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Gefahr von unten: Bröckelnde Barriere

Foto: A9999 Hans-Christian Wöste/ dpa

Antarktis Unheimliche Strömungen zerfressen das Eisbollwerk

Ein Bollwerk aus Eis vor der Küste der Antarktis bremst den Anstieg der Meere - Gletscher aus dem Hinterland können nicht daran vorbei. Doch Seltsames geschieht: Die Barriere bricht, obwohl die Luft dort kaum wärmer wird. Forscher meinen nun, die Ursache entdeckt zu haben. 

Unheimliches geht vor an der Küste der Antarktis. Vor dem Südkontinent liegen mächtige Eiszungen im Wasser. Wie Türsteher blockieren die sogenannten Schelfeis-Blöcke nachströmende Gletscher aus dem Hinterland. Sie bestimmen, wie viel Eis ins Meer gelangt - und damit auch, wie stark der Meeresspiegel weltweit steigt.

Die Lage schien einigermaßen unter Kontrolle. Jedenfalls hat sich die Luft in weiten Teilen der Antarktis noch nicht so stark erwärmt, dass das Eis am Rande des Südpols dramatisch tauen würde. Doch nun zeigt eine Studie, dass sich die Luft gar nicht aufheizen muss, um die Schmelze zu beschleunigen. Eine schleichende Verwandlung des Wassers reiche aus, um die Eisbarriere ins Wanken zu bringen.

Neue Daten zeigen, dass das Schelfeis seine Kraft verliert, obwohl es an seiner Oberfläche nur wenig taut. Die Folgen bereiten Sorgen: In den vergangenen Jahren schoben sich die Gletscher aus dem Hinterland schneller gen Meer - die Eisbarrieren haben also an Wirkung verloren. Immer häufiger krachten Eisberge in den Ozean vor der Antarktis und drifteten nach Norden. Kommen die Gletscher nun gefährlich ins Rutschen, so dass sich der Anstieg der Meere beschleunigt?

Tiefe Schluchten unterm Eis

Forscher meinen jetzt ansatzweise herausgefunden zu haben, was vor sich geht: Nicht etwa wärmere Luft lasse Eiszungen hauptsächlich bröckeln, vielmehr lösten sich die Kolosse von unten her auf. In tiefen Schluchten unter dem Eis sammelte sich vergleichsweise warmes Wasser, das das Schelfeis von unten her zerfresse. Eine rätselhafte Änderung der Winde treibe die Strömungen, berichten Glaziologen um Hamish Pritchard vom British Antarctic Survey (BAS) im Wissenschaftsmagazin "Nature" .

"Um das Schwinden der Eismassen zu verstehen, müssen wir ins Meer blicken", erläutert David Vaughan vom BAS, Mitautor der Studie, am Mittwoch auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU) in Wien: Die größten Eisverluste habe es in Regionen gegeben, in denen das antarktische Meer mit vier Grad vergleichsweise mild sei.

Warum jedoch gelangen die milden Strömungen so nah an den Kontinent? Ein direkter Zusammenhang mit der Klimaerwärmung lasse sich nicht herstellen, sagt Vaughan. Vielmehr tippen die Experten darauf, dass sich die Winde verändert hätten.

Das Rätsel der Stürme

Frühere Studien  haben bereits gezeigt, dass stärkere Südpolarstürme in den vergangenen Jahrzehnten wärmeres Wasser an die Eiskante gebracht haben. Die Winde trieben kaltes Oberflächenwasser von der Küste weg, das Platz machte für milde Tiefenströmungen. "Aber was genau geschieht, wissen wir nicht", räumt Vaughan ein.

Die Beweise für den Schelfeis-Schwund stammen aus dem All: 4,5 Millionen Lasermessungen von Satelliten aus haben die Dicke von 54 Schelfeis-Schollen von 2003 bis 2008 vor der Antarktis vermessen; 20 der Eiskolosse wurden kleiner. Manche Eiszungen vor der Westantarktis sanken pro Jahr um sieben Meter ein, berichten die Forscher in "Nature".

Die Messungen sind jedoch unsicher. Gezeiten, Wetterschwankungen, Meeresspiegeländerungen können den Satelliten falsche Schelfeis-Höhen vorgaukeln. Um ihre Daten zu überprüfen, glichen die Forscher sie mit Radarmessungen ab.

Dass sich die Schelf-Barriere gelockert habe, beweise auch das Eis dahinter, berichten die Experten auf der EGU-Tagung: Alle Gletscher hinter schwindendem Schelfeis rutschten beschleunigt ins Meer. Zu hoffen sei, dass die Winde erneut drehen würden, sagt Vaughan. Die Chancen stünden nicht schlecht: Das Klima in der Region sei offenbar deutlich variabler als angenommen.

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