Wissenschaftlerskandal Klimaforscher entwendet Geheimpapiere von Lobbygruppe

Die Dokumente sollten die Machenschaften der Industrielobby aufdecken - doch nun blamieren sie ihren Enthüller: Der renommierte Klimatologe Peter Gleick hat sich unter falschem Namen Dokumente einer Lobbygruppe verschafft. Er leitete eine Gruppe für wissenschaftliche Ethik.
Peter Gleick: Führender Forscher auf Abwegen

Peter Gleick: Führender Forscher auf Abwegen

Foto: NCSE

Hamburg - Seit gut zwanzig Jahren tobt der Streit ums Klima. Mit immer rüderen Methoden kämpfen Skeptiker, Umweltverbände und Forscher um die Frage: Droht ein gefährlicher Klimawandel, weil der Mensch Treibhausgase in die Luft bläst? Alle Beteiligten investieren hohe Geldbeträge, um ihre Thesen zu verbreiten.

Grundlage des Streits sind die Kenntnisse der Wissenschaft; sie entscheiden letztlich, ob Gefahr besteht. Der Klimareport der Vereinten Nationen, der alle paar Jahre unter Beteiligung Hunderter Experten das Wissen zusammenfasst, kommt zu besorgniserregenden Ergebnissen. Doch die Umwelt aus Meeren, Luft und Erde ist so komplex, dass große Wissenslücken bleiben - sie liefern den Zündstoff für heftige Debatten.

Jetzt erreicht der Streit einen neuen Höhepunkt. Peter Gleick, vorsitzender Wissenschaftler des Umweltforschungsinstitut "Pacific Institute" in den USA, hat zugegeben, sich unter Angabe einer falschen Identität brisante Dokumente des Heartland-Instituts besorgt zu haben, eines Skeptikerverbands, der nach eigenen Angaben Zweifel an der Bedrohlichkeit des Klimawandels verbreiten möchte. Die Papiere verrieten angeblich Geldgeber und Strategien von Heartland.

Das Rätsel des Strategiepapiers

Der Umweltblog Desmogblog hatte die Unterlagen vergangene Woche öffentlich gemacht . Doch die Blamage wendet sich nun gegen die Ankläger. Gleick räumte sein "ernsthaftes Fehlverhalten" ein: Er habe die Unterlagen "unter dem Namen eines anderen" von Heartland erhalten, schreibt Gleick .

Die Echtheit der Unterlagen, die Sponsoren des Instituts verraten, hat Heartland zwar bestätigt. Das bedeutendste Dokument jedoch mit dem Namen "Vertrauliche Mitteilung: Heartland Klima-Strategie 2012" unterscheidet sich in Form, Schrift und Duktus: Es erläutert Strategien, wie Skeptikerthesen verbreitet werden könnten, beispielsweise im Schulunterricht - doch die Herkunft dieses Papiers bleibt unklar. Es handele sich um eine Fälschung, betont das Heartland-Institut .

Gleick sagt, er habe das Dokument "Anfang 2012 anonym zugespielt bekommen". Seine Stellungnahme lässt jedoch Raum für Spekulationen: Er habe keine Änderungen an den Heartland-Dokumenten oder an den Papieren aus der anonymen Kommunikation vorgenommen, schreibt er. Zu dem Vorwurf, er habe Dokumente vollständig erfunden, macht er aber keine Angaben. SPIEGEL ONLINE erhielt auf Anfrage bislang keine Antwort.

Ein tiefer Absturz

Er sei "geblendet gewesen von seiner Frustration" über die Attacken von Klimaskeptikern auf die Wissenschaft, rechtfertigt sich Gleick. Er habe Einladungen für eine offene Debatte des Heartland-Instituts erst unlängst abgelehnt, entgegnet die Skeptikervereinigung. Eine einfache Entschuldigung reiche nun nicht, betont das Institut. Es fordert "vollständige Aufklärung" von Gleick. Juristische Konsequenzen würden folgen. Die Privatsphäre und Integrität vieler Mitglieder und der Ruf des Heartland-Instituts seien verletzt worden.

