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Wölfe in Deutschland: Begegnung mit einem Raubtier

Foto: Axel Gomille

Raubtiere in Deutschland Wölfe in der Nachbarschaft

Fotograf Axel Gomille ist Deutschlands Wölfen so nahe gekommen wie nur wenige Menschen. Der Wildtierexperte erklärt, warum er keine Angst hatte - und wie Grimms Märchen bis heute das Image der Raubtiere prägen.

Die Aufregung war groß - und am Ende gab es ein totes Tier. Im April ließ das niedersächsische Umweltministerium einen zu zahmen Wolf erschießen. Die Behörden sorgten sich, dass von dem "Kurti" getauften Rüden eine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgehen könnte. Er hatte sich zuvor Spaziergängern bis auf wenige Meter genähert.

Erst sollte der Problemwolf durch gezielte Störungen wieder vom Menschen entwöhnt werden, dann eingefangen und in ein Gehege gebracht werden. Später wiederum hieß es, er solle betäubt und anschließend eingeschläfert werden. Am Ende wurde er abgeschossen - oder wie es im Ministeriumssprech hieß: "letal entnommen".

Es war das erste Mal seit der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland, dass ein Tier offiziell geschossen wurde. Zuvor hatten Umweltschützer bereits mehrfach über illegal gemeuchelte Wölfe berichtet. In den vergangenen Jahren seien in Deutschland nachweislich 18 Tiere illegal getötet worden, heißt es etwa beim WWF.

Dabei sind Wölfe streng geschützt. Täter müssen mit bis zu fünf Jahren Freiheits- oder einer Geldstrafe rechnen. Allerdings haben Ermittler bisher noch nie einen Verdächtigen ausmachen können.

Während sich die Wölfe in Deutschland immer weiter ausbreiten - derzeit gibt es mehr als 300 Tiere -, diskutiert das Land noch immer über den Neuankömmling, der eigentlich keiner mehr ist. Vor allem Schäfer, deren Herden von Wolf-Attacken betroffen sind, sind wenig glücklich über die Anwesenheit der Räuber.

Zur Person
Foto: Zwen Keller

Axel Gomille, Jahrgang 1970, ist Biologe, Wildtierfotograf und Journalist. Er arbeitet beim ZDF als Redakteur, Autor und Filmemacher mit dem Schwerpunkt Wildtiere und Artenschutz.axelgomille.com: Axel Gomille, Wildlife-Fotografie und Journalismus 

SPIEGEL ONLINE: Herr Gomille, Sie waren für Ihr Buch ganz dicht dran an Deutschlands Wölfen. Gab es einen Moment, in dem Sie Angst hatten?

Gomille: Überhaupt nicht. Es gab aber Momente, die außerordentlich schön waren. Gelegentlich haben die Wölfe mich nicht bemerkt und sich viel stärker genähert als normal. Da habe ich mich gefreut, dass ich dabei sein durfte, ohne zu stören.

SPIEGEL ONLINE: Wölfe sind oft in Dämmerung und Dunkelheit aktiv, legen große Strecken zurück - wie kommt man da als Fotograf überhaupt mit?

Gomille: Das klappt am besten im Sommer. Da ziehen die Wölfe ihre Jungen groß und sind nicht so mobil. Die perfekte Zeit ist, wenn die kleinen Wölfe die Höhle verlassen haben und draußen auf die Alten warten, die sie füttern. Dann kann man sie kriegen. Wenn die Tiere später größer sind, ist es ein Lotteriespiel.

SPIEGEL ONLINE: Warum hat der Wolf in Deutschland so einen schlechten Ruf?

Gomille: Viele Menschen haben keine eigenen Erfahrungen mit den Tieren. Also halten sie sich an das Bild vom bösen Wolf, wie sie es aus Grimms Märchen oder irgendwelchen komischen Filmen kennen. Wenn man mit Rotkäppchen und den sieben Geißlein aufwächst, später Werwölfe im Fernsehen sieht, dann fehlt der Gegenpol. Erst wer persönliche Erfahrungen macht, der merkt: Da passiert gar nichts. Es ist nicht schlimm, wenn Wölfe in der Nachbarschaft leben.

