Wilderei in Afrika "Nashorn hat den Straßenpreis von Heroin"

Robert Muir, 38, ist Chef des Afrika-Büros der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt im Serengeti-Nationalpark in Tansania.
SPIEGEL ONLINE: Wie steht es um die Elefanten und Nashörner der Serengeti?
Robert Muir: Wir haben gute Nachrichten. Die Zahl der Elefanten steigt. Wir sehen sehr viele Jungtiere, und das, obwohl der Trend in den meisten Regionen Afrikas eigentlich in die andere Richtung geht. Wir haben im vergangenen Jahr um die 6000 der Tiere hier im Park gezählt. 2009 waren es noch 3068. Auch die Zahl der Nashörner steigt langsam an. Anfang der Neunzigerjahre lebten nur noch sehr wenige Spitzmaulnashörner in der Serengeti. Heute sind es wieder an die 50.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommt das?
Muir: Die Nationalparkbehörde Tanapa zeigt ständig Präsenz und macht einen fantastischen Job. Mehr als 300 Ranger patrouillieren regelmäßig die Serengeti. Außerdem konnten in letzter Zeit einige der Hauptverantwortlichen für die Wilderei festgenommen werden. Und auch die Touristen sind hilfreich. Je mehr Leute hier herumfahren, desto schwieriger ist es für die Wilderer, versteckt zu operieren.
SPIEGEL ONLINE: Im vergangenen Jahr gab es eine große landesweite Elefantenzählung in Tansania. Umweltminister Lazaro Nyalandu hat kürzlich gesagt, dass der Trend positiv sei. Was man aber hört ist, dass der Trend landesweit eher nach unten geht.
Muir: Ja, und das ist wirklich beunruhigend. Die Regierung tut bereits viel, muss aber sicherlich noch viel härter durchgreifen. Ich glaube nicht, dass sich so viele Tonnen Elfenbein, wie wir sie in Tansania verloren haben, aus dem Land schaffen lassen, ohne dass Personen etwa bei Behörden oder sogar in den Schutzgebieten selbst Wind davon bekämen. Das Beispiel Südafrika zeigt, dass wir da nicht naiv sein dürfen. Die Wilderer vor Ort haben es immer noch viel zu leicht. In viele Parks kommen sie problemlos hinein. Dann können sie in kürzester Zeit eine enorme Menge von Elefanten töten. Sie schießen die Elefanten ab oder vergiften sie. Dafür präparieren sie Wassermelonen mit Gift und legen sie in der Nähe von Wasserlöchern aus. Diese Giftköder töten innerhalb von Minuten. Die ganze Herde wird getötet, selbst die Jungtiere, die noch gar kein Elfenbein haben. Das ist verheerend.
SPIEGEL-Wissenschaftsredakteur Philip Bethge war im Serengeti-Nationalpark auf den Spuren des deutschen Tierschützers Bernhard Grzimek unterwegs. Was er dort entdeckte, berichtet er im Video:
SPIEGEL ONLINE: Noch schlimmer als die Situation der Elefanten ist derzeit die Situation der Nashörner. Von den Spitzmaulnashörnern gibt es in ganz Afrika nur noch rund 5000, von den Breitmaulnashörnern noch rund 20.000 Exemplare.
Muir: Nashorn wird leider in Ländern wie Vietnam oder China derzeit sehr nachgefragt, sogar mehr als Elfenbein. Gramm für Gramm hat es den Straßenpreis von Heroin. Die Käufer glauben, dass Nashorn besondere Wirkungen hat, etwa als Krebsmittel oder um den Kater nach einer durchzechten Nacht zu lindern. Das ist natürlich Unfug. Das Horn der Tiere ist aus demselben Material wie unsere Fingernägel und bewirkt gar nichts. Dennoch wird der Besitz der Substanz als Zeichen von Wohlstand angesehen. Zum Glück sind die Nashörner der Serengeti bislang nicht im gleichen Maß Ziel der Wilderei wie etwa jene des Krüger Nationalparks in Südafrika. Dort werden täglich mehrere der Tiere gewildert. Allerdings könnten auch in der Serengeti viel mehr Nashörner leben. Das Ökosystem hat sicher Platz für mehrere Tausend von ihnen. Noch vor hundert Jahren gab es hier mehr Nashörner als Elefanten.
SPIEGEL ONLINE: Was kann getan werden?
Muir: Wenn wir wirklich erfolgreich sein wollen im Kampf gegen die Wilderei, müssen wir mehr tun, als nur die Parks zu überwachen. Dort können die Ranger oftmals erst reagieren, wenn sie einen Schuss hören. Dann jedoch ist es zu spät. Wir müssen viel aktiver gegen die Hintermänner der Wilderei vorgehen. Woher kommen die Waffen, woher die Munition? Wo sind die Verstecke der Wilderer? Wie funktionieren die Handelsketten? Erst wenn wir im Detail wissen, wie die Wilderer vorgehen, können wir ihre Netzwerke zerstören. Ganz entscheidend ist es aber, die Bevölkerung um die Schutzgebiete herum für den Naturschutz zu gewinnen. Dafür sind Bildung und die Schaffung von wirtschaftlichen Alternativen der Schlüssel.

Serengeti-Nationalpark: Am Sehnsuchtsort Bernhard Grzimeks
SPIEGEL ONLINE: Wie können Sie den Schutz der Tiere in der Serengeti noch verbessern?
Muir: Wir haben in Seronera inmitten des Parks einen Operationsraum für die Anti-Wilderer-Einheit der Tanapa gebaut. Dort werden bald alle Informationen aus dem Park in Echtzeit zusammenlaufen, zum Beispiel die Position der Ranger und die Position der Nashörner, die teilweise mit GPS-Sendern ausgestattet werden sollen. Außerdem planen wir, ein Leichtflugzeug anzuschaffen, mit dem der Park großflächig aus der Luft überwacht werden kann. Denn wir rechnen damit, dass sich das Problem der Wilderei in der Serengeti noch deutlich verschärfen wird. Im Moment wählen die Wilderer noch die leichten Ziele. Aber mit der steigenden Zahl an Elefanten in der Serengeti habe ich keinen Zweifel, dass sie bald vermehrt hierher kommen werden. Die Nachfrage nach Elfenbein ist einfach viel zu groß, die Gewinnspanne viel zu hoch. Im Moment haben wir noch die Chance, die Sicherheit zu verbessern, bevor der Ansturm richtig losgeht. Wir sollten diese Chance nutzen.
Lesen Sie mehr über den Naturschutz in der Serengeti und Bernhard Grzimek, den deutschen Tierschutzpionier, der sie vor 50 Jahren rettete.