob die Hitze wohl jene aus dem Rekordsommer 2003 toppen könnte. Doch prompt folgte ein feuchter und kühler August. Die Wetterextreme nehmen zu, sagen Experten.
Wetter in der Gegenwart, Klima im Rückblick
Wetter und Klima sind zwei verschiedene Dinge. Das Klima lässt sich erst im Nachhinein beurteilen, als langfristige statistische Veränderung der Wetterphänomene. Die können für einige Jahre, saisonal oder ganz kurzfristig ihre viel beschworenen Kapriolen treiben, ohne dass dies für ein Zeichen des Klimawandel sprechen muss.
Zumal neben dem öffentlich heiß diskutierten Treibhauseffekt aufgrund überhöhten Kohlendioxid-Ausstoßes noch weitere Faktoren auf das Klima einwirken. Die Aktivität der Sonne zum Beispiel, Vulkanausbrüche oder das Klimaphänomen El Niño, das entsteht, wenn sich wegen schwächerer Winde der östliche Pazifik aufheizt.
Die Folgen dieser regionalen Anomalie sind rund um den Globus zu spüren: Neben Regen in Ostafrika und Trockenheit in Südostasien und Australien zählen auch starke Niederschläge in Teilen Nord- und Südamerikas dazu. Außerdem scheint sogar die Häufigkeit von Hurrikans vor der US-Ostküste mit dem El-Niño-Phänomen im Pazifik zusammenzuhängen. Dies haben deutsche Klimaforscher um Mojib Latif vom Kieler IFM-Geomar vergangene Woche in der Fachzeitschrift "Geophysical Research Letters" dargestellt. Entsprechend kann El Niño sich auch auf die Sommertemperaturen in Mitteleuropa auswirken.
El Niños fordern in ihren globalen Konsequenzen durch Dürren in Afrika ebenso Menschenleben wie durch Unwetter in Lateinamerika. Je stärker die Anomalie im Pazifik, desto gravierender die Folgen.
Rekordjahr mit Ansage - durch El Niño?
In der letzten Woche hatte das britische Hadley Center for Climate Change Research, das zum meteorologischen Büro der britischen Regierung gehört, mitgeteilt: Es gebe eine 60-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass 2007 "genauso warm oder wärmer" werde, als das bisher wärmste Jahr 1998. Dieser Ausblick, den die Hadley-Forscher als "Vorhersage" (forecast) bezeichnen, ist das Ergebnis einer Computersimulation.
Hier fließen Treibhauseffekt und El Niño zusammen.
Denn auf Satellitenbildern kann man eindeutig sehen, dass es im Westpazifik ist es wieder zu warm, El Niño ist zurück. Forscher gehen davon aus, dass er schwächer bleiben wird als vergleichbare Phänomene in den achtziger und neunziger Jahren, die den Begriff erst bekannt gemacht haben.
Wenn El Niño - möglicherweise nach einem neuen Rekordsommer - wieder verschwindet, könnten Meteorologen auch wieder kühlere Sommer messen. Eine Aussage, ob sich etwas am klar beobachtbaren Trend der globalen Erwärmung verändert hat, lassen solche isolierten Beobachtungen aber nicht zu.
Winter 2007: Schuld ist erstmal "Dieter"
Das gilt auch für den warmen Winter: Der direkte Verantwortliche dafür ist das Tiefdruckgebiet mit dem Namen "Dieter" und seine Vorgänger, die Mitteleuropa mit allzu warmer Luft versorgten. Es ist eine paradoxe Situation: Auch moderne Wettervorhersagen können nicht weiter als ein paar Tage in die Zukunft schauen. Die Klimaentwicklung kann hingegen von mächtigen Computersimulationen über die zurückliegenden Jahrtausende minutiös rekonstruiert werden - und mit den entsprechenden Rechenmodellen weit in die Zukunft hinein modelliert werden.
Wetterexperte Kirsche kann verstehen, dass gerade in Zeiten unbenutzter Wintermäntel und Bommelmützen Klima und Wetter in der Debatte vermengt werden. Zu nahe liegt offenbar die Versuchung, vom Wetter gleich aufs Klima zu schließen: "Auffällig ist, dass das immer nur passiert, wenn vom wärmsten Monat, vom wärmsten Winter die Rede ist - weil der Trend klar ist: Es geht nach oben."
Mitarbeit Franziska Badenschier/Mit Material von AP