Politikberater Dicke Luft um Merkels neue Umweltflüsterer

Hans Joachim Schellnhuber: Langjähriger Vorsitzender des WBGU
Foto: A3946 Alina Novopashina/ dpaHamburg - Regierungsberater sehen sich gern selbst als fünfte Gewalt im Staate. Die Einflüsterer der Mächtigen üben aus Hinterzimmern manchmal enormen Einfluss auf die Politik aus. Eines der ältesten Beratergremien Deutschlands, der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen - kurz WBGU - ist nun neu zusammengestellt worden. Doch ein ungewöhnlicher Streit verhindert den Start des neuen Gremiums.
Die Situation ist kurios: Seit Monaten wird um die neuen Räte gerungen, die aktuelle Legislaturperiode des WBGU endete eigentlich schon im Oktober 2012 - sie wurde kurzerhand verlängert. Obwohl das Wirtschaftsministerium eigentlich kein Berufungsrecht hat, stellt es sich quer. Ein Kabinettbeschluss lässt auf sich warten.
Der Grund für die Widerspenstigkeit: Beim WBGU geht es auch um die Ausrichtung der deutschen Umweltpolitik: Welche Schwerpunkte werden gesetzt, ökologische oder wirtschaftliche? Wer setzt sich durch, das Wirtschaftsministerium von Philipp Rösler (FDP) oder das Umweltministerium von Peter Altmaier (CDU)?
Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE sollen vier Ratsmitglieder ausgetauscht werden, die neuen WBGU-Mitglieder gelten sämtlich als umweltorientierte Professoren:
- Ellen Matthies, Umweltpsychologin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, erforscht insbesondere das Umweltschutzverhalten.
- Frauke Kraas, Geografin an der Universität zu Köln, beschäftigt sich vor allem mit der Entwicklung von Megastädten.
- Uwe Schneidewind, Ökonom und Präsident des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, ist Experte für nachhaltiges Wirtschaften.
- Peter Lemke, Eis- und Meeresforscher an der Universität Bremen, ist Experte für das Klima der Polarregionen.
Weiterhin im WBGU vertreten sind der Klimaforscher und langjährige WBGU-Vorsitzende Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK); Claus Leggewie, Politikwissenschaftler an der Justus-Liebig-Universität Gießen; Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn; Sabine Schlacke, Forscherin für Umweltrecht an der Universität Bremen und Nebojsa Nakicenovic, Experte für Energiewirtschaft an der Technischen Universität Wien.
Insbesondere gegen Schellnhuber, den WBGU-Vorsitzenden, gibt es im Wirtschaftsministerium Vorbehalte. Er würde "Mitte der beginnenden Amtszeit emeritiert und wäre dann ein Vierteljahrhundert Mitglied des WBGU", heißt es zur Begründung aus Kreisen des Ministeriums gegenüber SPIEGEL ONLINE. Um die "Debatte zu beleben", habe man zwei Ökonomen als Alternative vorgeschlagen.
Eigentlich geht es um die Frage, ob der WBGU neu ausgerichtet werden sollte. Bislang hat der Beirat vor allem Themen aus den Bereichen Ökologie und Klima bearbeitet. Nun wollten das Forschungsministerium, das zusammen mit dem Umweltministerium den WBGU beruft, sowie Röslers Wirtschaftsministerium eigentlich die Orientierung des Beirats ändern. Zukunftsfragen der Energiewirtschaft sollten angesichts der bevorstehenden Energiewende in den Fokus rücken. Die neuen Mitglieder indes stehen kaum für diese Themen.
Star im Hintergrund
Die Besetzung des WBGU stößt aber mittlerweile auch bei früheren WBGU-Mitgliedern auf Skepsis: "Die Stimme ökonomischer Vernunft" fehle dem Beirat, sagt ein Ratsmitglied der neunziger Jahre. Der WBGU sei zu einer Art Freundeskreis des langjährigen Vorsitzenden Hans Joachim Schellnhuber geworden.
Schellnhuber, WBGU-Gründungsmitglied von 1992, ist der Star im Hintergrund der deutschen Umweltpolitik. Der international angesehene Forschungsmanager gilt als Merkels Klimaflüsterer; er hat die Weltklimapolitik wesentlich geprägt. Die "Krankheit des Patienten Erde" sei diagnostiziert, sagte er schon Anfang der neunziger Jahre, der Planet benötige eine "Therapie". "Das Ansteckungspotential eines guten Bildes ist groß", hatte der Physiker Schellnhuber erkannt.
