Festtagswetter Mythos von der weißen Weihnacht

Mal wieder heißt es warme Weihnacht statt weiße Weihnacht. Doch auch früher war Schnee an den Feiertagen eher selten. Wissenschaftler führen die Sehnsucht nach einem winterlichen Christfest unter anderem auf Postkarten aus dem Jahr 1863 zurück.

Hamburg - Alle Jahre wieder die gleiche Enttäuschung: kein Schnee zu Weihnachten. Früher hingegen, so heißt es oft, gab es zu den Festtagen meist eine geschlossene Schneedecke. Heutzutage aber dominiere graue Tristesse. Doch das ist ein Irrtum: Weiße Weihnachten in Mitteleuropa gehen offenbar auf ein Postkarten-Klischee zurück.

In Deutschland ist Heiligabend traditionell grün. "Trotz der globalen Klimaerwärmung sind weiße Weihnachten in den vergangenen hundert Jahren nicht seltener geworden", berichtet der Deutsche Wetterdienst DWD. Dieses Jahr allerdings sei es ungewöhnlich warm. Normal herrschten vier bis acht Grad, derzeit sind es mehr als zehn.

Der Dezember ist laut Statistik ohnehin der dunkelste und nebligste Monat - und einer der niederschlagsreichsten. Wobei eher Regen fällt als Schnee. "Für das deutsche Flachland ist weiße Weihnacht fast ein kleines Wunder", sagt Gerhard Müller-Westermeier vom DWD. Der Winter hat im Dezember gerade erst begonnen, die größte Kälte steht noch aus.

Die Weiße-Weihnacht-Regel

Der erste Schnee der Saison fällt zwar oft bereits im November. Doch milde Westwinde bringen dann das berüchtigte Weihnachtstauwetter. Mitte des 20. Jahrhunderts flauten diese Strömungen ungewöhnlich stark ab. Wenn ältere Leute von früheren Schneewintern erzählen, meinen sie wahrscheinlich jene Jahre zwischen 1939 und 1974. In diese Zeit fielen so viele kalte Winter, dass einzelne Wissenschaftler orakelten, das Klima würde auf eine Eiszeit zusteuern. In den Alpen wurden zahlreiche Skilifte errichtet. Indes: Weihnachten blieb selbst damals meist grün.

Erst im Gebirge steigen die Chancen auf Schnee zu den Feiertagen. Die Weiße-Weihnacht-Regel lautet: Je näher zur Küste und je niedriger gelegen eine Region, desto geringer die Chancen. 1981 gab es zuletzt in ganz Deutschland weiße Weihnacht. 2010 fiel immerhin am Abend des 24. Neuschnee, der über die Feiertage liegenblieb.

München ist die deutsche Großstadt mit der höchsten Chance auf weiße Weihnacht. In der bayerischen Hauptstadt liegt dem DWD zufolge vom 24. bis 26. Dezember etwa in zwei von fünf Jahren eine geschlossene Schneedecke. Dresden feiert immerhin alle fünf bis sechs Jahre weiße Weihnachten, Hamburg und Frankfurt am Main alle neun Jahre. Das Rheinland kann nur jedes zehnte Jahr mit Schnee rechnen.

Wandlung auf Postkarten

Das Ideal einer geschlossenen Schneedecke stamme aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, hat die Klimaforscherin Martine Rebetez von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in der Schweiz herausgefunden. Um 1860 sei eine markante Wandlung auf Postkarten zu beobachten.

Zuvor war darauf kein Schnee abgebildet; herbstlich anmutende Szenerien prägten die Festtagskarten: Ein Weihnachtsmann klettert mit Geschenken beladen über unverschneite Dächer. Auf einer anderen Weihnachtskarte sind Menschen dargestellt, die in gemütlicher Runde trinken - inmitten einer üppigen Dekoration aus Weintrauben.

Von 1863 datiert eine der ersten modernen Weihnachtskarten, berichtet Rebetez. Die Karte zeigt den Weihnachtsmann auf einem verschneiten Dach sitzend. Hinter ihm liegt eine weiße Dorfidylle, über der der Vollmond prangt.

Klischee selbst in Australien

Inspiriert seien die Bilder wohl vom winterlichen Neuengland in den USA oder dem Schweizer Hochgebirge, meint Rebetez. Dort liegt Weihnachten tatsächlich zumeist Schnee. Bald kamen die romantischen Postkarten in Mode; vor allem Einwanderer schickten sie aus den USA an ihre zurückgelassenen Verwandten in Europa. Die helle, glitzernde Landschaft wirkte friedlich und aufgeräumt. Bislang hatten die Europäer das Winterklima eher gefürchtet.

Bald zeigten selbst australische Weihnachtskarten verschneite Landschaften, obgleich dort im Dezember Hochsommer herrscht. Doch während Australier mühelos erkennen, dass sie Bilder einer anderen Kultur vor sich haben, scheint es sich für Mitteleuropäer um Szenen einer vergangenen Epoche zu handeln.

Künftig könnte Schnee zu den Feiertagen noch seltener werden. "Geht die Klimaerwärmung weiter wie vorhergesagt", sagt Müller-Westermeier, "werden unsere Enkelkinder in 50 Jahren weiße Weihnachten in Deutschland fast nur noch aus dem Fernsehen kennen."

Auch für die nahe Zukunft sagen Meteorologen keinen Schnee voraus: Die nächsten Tage blieben windig, regnerisch und mild, sagt der Deutsche Wetterdienst. Nach Neujahr könnte eine alte Bauernregel helfen: "Ist bis zum Dreikönigstag kein Winter, so kommt auch keiner mehr dahinter", heißt es. In den meisten Jahren hat sie sich als korrekt erwiesen. Um den 6. Januar herum dürfte sie also nochmals aufflammen, die Hoffnung auf Schnee.

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