Christian Stöcker

Naturschutz Wespen sind Idioten

Die Wespe hat Deutschland fest im Griff diesen Sommer. Naturschützer raten Menschen, mit ihrem eigenen Sommer zu pausieren, bis die Wespen mit ihrem fertig sind. Wie weltfremd.
Foto: Danielle Tunstall/ Getty Images

"Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar, lehnte mich wieder nach vorne und beobachtete wie die Wespe dort, wo sie hingestürzt war, auf dem teils rußigen, teils regenbogenfarbenen Stahlgitter herumkrabbelte, das einst als Teesieb verkauft worden war, aber nun über einer Schüssel mit Benzin hing. Ich lächelte reumütig."

Iain Banks, "Die Wespenfabrik" (1984, eigene Übersetzung)

Zwei Organismen stehen einander gegenüber. Der eine ist ein mit Strafe und Belohnung vergleichsweise leicht beeinflussbares Geschöpf, seinen Reflexen nahezu hilflos ausgeliefert, ängstlich und schreckhaft.

Der andere ist eine Wespe.

Diese archetypische Konfrontation ereignet sich derzeit täglich. Im Juni gab es keine Schafskälte, so konnten Insektenvölker ungestört weiterwachsen. Jetzt sind sie überall. Die Wespen, oder, wie ich sie nenne: die fliegenden Idioten.

Als politische Metapher taugt die Wespe nicht, obwohl sich erwartungsgemäß die AfD für sie interessiert, dazu später. Die Insekten sind keine Migranten - eine der beiden häufigsten und damit lästigsten Arten heißt sogar "Deutsche Wespe", die andere passenderweise "Gemeine Wespe", und auch die ist einheimisch.

Wespen gedeihen zwar bei Wärme ausgezeichnet, aber auch als Symbol für die Gefahren des Klimawandels sind sie nicht geeignet. Im Gegenteil, gerade Umweltschützer sind große Fans der Wespe. Wespen füttern ihre Brut mit Insektenlarven, sind also Schädlingsbekämpfer und zum Beispiel für biologischen Lebensmittelanbau quasi unerlässlich. Sagen die Naturschützer.

"Nicht pusten!" und andere gutgemeinte Ratschläge

Das ist sicher richtig, und ich persönlich habe überhaupt nichts dagegen, wenn Wespen die Brut einer anderen Spezies an ihre eigenen Nachkommen verfüttern. So lange es nicht meine Brut ist.

Nun leben meine Familie und ich in einer Großstadt, meines Wissens gibt es im Umkreis mehrerer Kilometer keine Biobauernhöfe. Aber Wespen. Und zwar so viele, dass sie heuer an jedem mir bekannten Ort, an dem sich Menschen essend oder trinkend im Freien aufhalten zum zentralen Gesprächsthema geworden sind. Im Café, im Freibad, auf der Terrasse, dem Balkon, im Garten und im Biergarten. Endlich könnte man mal den ganzen Sommer draußen sein, sagen die Leute. Und dann das.

Dazwischen bläst mal einer eine weg und wird von den Umsitzenden sofort ermahnt: "Nicht pusten!", denn das erhöht die Gefahr, dass sie stechen. Das weiß mittlerweile jeder, trotzdem bekommt man es ständig erklärt. Wegwedeln soll man sie auch nicht, jedenfalls nicht "hektisch", sondern gaaanz langsam. "Nicht in Panik" geraten, heißt es , aber sagen Sie das mal einem Kind, in dessen Ohr es plötzlich laut und bedrohlich surrt. Überhaupt soll man sich nicht so haben, weil Wespen eigentlich total unaggressive Tierchen sind, die nur angreifen, wenn sie sich bedroht fühlen. Dann allerdings möglicherweise mit Verstärkung.

Irrlichternde, halbblinde Schwachköpfe

Die Experten, die zum Thema befragt werden, stehen immer auf der Seite der Wespe. Ich halte das für ein gutes Beispiel für nicht ganz geglückte Wissenschaftskommunikation. Der "Süddeutschen"  sagte eine Wespenforscherin kürzlich, es gebe auch diesen Sommer "immer noch nicht genug Wespen, um die Ökosysteme richtig aufrechtzuerhalten".

Ich weiß nicht, welche Ökosysteme sie meinte, aber unser Stadtgarten kam vergangenes Jahr auch mit weniger Wespen ganz gut über die Runden. Der Tenor der Ratschläge und Belehrungen ist immer: "Habt Euch nicht so, ihr Menschen!" Ich glaube nicht, dass man so jemanden überzeugt.

Wespen stechen Menschen meist aufgrund dummer Zufälle - in den T-Shirt-Ärmel verirrt und in Panik geraten, aus Trotteligkeit in den Mund geflogen, im Gras gesessen, wo jemand barfuß hintritt, ins Getränk gestürzt und dann panisch in den Rachen gestochen. Wespen sind irrlichternde, bewaffnete Schwachköpfe, die halbblind auf und um Riesen herumklettern. Wäre das anders, hätten wir auch kein Problem mit ihnen. So aber töten die Idioten etwa 20 Menschen pro Jahr, in schlimmen Jahren auch mal 40. Wespen sind hierzulande gefährlicher als Terroristen und Wölfe zusammen.