Vor allem das Thema Klimawandel habe gezeigt, wie nützlich der WBGU sein könne, sagt Rainer Hinrichs-Rahlwes, ehemaliger Staatssekretär im Umweltministerium der rot-grünen Regierung von 1998 bis 2005. Der Beirat stellte die Weichen für die entscheidenden Klimaverhandlungen von Kyoto 1997, als der erste Weltklimavertrag ausgehandelt wurde. Schon damals hatte der WBGU das Zwei-Grad-Ziel ausgerufen - die Erwärmung des Klimas sollte entsprechend begrenzt werden. Neben der Bundesregierung hat inzwischen auch die Europäische Union und die Uno das Zwei-Grad-Ziel als Richtlinie übernommen. Schellnhubers Thema ist ein Exportschlager.
Zorn und Spott
Doch mittlerweile häuft sich Kritik an den Gutachten des WBGU. Der letzte große Bericht las sich wie Schellnhuber in Reinkultur: Der Beirat erneuerte seine alte Forderung nach einer "Großen Transformation" der Zivilisation. Der ambitionierte Weltplan sieht kontinentale Arbeitsteilung vor: Die gemäßigten Breiten produzieren Nahrung, die Subtropen Sonnenenergie, und die Tropen dienen der Erholung und der Erhaltung der Artenvielfalt.
Das Gutachten sorgte für ungewöhnlich viel Zorn und Spott, insbesondere in konservativen Kreisen, auch im Wirtschaftsministerium. Der Beirat der Bundesregierung fordere eine "Ökodiktatur", hieß es in Dutzenden Kommentaren. Das "ideologische Pamphlet" habe dem WBGU geschadet, nörgeln aber auch alte WBGU-Weggefährten Schellnhubers. Es habe die Befürchtung bestätigt, dass Schellnhuber in dem Gremium Kontrahenten fehlten. In den neunziger Jahren bevölkerten den WBGU noch allerlei "neoliberale Wirtschaftswissenschaftler", wie die alten Kollegen sie heute abschätzig nennen.
Üblicherweise trifft sich der WBGU alle paar Wochen für zwei Tage in einem Forschungsinstitut. Die großen Gutachten entstehen aber schon mal in abgeschiedenen Hotels. "Damit sich niemand verdrücken kann", wie ein Teilnehmer berichtet. Extrem hohe Erwartungen waren bei seiner Gründung 1992 an den Beirat gestellt worden: Auf der ersten Sitzung mahnte Kohls Forschungsminister Heinz Riesenhuber die WBGU-Mitglieder: "Meine Damen und Herren, Sie haben die Aufgabe, die unbekannten Ozonlöcher zu entdecken." Darum ging es: Erkenntnisse über die Umwelt auszuwerten, Risiken aufzuspüren und politische Empfehlungen zu geben.
Von Merkel beeindruckt
"Die Arbeit im WBGU ist enorm aufwendig", erzählt Christine Neumann, die 1999, bereits ein Jahr vor Ablauf einer Legislaturperiode, aufgegeben hatte. Die globalen Themen erfordern auch Reisen ins Ausland. Zum Thema Wasserkrise ging's nach Jordanien, über Artenvielfalt informierte sich der WBGU in Costa Rica. Ein jährliches Zusatzhonorar von 20.275 bis 26.005 Euro entschädigt die Wissenschaftler für ihren Einsatz.
Erfolgreichste Phase des WBGU war Merkels Zeit als Umweltministerin von 1994 bis 1998. Die Physikerin beeindruckte die Ratsmitglieder: "Sie blätterte sofort in unserem Gutachten, stellte viele Fragen", erzählt die Psychologin Lenelis Kruse-Graumann, Beiratsmitglied von 1992 bis 2000. Jürgen Trittin, Bundesumweltminister von 1998 bis 2005, hingegen enttäuschte mit Passivität. "Wissenschaftliche Details schienen ihn eher zu langweilen", erinnert sich ein ehemaliges WBGU-Mitglied.
