Øivind Tøien, University of Alaska Fairbanks

Winterschlaf-Erforschung Was wir von schlummernden Bären lernen können

Schwarzbären sind gefährliche Raubtiere, aber im Winterschlaf sind sie wahre Energiespar-Weltmeister. Ihre Ruhetricks erschüttern jetzt sogar wissenschaftliche Lehrmeinungen - und könnten in der Medizin und der Raumfahrt enorm nützlich werden.

Bären und Menschen teilen sich seit Jahrtausenden ihre Lebensräume. Große Überraschungen sollte es deshalb nicht mehr geben, sollte man meinen. Doch was Forscher jetzt über den Winterschlaf der Pelztiere herausgefunden haben, versetzt sie in tiefes Erstaunen - und spottet der bisherigen Lehrmeinung.

Die besagt, dass der Stoffwechsel und die Körpertemperatur eines Tieres untrennbar miteinander verbunden sind. Nur: Der Amerikanische Schwarzbär will sich nicht an diese Regel halten, wie Øivind Tøien von der University of Alaska in Fairbanks und seine Kollegen jetzt im Fachblatt "Science"  berichten. Das Raubtier drosselt seinen Stoffwechsel im Winterschlaf viel stärker, als es die Körpertemperatur eigentlich erlauben sollte - und das ist nicht der einzige Schlaftrick, den die Bären auf Lager haben.

Die Teilnehmer des Experiments von Tøiens Team waren Problembären, die menschlichen Siedlungen in Alaska zu nahe gekommen waren. Die 50 bis 150 Kilogramm schweren Tiere wurden eingefangen und in künstliche Höhlen gebracht, die mit Bewegungsmeldern und Kameras ausgestattet waren. Zusätzlich pflanzten die Wissenschaftler den Bären Messgeräte für Körpertemperatur, Herzschlagrate und Muskelaktivität ein. Ihren Stoffwechsel rechnete das Team aus dem Sauerstoffverbrauch in der Höhle hoch.

Schnarchen, dass die Höhle bebt

Eines der Ergebnisse der bislang einzigartigen, fünf Monate langen Beobachtungen: Ursus americanus kann schnarchen, dass die Höhle bebt. Doch die Forscher haben noch viel mehr herausgefunden. Die Körpertemperatur der Tiere sinkt demnach um relativ bescheidene fünf bis sechs Grad. Immer wenn die Körpertemperatur 30 Grad erreicht, bekommen die Bären Schüttelfrost und zittern sich wieder auf 36 bis 37 Grad. Den ganzen Winter hindurch setzt dieses Zittern alle drei bis sieben Tage ein.

Der Stoffwechsel aber brennt auf viel niedrigerer Sparflamme, als es angesichts dieser Körpertemperaturen der Fall sein sollte. Bisher galt die Faustregel, dass selbst bei zehn Grad geringerer Körpertemperatur die Stoffwechselrate nur um die Hälfte sinkt. Bei den Bären aber ging sie um volle 75 Prozent herunter, wie Tøien und seine Kollegen bei der Jahrestagung des weltgrößten Forscherverbands AAAS am Donnerstag in Washington berichteten. Das Herz der Schwarzbären schlage nur noch etwa 14 Mal in der Minute statt sonst 55 Mal. Besonders zwischen Atemzügen sinke die Rate dramatisch - mitunter vergingen 20 Sekunden zwischen den einzelnen Herzschlägen. Hole das Tier Luft, schlage seine Pumpe kurzzeitig fast wieder so schnell wie zu sommerlichen Wachzeiten.

Als die Bären nach der Winterpause erwachten, kletterte die Körpertemperatur zwar wieder auf Normalmaß, der Stoffwechsel aber lief noch bis zu drei Wochen lang nur mit halber Kraft. Die Schwarzbären seien damit die einzigen bekannten Winterschläfer, die Körpertemperatur und Stoffwechsel voneinander abkoppeln könnten, meinen Tøien und seine Kollegen. Auf diese Art kann Meister Petz fünf bis sieben Monate ohne Nahrung und Wasser, ohne Verlust von Knochen- und Muskelmasse und ohne Nieren- oder Verdauungsprobleme überleben.

Medizin und Raumfahrt könnten profitieren

Wie die Bären das schaffen, ist den Forschern ein Rätsel. Dessen Lösung könnte sich lohnen: Käme man hinter die molekularen und genetischen Grundlagen des raffinierten Schutzmechanismus, wären vielleicht neue Ansätze in der Therapie von Knochenschwund und Nierenleiden oder bei der Behandlung von Unfallopfern möglich.

Das erklärt auch das Interesse der US-Armee, die das Bärenprojekt mitfinanziert hat. "Die Bären schaffen es irgendwie, ihren Muskeln und Knochen vorzugaukeln, dass sie während der Ruhepause arbeiten", sagte Brian Banks, leitender Autor des Forschungsberichts. Bekomme man das beim Menschen hin, könnte man die Folgen der Stilllegung von Körperteilen - etwa nach Knochenbrüchen - mildern.

Auch bei Schlaganfällen oder Hirnverletzungen sei Hilfe denkbar. "Der Sauerstoffbedarf des Hirns ist weiterhin hoch, die Versorgung aber sinkt", so Banks. Deshalb müsse man so schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen. Diese "goldene Stunde" aber könnte man eventuell auf einen Tag oder gar eine Woche verlängern, versetzte man die Betroffenen in eine Art Stasis.

Der Winterschlaf kommt bei zahlreichen Tierarten vor, von Fledermäusen über Nagetiere bis hin zu Primaten, zu denen auch der Mensch gehört. Die genetische Basis des Dauerschlummers dürfte deshalb weit verbreitet sein. "Wir müssen einfach lernen, wie man die Dinge an- und ausschaltet, um unterschiedliche Ebenen des Winterschlafs herbeizuführen", sagte Tøien.

Das könnte auch die Raumfahrt weiterbringen. Wären Menschen in der Lage, wie die Pelztiere monatelang zu schlafen - ohne zu essen, zu trinken, sich zu erleichtern oder Muskel- und Knochenmasse zu verlieren -, wären Langstrecken-Raumflüge vermutlich deutlich besser zu verkraften.

Und was passiert, wenn man plötzlich hochschreckt? Nicht viel, zumindest nicht bei Schwarzbären. Als auf dem Campus der nahe gelegenen Universität ein Neujahrsfeuerwerk abgefackelt wurde, hatten die Forscher das Ergebnis auf Video: "Der Bär ist aufgewacht", sagte Tøien. "Er hob seinen Kopf, schaute sich um und legte sich wieder hin."

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