Fotostrecke

Landwirtschaft: Schuften im Dienst einer hungrigen Welt

Foto: A2800 epa Narendra Shrestha/ dpa

Welternährung Klimawandel bedroht globale Getreideernte

Die Temperatur steigt, die Ernteerträge fallen: Forscher haben überprüft, wie sich die Erderwärmung in den vergangenen 30 Jahren auf die Produktion von Getreide ausgewirkt hat. Vor allem Weizen und Mais sind betroffen - ein massives Problem für die Versorgung der Weltbevölkerung droht.

Das Heer der Hungrigen wird bedrückend groß sein. Nach einer aktuellen Uno-Statistik werden im Jahr 2100 voraussichtlich 10,1 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Das sind gut drei Milliarden mehr als heute. Allein den größten Teil mit genügend Nahrung zu versorgen, erscheint als immense, vielleicht auch schlicht unlösbare Herausforderung. Laut Schätzungen der Uno gelten aktuell rund eine Milliarde Menschen als unterernährt.

Der Klimawandel könnte die Lage in Zukunft weiter erschweren. Eine aktuelle Studie belegt eindrücklich, wie sich steigende Temperaturen und sich ändernde Niederschlagsmuster auf die Nahrungsmittelproduktion der Welt auswirken. Zusammen mit zwei Kollegen berichtet David Lobell von der Stanford University im Fachmagazin "Science" von einer Studie für den Zeitraum zwischen 1980 und 2008.

Die Wissenschaftler haben sich dafür die Erträge von Weizen, Mais, Soja und Reis angesehen. Diese vier Pflanzen sind für etwa 75 Prozent des Kalorienbedarfs der Menschheit direkt oder indirekt verantwortlich. Das heißt, sie werden entweder direkt verputzt oder dienen Tieren als Futter, die ihrerseits später auf dem Teller landen.

Absolut gesehen sind die Erträge der vier Pflanzenarten in den vergangenen drei Dekaden massiv gestiegen - eine gute Nachricht für die Hungernden der Welt. Bei der Auswertung von Produktions- und Anbaudaten der Uno-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation sowie Informationen aus dem Klimaarchiv der University of Delaware zeigte sich aber: Der Klimawandel lässt den Ertragsanstieg zumindest bei Weizen und Mais geringer ausfallen als es ohne die Erderwärmung der Fall gewesen wäre - und zwar um drei bis fünf Prozent. Soja und Reis wurden von den Klimadaten dagegen nicht beeinflusst.

CO2-Düngung nicht berücksichtigt

Zu diesen Ergebnissen kamen die Forscher mit Hilfe von Computermodellen: Nach langfristigen Statistiken sind die weltweiten Temperaturen seit 1950 um 0,13 Grad pro Dekade gestiegen. Diese Werte setzten Lobell und seine Kollegen im Modell ein und berechneten so die Getreideerträge der vergangenen rund 30 Jahre. Ein anderes Mal taten sie dagegen so, als habe es den Temperaturanstieg nicht gegeben. Gleichzeitig versuchten die Forscher andere Einflüsse auf die landwirtschaftliche Produktion herauszurechnen - etwa eine steigende Produktivität, bessere Technologien und dergleichen.

Fotostrecke

Grafiken: Der Klimawandel und die Ernten

Foto: SCIENCE/ AAAS

Einen Umstand berücksichtigen die Forscher in der aktuellen Arbeit aber nicht: Schuld an den zunehmenden Durchschnittstemperaturen ist bekanntlich die steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Müsste diese aber nicht wiederum für steigende Erträge auf den Äckern sorgen? Schließlich nutzen Pflanzen CO2 zur Energiegewinnung bei der Photosynthese. Die Antwort auf diese Frage bleiben auch Lobell und Kollegen schuldig - unter anderem deshalb, weil die Forschungslage zur sogenannten CO2-Düngung noch nicht eindeutig ist. So hatten US-Forscher im vergangenen Jahr gezeigt, dass den meisten Pflanzen hohe Kohlendioxidkonzentrationen auch schaden können.

Bereits vor rund sechs Wochen hatte Lobell zusammen mit Wissenschaftlern des International Maize and Wheat Improvement Center (CIMMYT) berichtet, wie stark die Maisproduktion im südlichen Afrika durch zunehmende Hitze behindert wird - vor allem bei Tempetraturen jenseits der 30 Grad. Grundlage des Artikels im Fachmagazin "Nature Climate Change"  waren rund 20.000 Pflanzversuche zwischen 1999 und 2007.