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Wespe, Schwebfliege, Hornisse: Was schwirrt denn da?

Foto: Peer Grimm/ picture-alliance / dpa/dpaweb

Wir sollen den Konflikt zwischen Mensch und Wespe mit Gelassenheit lösen, dabei basiert er maßgeblich auf der enormen Inkompetenz der Insekten. Warum fliegt die Wespe so hektisch vor einem herum, warum landet sie auf Menschenhaut, vorzugsweise auch noch in der Nähe von Ohren, Augen und Mund? Weil sie nur dann richtig sehen kann, wenn sie sich bewegt, weil sie gern nah an Dinge heranfliegt, um sie zu erkennen. Und weil Variationen der Oberflächenstruktur wie die von Mund, Augen und Ohren so interessant aussehen.

Der dezentrale antiwespische Untergrund (DAU)

Doof sind die Wespen, richten sollen es aber wir. Man soll Essen im Freien abdecken, aber wie isst man es dann? Man soll entweder einen Teller mit verdorbenem Obst am anderen Ende des Gartens aufstellen oder auch nicht, je nachdem, welchen Experten man fragt. Man soll sich nicht zu bunt anziehen. Man soll duftende Hautcremes oder Parfums meiden. Oder einfach gleich drinnen essen. Den ganzen Sommer über, bis in den Oktober hinein, wenn es dumm läuft. Erklären sie das mal einem Gastwirt.

Kurz: Wir Menschen sollen unseren Sommer und alles, was dazugehört bitte hintenanstellen, bis die Wespen mit ihrem Sommer fertig sind. Wie viele andere finde ich das keine akzeptable Option.

Das vorletzte Thema, dem sich die Wespenkonversationen früher oder später zuwenden, ist immer das Naturschutzgesetz : Wie teuer es werden kann, wenn man selbst in den Krieg zieht. "Bis zu 50.000 Euro Strafe!", schallt es über die Biergartentische.

Und dann werden raunend Geschichten ausgetauscht. Geschichten über die Rebellen, den dezentralen antiwespischen Untergrund (DAU), den es in diesem Land Gerüchten zufolge längst gibt. Leute, die das Recht in die eigene Hand nehmen, weil sie durchaus "vernünftige Gründe" - so heißt es im Gesetz - erkennen können, den Wespen in ihrem Rolladenkasten oder Garten selbst den Garaus zu machen. Mit Klebeband, Fliegengitter und Gift aus der Spraydose. Oder mit Wasser und einem starken Staubsauger. Mordmethoden werden flüsternd weitererzählt. Iain Banks eingangs zitierter Debütroman über einen schwer gestörten Jugendlichen soll sich Gerüchten zufolge exzellent verkaufen dieses Jahr.

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Iain Banks

Die Wespenfabrik (exquisite corpse: Schriften zu Ästhetik, Intermedialität und Moderne)

Verlag: Milena Verlag
Seitenzahl: 242
Für 23,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

01.04.2023 17.24 Uhr

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Ok, das ist gelogen (aber lesen Sie das Buch ruhig, das lohnt sich).

Aber wie oft wird eigentlich jemand bestraft?

Der subversive, illegale Kampf gegen die schwarz-gelben Invasoren hat sich gefühlsmäßig zu einer Art zivilem Ungehorsam entwickelt, zum Stoff für Legenden. Die AfD in Nordrheinwestfalen, bekanntlich die Partei des "Widerstands" gegen "das System", hat die Rebellen und ihre Sympathisanten prompt als potentielle Wähler ausgemacht.

Eine empört klingende kleine Anfrage  an die dortige Landesregierung zur Bestrafung von Wespenkillern erbrachte diesen Sommer für den DAU erfreuliche Erkenntnisse: In den vergangenen Jahren haben Behörden in Nordrhein-Westfalen drei "Verstöße gegen § 39 Absatz 1 BNatSchG" geahndet. Einmal ging es um illegale Bärlauch-Ernte, einmal um "die Beseitigung eines Gehölzriegels" - und einmal um ein Wespennest. Der Täter im letzteren Fall kam mit einem Verwarnungsgeld in Höhe von 45 Euro davon. Immer noch billiger als der Kammerjäger.

An dieser Stelle sei aber betont, dass von derartiger Selbstjustiz nicht nur aus juristischer Perspektive, sondern auch aus Gründen der persönlichen Sicherheit dringend abzuraten ist.

Im Video: Wespennest ausgegraben - Stiche durch den Schutzanzug

SPIEGEL ONLINE

Ich bin sehr gespannt, ob der Deutsche Schädlingsbekämpferverband im Spätherbst mit Pomp glänzende Geschäftszahlen für die zurückliegende Saison vorlegen wird. Kammerjäger haben im Moment viel zu tun, und sie entscheiden vielerorts offenbar vor Ort gleich selbst, ob ein Einschreiten geboten ist.

Ich habe den Verdacht, dass in diesen Schnellgerichten selten zugunsten der Wespe entschieden wird. Und ich finde das völlig in Ordnung.

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