Mittlerweile aber steht der WBGU auch wegen der Einhelligkeit seiner Gutachten in der Kritik. Zwar erlaubt die Satzung des Beirats ausdrücklich, dass abweichende Meinungen in den Gutachten betont werden. Dennoch führen die Wissenschaftler in keinem ihrer Werke Minderheitenvoten auf. Man habe sich glücklicherweise immer einigen können, sagt Kruse-Graumann.
Macht statt Wahrheit?
Soziologen brandmarken die Einigkeit der Politikberater. Bürger sollten über alle Gestaltungsmöglichkeiten der Politik aufgeklärt werden, schreibt die Politikwissenschaftlerin Susanne Cassel vom Institut Econwatch. Doch noch immer diskutieren Gremien wie der WBGU vertraulich - um schließlich nur ihren Konsens zu präsentieren.
Die Hoffnung, mit eindeutigen Botschaften eher Gehör zu finden, treibt die Forscher: Abweichende Positionen schwächten die Durchschlagskraft, erklärt der Wirtschaftsforscher Horst Zimmermann von der Universität Marburg, WBGU-Mitglied von 1992 bis 2000. Dabei seien eindeutige Antworten auf dringende Zukunftsfragen meist gar nicht verfügbar, räumt der Soziologe Ortwin Renn ein, der ebenfalls in den Neunzigern zum WBGU gehörte. Opfern die Wissenschaftler die Wahrheit der Macht?
Dabei seien es oft die Politiker, die Berater zur Eindeutigkeit drängten, hat der Soziologe Peter Weingart beobachtet. Während die Wissenschaft häufig nur Wahrscheinlichkeitsprognosen treffen könne, brauche die Politik klare Antworten: ja oder nein.
Politiker wollten Empfehlungen verhindern
Politikberater sollten vor allem Faktenwissen zusammenstellen - und weniger Ratschläge geben, meint der Umweltforscher Roger Pielke junior. Themen wie Klimawandel oder grüne Gentechnik seien in erster Linie keine wissenschaftlichen Probleme, sondern Fragen der Werte. Die Gesellschaft - und nicht Experten - müsste folglich entscheiden, wie sie leben wolle.
Das Interesse von Politikern an ehrlichen Maklern scheint allerdings begrenzt - das zeigt die Erfahrung des WBGU. Allzu offensichtliche Widersprüche zur Regierungspolitik waren ungern gesehen. Die Forderung des WBGU nach höherer Entwicklungshilfe in den neunziger Jahren etwa hätten Ministerialbeamte gerne aus den Gutachten getilgt, berichtet Kruse-Graumann.
Und auch das Landwirtschaftsministerium der Regierung Kohl war wenig angetan, als der WBGU die Umweltverschmutzung durch Dünger anprangern wollte. Dreimal habe der Ministerialbeamte bei der Abschlussklausur gefragt, ob die Passagen "denn so stimmten", berichtet ein Beteiligter. Doch die Wissenschaftler seien bei ihrer Version geblieben. "Die Kritik des Bauernverbandes haben wir uns dann über den Schreibtisch gehängt", erzählt der Forscher stolz.
Was ist zu befürchten?
Doch was haben Politiker zu befürchten von einem unangenehmen Gutachten der Räte? Nicht viel, räumt Zimmermann ein. Der Einfluss des Beirats hänge vor allem davon ab, wie intensiv Medien über die Gutachten berichten. Abseits vom Thema Klimawandel gab es jedoch wenig Resonanz, erinnert sich Kruse-Graumann.
Auch Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hält die Wirkung der Gutachten für sehr begrenzt: "Ständige Beiräte sind weitgehend wirkungslos", sagt er. Manchmal erzeugten die Gutachten immerhin ein schlechtes Gewissen bei Politikern. Allerdings würden nur wenige Vorschläge umgesetzt.
Konkrete Gesetzestexte seien aber auch keineswegs Angelegenheit des Beirats, kontert Kruse-Graumann: "Aufgaben des WBGU sind die Analyse und langfristige Therapievorschläge." Der Einfluss des Rates mache sich manchmal indirekt bemerkbar, meint Zimmermann: "Manche Formulierungen in Gesetzestexten kommen uns seltsam bekannt vor."