In diesem Fall hatten die Forscher auch die starke Trockenheit für die Probleme verantwortlich gemacht. Global gesehen, das zeigt nun die aktuelle Arbeit, fallen die Änderungen der Niederschlagswerte dagegen regional sehr unterschiedlich aus. Ein weltweiter Trend lässt sich in diesem Fall nicht aus der Statistik ablesen.

USA als überraschender Ausreißer

Bei der Auswertung der Daten fanden die Wissenschaftler allerdings eine bemerkenswerte Ausnahme: Die Anbaugebiete in den USA, von denen etwa 40 Prozent der weltweiten Mais- und Sojaproduktion stammen, haben sich in den 30 Jahren des Studienzeitraums offenbar kaum erwärmt - im Gegensatz zu großen Teilen der Landwirtschaftsflächen in der restlichen Welt.

"Langfristig wird die USA auch wärmer werden", gibt sich Wolfram Schlenker im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE sicher. Er arbeitet an der Columbia University und dem National Bureau of Economic Research in New York und ist einer der Co-Autoren der "Science"-Veröffentlichung. Bisher, so Schlenker, könnte Amerikas Erwärmung durch zufällige Effekte oder den Einfluss von Schwebeteilchen, sogenannten Aerosolen, ausgeblieben sein.

In anderen Teilen der Welt hatte der Klimawandel dagegen in den vergangenen 30 Jahren schon massiven Einfluss auf die Ernten. Das mussten zum Beispiel die Weizenbauern in Russland, der Türkei oder Mexiko lernen. Dort wurden die Erträge besonders stark von der Hitze beeinflusst. Auch die Maisausbeute in China und Brasilien wurde wegen der hohen Temperaturen deutlich gedrückt.

"Das Klima ist nur ein Faktor, der die Zukunft (oder Vergangenheit) der Lebensmittelpreise beeinflusst", schränken die Forscher in ihrem Artikel ein. Sie gehen aber davon aus, dass die von ihnen beobachteten Produktionsrückgänge auch für den langfristigen Anstieg der Lebensmittelpreise verantwortlich sind. Dabei geht es jährlich um zweistellige Milliardenkosten weltweit.

Katastrophal für die globale Landwirtschaft

"Wenn die Temperaturveränderungen zwei Grad erreichen", warnt Andy Jarvis von der Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR) im kolumbianischen Cali, "dann könnte das katastrophal für die globale Landwirtschaft werden und massiven Einfluss darauf haben, ob sich die Gesellschaft mit Nahrung versorgen kann."

Allerdings könnten steigende Lebensmittelpreise, so schreiben die Forscher, die Bauern durchaus auch zu mehr Innovationen animieren - weil sich Leistung lohnen würde. Und davon könnte wiederum die Produktion profitieren. Für Cary Fowler, Chef des Global Crop Diversity Trust in Rom, ist die Arbeit von Lovell und seinen Kollegen trotzdem ein Alarmsignal: "Wir stecken in großen Schwierigkeiten. Die Nahrungsmittelproduktion leidet bereits unter höheren Temperaturen, wie diese Studie zeigt", sagt der Träger des Alternativen Nobelpreises im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Die menschlichen Kosten werden unvorstellbar sein, wenn wir einfach weitermachen, als sei nichts geschehen."

Fowler schlägt deswegen vor, neue Arten zu entwickeln, die auch bei größerer Hitze noch produktiv sind. "Gibt es etwas wichtigeres, das wir zur Anpassung an dem Klimawandel tun können? Ganz sicher nicht!", sagt Fowler. Ausgangspunkt sollten Pflanzen sein, die bereits jetzt in Gegenden mit widrigen Umweltbedingungen gedeihen.

An große Fortschritte glaubt Forscher Schlenker aber nicht: "Die landwirtschaftlichen Produzenten waren in der Vergangenheit nicht gut darin, ihre Pflanzen besser an die Hitze anzupassen." Untersuchungen in den USA hätten gezeigt, dass sowohl Pflanzen im heißen Süden als auch im kühlen Norden wenig hitzetolerant sind - obwohl sich im Süden eigentlich widerstandsfähigere Arten hätten durchsetzen müssen. "Es ist sehr schwierig, sich anzupassen. Sonst hätten das die Leute im Süden der USA ja getan", sagt der Forscher. "Ich bin da eher pessimistisch."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten