Evolution des Winterschlafs Lystrosaurus - das schlafende Stoßzahntier aus der Antarktis

Lystrosaurus war ein stämmiges Tier mit zwei großen Eckzähnen im Oberkiefer
Foto: Crystal Shin / DPADer Winterschlaf ist eine faszinierende Innovation der Natur. Sowohl nahe der Polarregionen als auch in den gemäßigten Breiten sind viele Tiere bekannt, die in der kalten Jahreszeit in einen Dämmerzustand verfallen.
Manchmal scheinen sie dabei dem Tod näher zu sein als dem Leben. Ihr Körper reduziert Atemfrequenz, Herzschlag und Stoffwechsel auf ein Minimum. Bei Murmeltieren fällt die Körpertemperatur beispielsweise von 39 auf 7 bis 9 Grad Celsius. Igelherzen schlagen nur noch ein bis zwei Mal pro Minute - statt der üblichen 200 Schläge. Und bei Fledermäusen liegt zwischen zwei Atemzügen manchmal die Dauer eines ganzen Fußballspiels.
Unbekannt ist bisher, wann sich der Winterschlaf entwickelt hat. Die Untersuchung von Zähnen kann helfen, diese Frage zu klären, zeigt die neue Studie im Fachjournal "Communications Biology" . Demnach könnten Tiere schon vor 250 Millionen Jahren Winterschlaf gehalten haben. Hinweise darauf haben Christian Sidor von der University of Washington in Seattle und Megan Whitney von der Harvard University in Cambridge in alten Stoßzähnen mehrerer Fossilien der Gattung Lystrosaurus gefunden, einem entfernten Verwandten der Säugetiere.
Sie verglichen dazu die Wachstumsringe von vier Stoßzähnen, die in der Antarktis gefunden wurden, mit solchen, die man in Südafrika entdeckte. Bereits vor einiger Zeit haben Biologen entdeckt, dass manche Zähne ein Leben lang wachsen und dass sich die verschiedenen Wachstumsperioden im Dentin, dem Zahnbein, niederschlagen. Es bilden sich Wachstumsringe, ähnlich wie die Jahresringe bei Bäumen, nur sehr viel kleiner.
Auch bei Lystrosaurus, einem vierbeinigen, säugetierähnlichen Reptil ungefähr von der Größe eines Schweins, wuchsen die Stoßzähne lebenslang. Unter dem Mikroskop konnten sie Phasen des normalen Wachstums und Stressphasen unterscheiden, in denen die Tiere mit widrigen Bedingungen - vor allem im Winter - zurechtkommen mussten. In den antarktischen Stoßzähnen fanden die Forscher deutlich breitere Stresslinien.

Der Querschnitt der Lystrosaurus-Eckzähne zeigt Dentinschichten, die in Wachstumsringen abgelagert sind. Oben rechts eine Nahansicht. Der weiße Strich zeigt eine Zone an, die auf einen Ruhezustand hinweist. (Balkenlänge: ein Millimeter)
Foto: Megan Whitney / Christian Sidor / DPA"Die naheliegendste Entsprechung zu den Stressmarkierungen, die wir bei den antarktischen Lystrosaurus-Stoßzähnen beobachtet haben, sind Stressmarkierungen in Zähnen, die bei bestimmten modernen Tieren mit dem Winterschlaf verbunden sind", wird Whitney in einer Mitteilung der University of Washington zitiert.
Die Wissenschaftler Christian Sidor und Megan Whitney
Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass Lystrosaurus irgendeine Art von Winterruhe gehalten hat. "Diese vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass das Eintreten in einen winterschlafähnlichen Zustand keine relativ neue Art der Anpassung ist. Es ist eine alte."
Die genaue Struktur der Wachstumsringe gibt auch Aufschluss darüber, dass Lystrosaurus vermutlich nicht wechselwarm war, wie es Reptilien und Amphibien sind. "Was wir in den Stoßzähnen des antarktischen Lystrosaurus beobachtet haben, passt zu einem Muster kleiner Reaktivierungsereignisse des Stoffwechsels während einer Stressperiode, die dem am ähnlichsten ist, was wir heute im Winterschlaf von Warmblütern sehen", berichtet Whitney.
Lystrosaurus-Fossilien sind in Russland, China, Indien, Afrika und der Antarktis gefunden worden. Offenbar war die Gattung gut an unterschiedlichste Umgebungen angepasst. Dies könnte ihr auch geholfen haben, das Massenaussterben an der Grenze zwischen den beiden Erdzeitaltern Perm und Trias vor rund 252 Millionen Jahren zu überleben, schreiben die Forscher. Zudem gebe es Hinweise darauf, dass die Antarktis, damals nicht im heutigen Umfang von Eis bedeckt, eine wichtige Rolle bei der Erholung der Tier- und Pflanzenwelt nach dem Massenaussterben gespielt hat.