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Foto: Axel Gomille

Axel Gomille:
Deutschlands wilde Wölfe

Frederking & Thaler; 168 Seiten; gebunden; 29,99 Euro.

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SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht trotzdem verständlich, dass Menschen kein freilaufendes Raubtier in ihrer Nähe haben wollen?

Gomille: Der Wolf hat genauso ein Recht zu leben wie jedes andere Tier. Niemand hat ihn hier angesiedelt. Er war früher bei uns heimisch, jetzt ist er zurückgekehrt und gehört wieder zur Fauna dazu. Zudem trägt er zu einem gesünderen Wildbestand bei. Es wird natürlich nie so sein, dass sich alle Menschen über den Wolf freuen. Es würde ja schon reichen, wenn sie ihn in Ruhe lassen.

SPIEGEL ONLINE: Und was ist mit Schäfern, bei denen Wölfe Tiere aus ihren Herden töten?

Gomille: Das ist ein ernst zu nehmendes Problem, mit dem man die Schäfer nicht alleinlassen darf. Dafür gibt es fast überall auch Programme, mit denen Herdenschutz von den Bundesländern unterstützt wird.

SPIEGEL ONLINE: Reicht diese Unterstützung aus?

Gomille: Die Hilfen für professionelle Schäfer sind sehr gut. Schwieriger ist es für Hobbyschäfer. Für die ist es nicht so einfach, sich einen Herdenschutzhund zu holen oder ihre Tiere einzuzäunen. Die müssen sich umgewöhnen und die Tiere nachts reinholen, zum Beispiel. Unsere Vorfahren haben das auch so gemacht. Das ist kein Hexenwerk, bedeutet aber natürlich mehr Aufwand.

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Raubtier Wolf: Rückkehr in den Süden Deutschlands

Foto: Konstantin Knorr/ Hannoversche Allgemeine Zeitung

SPIEGEL ONLINE: Sie schreiben, dass Wölfe nicht als Problemtiere geboren werden - aber problematische Verhaltensweisen erlernen, wenn sie dafür belohnt werden. Was machen die Leute falsch?

Gomille: Meistens machen sie nichts falsch. Aber was falsch wäre: die Tiere zu füttern. Das ist erstens verboten und zweitens grob fahrlässig, weil die Wölfe dann Menschen mit Futter assoziieren würden. Wenn das passieren würde, dann würden die Tiere ihre Distanz verlieren. Das wäre gefährlich. Wölfe sind Wildtiere und müssen das auch bleiben.

SPIEGEL ONLINE: Derzeit wächst der Wolfsbestand in Deutschland um rund 25 Prozent pro Jahr. Brauchen wir eine Obergrenze für Wölfe?

Gomille: Absolut nicht. Man muss sich die absoluten Zahlen ansehen. Wir haben ungefähr 300 nachgewiesene Wölfe in Deutschland. Denen gegenüber stehen mehr als drei Millionen wilde Huftiere. Auf einen wilden Wolf kommen also mehr als 10.000 wilde Huftiere. Die Wölfe können es noch nicht mal annähernd schaffen, diesen Huftierbestand zu regulieren. Da braucht man nicht über Obergrenzen zu reden.

SPIEGEL ONLINE: Welches Erlebnis mit einem Wolf während Ihrer Arbeit am Buch hat Sie am meisten verblüfft?

Gomille: An einem Herbstabend habe ich auf die Wölfe gewartet - und wie so oft passierte lange gar nichts. Dann fing auf einmal ein Wolf ganz in meiner Nähe an zu heulen, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Ein anderer Wolf neben mir und einer hinter mir antworteten ihm. Auch die hatte ich nicht gesehen. Da sieht man, wie leicht man die Tiere übersehen kann - selbst wenn man es wirklich darauf anlegt, sie zu finden.

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