Die Entstehung des Lebens »Der Anfang war schmutzig«

Bergmolch: Laut Schätzungen gibt es weltweit mehr als acht Millionen Arten
Foto: CreativeNature_nl / iStockphoto / Getty Images

Bergmolch: Laut Schätzungen gibt es weltweit mehr als acht Millionen Arten
Foto: CreativeNature_nl / iStockphoto / Getty Images»Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. Und Gott schuf große Seeungeheuer und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art.« (1. Buch Mose)
SPIEGEL: Herr Mutschler, Sie versuchen, den Ursprung des Lebens im Labor nachzustellen. Fehlt Ihnen noch der göttliche Funke?
Hannes Mutschler: (lacht) Ich gehe nicht davon aus, dass es den einen Quantensprung gegeben hat, der aus etwas Unlebendigem plötzlich etwas Lebendiges gemacht hätte. Die Entstehung des Lebens war sehr wahrscheinlich ein gradueller Prozess, primitive Systeme entwickelten sich zu etwas mehr und mehr Lebendigem. Ohnehin gibt es hundert verschiedene Definitionen von Leben. Reicht ein primitiver Stoffwechsel, um von Leben zu sprechen? Beginnt Leben, wenn sich ein System reproduzieren kann? Das kann man so oder so sehen.
Hannes Mutschler, geboren 1980, Professor für Biomimetische Chemie an der TU Dortmund. Sein Ziel ist es, eine Minimalzelle zu entwickeln – ein künstlicher Organismus, der die allernötigste Ausstattung hat, um lebensfähig zu sein.
SPIEGEL: Ihrem Forschungsteam ist es jüngst gelungen, ein Genom herzustellen, das sich von selbst kopieren kann. Ist das schon künstliches Leben?
Mutschler: Es ist auf jeden Fall ein erster Schritt, aus unbelebten molekularen Bausteinen etwas deutlich Lebensähnlicheres zu machen. Erstaunlicherweise besteht das Leben aus instabilen Molekülen, trotzdem existiert es auf der Erde seit mittlerweile etwa vier Milliarden Jahren. Das geht nur durch Reproduktion. Ein System, das sich nicht vervielfältigt, kann sich auch nicht anpassen und wird innerhalb kurzer Zeit vergehen. Auch menschliche Zellen müssen sich ständig erneuern, damit der Organismus am Leben bleibt.
SPIEGEL: Ihr Ziel ist es, künstliches Leben zu erzeugen. Wie könnte das aussehen?
Mutschler: Im besten Fall wäre das eine primitive Zelle, die in einer sehr speziellen Umgebung im Reagenzglas überleben könnte. Ein solches System ließe sich nicht in die Umwelt verfrachten, weil es dort nicht überleben könnte. Das wäre auch nicht Sinn der Sache.
SPIEGEL: Sie wollen also keine Organismen herstellen, die frei durch die Welt streifen?
Mutschler: Was hätten wir davon, wenn wir künstliche Tiere oder Menschen herstellen? Eine Minimalzelle im Reagenzglas wäre ein gigantischer Durchbruch, eine riesengroße Schatztruhe. Nur ein Beispiel: Es gibt Enzyme, die Plastik abbauen können. Wenn wir so einen Prozess in einer Minimalzelle ablaufen lassen könnten, wäre das ein vielleicht bedeutender Beitrag zur Lösung des Müllproblems. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg, wahrscheinlich brauchen wir noch Jahrzehnte.
SPIEGEL: Ein Forschungsteam um den bekannten Genetiker Craig Venter baute das Erbgut einer Bakterie künstlich nach und setzte es in eine natürliche Bakterienhülle ein, es entstand ein lebensfähiger Organismus. Werden Forscher zu Schöpfern?
Mutschler: In dem Fall haben Wissenschaftler die DNA eines natürlichen Lebewesens ausgetauscht, aber nicht künstliches Leben geschaffen. Ein Schöpfer erzeugt etwas aus dem Nichts. Das machen Forscher nicht. Wir erzeugen nicht komplett neue Lebensformen, sondern kupfern von der Natur ab. Die Idee, Leben oder sogar ganze Organismen herzustellen, ist übrigens nicht neu. Im Spätmittelalter erschien das absolut trivial. Wer ein Stück Fleisch liegen ließ, erschuf unbeabsichtigt Fliegen, die spontan aus dem Fleisch zu entstehen schienen. Es gab sogar Anleitungen, wie man Bienen herstellt. Dem Glauben an den Schöpfungsmythos tat das keinen Abbruch. Die Menschen dieser Zeit waren ja zumeist tief religiös. Mit Blasphemie hatte das gar nichts zu tun.