Gleick war Vorsitzender ausgerechnet der Arbeitsgruppe "Wissenschaftliche Ethik" bei der renommierten American Geophysical Union (AGU). Er ist mittlerweile von der Position zurückgetreten, wie die AGU mitteilt . Im Mai 2010 unterzeichnete der Klimatologe ein Dokument  der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA mit dem Titel "Klimawandel und die Integrität der Wissenschaft", in dem sich Forscher zu seriösen Methoden verpflichteten, um auf drohende Umweltgefahren aufmerksam zu machen.

"Was für ein Schlamassel", sagt Mark Fennel, Vorsitzender der US-amerikanischen Wissenschaftlervereinigung AAAS. Gleick stecke nun im "ethischen Morast". Sein Vergehen rücke die Wissenschaft in schlechtes Licht. Auch Kevin Knobloch, Vorsitzender der Union of Concerned Scientists, distanziert sich von Gleick. Er betont allerdings, dass das Heartland-Institut "Falschinformationen" verbreite.

Gewinner der Grabenkriege

Knobloch erinnert an den sogenannten Climategate-Skandal, als unbekannte Hacker Tausende E-Mails von Klimaforschern klauten. Damals war der Aufschrei womöglich größer, weil sich zeigte, dass staatlich finanzierte und zur Objektivität verpflichtete Forscher sich in Grabenkriege mit ihren Gegnern verstrickt hatten. Der aktuelle Fall hingegen barg zunächst wenige Überraschungen: einer skeptischen Lobbygruppe wurde skeptische Lobbyarbeit nachgewiesen.

"Climategate" hatte aber auch gezeigt, dass die Anstrengungen der Lobbys oft auf Umwegen fruchten: Um zu vermeiden, ihren Gegnern Argumente zu liefern, sprachen Forscher oft nur untereinander in den E-Mails über Wissenslücken. Ihre Gegner jedoch betonten die Unsicherheiten der Wissenschaft dafür umso lauter. Die Folge solcher Schlagabtausche: Lobbyisten punkten mit simplen Parolen , die die Meinung ihrer jeweiligen Anhänger bedienen.

Kriegerische Schlachtrufe

Die Gleick-Affäre sei nun der neueste Akt in dem "polarisierenden Krieg", erläutert der Soziologe Matthew Nisbet in der "Washington Post". Die Mehrheit der Wissenschaftler und die Öffentlichkeit seien einem Kreuzfeuer von Lobbyisten ausgeliefert, das vom aktuellen Wahlkampf in den USA zusätzlich angeheizt würde.

Dass sich die Gräben nun weiter vertiefen könnten, zeigen Reaktionen mancher Forscher und Blogger, die Gleick als "Helden" bezeichnen. Der prominente Klimatologe Michael Mann von der Pennsylvania State University in den USA klagt Heartland an: Kampagnen des Instituts bedrohten die Zukunft künftiger Generationen, sagte er der "Washington Post". Angriffslustig klingt auch der Untertitel seines neuen Buches über seine Erfahrungen in der Forschung: "Klimakriege" - es findet folgerichtig große Beachtung.

Im Gegensatz zu solch martialischen Schlachtrufen bekennt sich der Uno-Klimabericht bei allen Warnungen zu erheblichen Unsicherheiten. Er dokumentiert ein Dilemma, das der Philosoph Silvio Funtowicz bereits 1990 vorausgesehen hatte: Die Klimaforschung gehöre zu den "postnormalen Wissenschaften". Aufgrund ihrer Komplexität unterliege sie großen Unsicherheiten, behandle aber gleichzeitig ein hohes Gefahrenpotential. Politiker und Öffentlichkeit müssten lernen, Entscheidungen auf solcher Grundlage zu treffen.

Die neuerliche Affäre jedoch bestätigt wohl, dass die Komplexität des Klimathemas anscheinend allzu hohe Anforderungen an die öffentliche Debatte stellt. Selbst intelligente Wissenschaftler wie Peter Gleick können darüber ihre Vernunft verlieren.

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