SPIEGEL: Inzwischen wissen wir, wie Maden entstehen. Aber der Ursprung des Lebens ist noch immer ein Rätsel. Was ist aus der Vorstellung einer Ursuppe geworden?
Mutschler: Die geht ja noch auf die Zeit von Charles Darwin zurück. Heute wissen wir, einzelne Komponenten wie in einem Kochtopf zu mischen, reicht nicht. Dabei entsteht kein Leben. Allgemeine Lehrbuchmeinung ist noch immer, dass das Leben mit Ribonukleinsäuren begann, die den Bauplan von Eiweißen enthalten. Davon rücken wir allmählich ab. Der Anfang war wahrscheinlich schmutzig, Nukleinsäuren und Vorläufer von Eiweißen sind vermutlich gleichzeitig entstanden und haben sich aneinander angepasst.
SPIEGEL: Ist die Entstehung des Lebens für Sie ein Wunder?
Mutschler: Nicht, wenn damit etwas Übernatürliches gemeint ist. Erstaunlich ist die Entstehung des Lebens aber allemal – und deutlich komplexer als in der Bibel. Nicht nur die Erde musste entstehen, sondern Milliarden Galaxien, das ganze Universum. Atemberaubend, oder? Religiöse Vorstellungen wie ein Schöpfermythos liegen per se außerhalb des Erklärbaren. Darüber kann die Wissenschaft keine Aussage treffen.
SPIEGEL: Gibt es etwas, das Sie sich auch als Wissenschaftler nicht erklären können?
Mutschler: (lacht) Menschliches Verhalten.
SPIEGEL: Weil es außerhalb des Erklärbaren liegt?
Mutschler: Nein, weil ich kein Psychologe bin.
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Kunstformen der Natur: Ernst Haeckel, der vor 100 Jahren starb, war der führende Evolutionsbiologe in Deutschland. Ausgehend von Darwins Lehren, entwarf er ein eigenes System der Natur. Dessen Faszination popularisierte er auch in der Öffentlichkeit wie kaum ein anderer – als begnadeter Künstler. Fester als alle anderen Forscher war Haeckel auch davon überzeugt, dass ein »Urschleim« am Meeresboden den Urgrund des Lebens bildete.
Schleimige Schönheiten: Quallen und andere Glibbertiere standen dank Haeckel besonders hoch im Kurs. Die Wissenschaft suchte bei den evolutionär alten Tieren Hinweise auf die Anfänge des Lebens. Gekrönte Häupter wie Albert I. von Monaco sowie der japanische Kaiser Hirohito jagten den »Gelata« für eigene meeresbiologische Studien hinterher...
...während der Jugendstil bei deren eleganten Formen ästhetische Anleihen nahm. Haeckel half dabei wahrscheinlich nach, indem er die Tiere mit dem Auge eines Künstlers überzeichnete. So makellos wie auf seinen Bildern kann er die fragilen Tiere kaum aus dem Ozean gefischt haben. Mit der technischen Aufrüstung der Meeresbiologie kamen die Gelata sogar ganz aus der Mode, weil sie mit großen Netzen nicht unversehrt geborgen werden konnten.
bilwissedition/ imageBROKER/ ullstein bild
Gottlose Natur: Charles Darwin präsentierte der Welt im Jahr 1858 in »Über die Entstehung der Arten« seine Evolutionstheorie. Es war ein neues Weltbild, das biblische Überzeugungen zur Schöpfung zum Einsturz brachte. So musste sich der Mensch mit unerwarteter Verwandtschaft – wir sollen von Affen abstammen? – anfreunden. Es stellten sich aber auch neue Fragen, etwa nach einem Beginn des Lebens ohne Gott.
Darwins Bulldogge: Die Evolutionstheorie brauchte angesichts teils heftiger Kritik gute Freunde. Kaum einer verteidigte sie verbissener als der Brite Thomas Huxley. Er stand auch Ernst Haeckel nahe und unterstützte ihn bei der Suche nach dem Urschleim, der nach den Vorstellungen des deutschen Evolutionsbiologen alles Leben hervorgebracht haben soll. Ein großes Problem aber gab es: Der primitive Glibber sollte nur in der Tiefsee zu finden sein, einem bis dahin unerreichbaren Habitat...
...das just zu jener Zeit aber eine technische Revolution erstmals erschloss. Der Atlantikboden wurde kartiert, also in seiner Tiefe und Beschaffenheit vermessen, um geeignete Routen für Telegrafenkabel zwischen Europa und Amerika zu identifizieren. Es war ein gigantisches Projekt, nach mehreren Probeläufen sandte die britische Queen Victoria am 16. August 1858 dem amerikanischen Präsidenten James Buchanan eine erste Nachricht und erhielt seine Antwort – bevor die Verbindung wieder zusammenbrach.
Glibber der Tiefsee: Im Windschatten der technischen Umwälzung fand auch eine wissenschaftliche Revolution statt – oder gab sich zumindest als solche aus. Dank guter Beziehungen zur Kartierungscrew konnte Biologe Huxley atlantische Bodenproben bekommen, in denen er prompt Glibber mit Kalkplättchen fand. Das musste der Urschleim sein, den er nach seinem deutschen Kollegen Bathybius haeckelii nannte. Haeckel bejubelte den lang ersehnten Sprössling und hielt ihn gleich im Bild fest.
Geburt der Ozeanografie: Die Meere wurden im 19. Jahrhundert nicht nur zur Verkabelung kartiert, sondern erstmals auch wissenschaftlich erschlossen. Den Anfang machte die Expedition der »HMS Challenger«, die von 1872 bis 1876 die Weltmeere bereiste und dabei auch Abertausende von Proben nahm. Eine offene Frage war, wo genau und wie Bathybius haeckelii in der Tiefsee lebt. Nur: Der Urschleim machte sich rar.
Eine Schnapsidee: Glibber gab es in den Bodenproben schon – aber nur nach deren Konservierung mit viel Alkohol. Die schmerzliche Erkenntnis: Der Urschleim war nicht mehr als eine mineralische Ausfällung, die sich in der Originalprobe der »Challenger« im Hunterian Museum in Glasgow längst schon wieder aufgelöst hat. Huxley entschuldigte sich sofort bei den Forscherkollegen, Haeckel aber hielt noch Jahre verbissen am Urschleim fest, der viele offene Fragen der Evolution so schön beantwortet hätte.
Ursprung des Lebens: Die Idee vom Urschleim ist heute eine kuriose Anekdote der Wissenschaftsgeschichte, die Frage nach dem Ursprung des Lebens aber bleibt. Charles Darwin hielt einen warmen Tümpel für möglich, heute wird meist die Tiefsee als Entstehungsort favorisiert. Besonders im Fokus der Forscher stehen heiße Hydrothermalquellen, die viele Meter hohe Ablagerungen bilden – hier einer von Hunderten »Weißen Rauchern« der »Lost City« im Atlantik.
Heiß und heftig: Oder sollte das erste Leben vor knapp vier Milliarden Jahren oder schon früher eine noch heftigere Kinderstube gehabt haben? Bestimmte Hydrothermalquellen in der Tiefsee geben sogar mehr als 400 Grad Celsius heiße Lösungen ab. Das sind die »Schwarzen Raucher«, die ebenfalls für den Ursprung des Lebens diskutiert werden, als Milieu für die ersten zarten Biomoleküle aber vielleicht doch zu unwirtlich waren.
Gefährlicher Glibber: Schleimige Ausscheidungen, gelatinöse Tierkadaver und anderer biologischer Abfall sinkt in dicken Flocken in die Tiefe und lagern sich dort zum Teil meterhoch ab. Dieser Meeresschnee enthält ungeheuer viel Kohlenstoff, der aus der Atmosphäre stammt, im Ozean in organisches Material umgewandelt wurde und dann im Sediment über extrem lange Zeiträume gespeichert wird. Bringt der Klimawandel diese biologische Pumpe nun ins Stottern, könnte der Kohlenstoff vorzeitig freigesetzt werden und als Treibhausgas die Krise weiter befeuern.
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