Zeitrechnung 2010 endet mit Punktlandung

Gravimeter im BKG: Forscher ermitteln, wann wieder eine Schaltsekunde nötig ist
Foto: dapdDie Erde hat sich im Jahr 2010 ein klein wenig schneller gedreht, als es Geowissenschaftler erwartet haben. "Eine Schaltsekunde entfällt dieses Silvester", sagt Wolfgang Dick vom Bundesamt für Kartografie und Geodäsie (BKG) in Frankfurt am Main. "Wir staunen selbst etwas über die momentane Rotationsgeschwindigkeit der Erde", so der Astronom, "denn in der Tendenz verliert unser Planet an Tempo beim Drehen."
Gegenüber der fast perfekt genauen Atomuhr verliert unser Erdball in rund tausend Tagen etwa eine Sekunde. "Um diese Differenz auszugleichen, hat quasi per Beschluss die letzte Minute eines Jahres dann nicht 60, sondern 61 Sekunden", sagt Astronom Dick. Eingeführt wurden die Schaltsekunden im Jahr 1972. Seitdem kommen sie unregelmäßig zum Einsatz, die letzten fanden zum Ende der Jahre 1999, 2006 und 2008 statt. Sie sollen dafür sorgen, dass auch langfristig die Sonne um 12 Uhr mittags im Zenit steht und 24 Uhr mitten in der Nacht liegt.
Erde rotiert immer langsamer
Erdball und Atomuhren rotieren und ticken durch die Schaltsekunden wieder exakt im Gleichklang. Der Beschluss, ob beide Akteure synchronisiert werden müssen oder nicht, ergeht weltweit. Zuständige Instanz ist der Internationale Erdrotationsdienst IERS (International Earth Rotation and Reference System Service), ein Zusammenschluss aus Geowissenschaftlern und Astronomen von Observatorien, Behörden und Instituten aus rund 50 Ländern. Verwaltungssitz des IERS ist das Frankfurter BKG. Mit sechs Kollegen aus dem Bundesamt koordiniert Dick den Datenaustausch aller global beteiligten Fachgremien.
"Als wir Silvester 2008 zuletzt eine Schaltsekunde einführten, glaubten wir, es würde Ende 2010 wieder so weit sein", berichtet Dick. Das Rotationstempo der Erde lässt stetig nach, hauptsächlich wegen der bremsenden Anziehungskraft des Monds - aufgrund dieser Wechselwirkung werden sich beide Himmelskörper in rund 15 Milliarden Jahren nur noch still anschauen. "Aber das ist ein Effekt auf lange Sicht", erklärt Dick. "Zwischenzeitlich bewirken andere Faktoren Schwankungen des Drehimpulses."
Voraussage nicht möglich
Großen Einfluss hat die Erdatmosphäre mit ihren Hoch- und Tiefdruckgebieten, unterschiedlich verdichteten, auch in ihrem Wassergehalt variierenden Luftmassen, deren Schwere wechselnde Fliehkraft entwickelt. "Ein weiterer Faktor ist die Reibwirkung von Ebbe und Flut am Meeresboden, quer zur Erdachse", sagt Dick. "Je nach Erwärmung unterschiedlich ausgedehnte Ozeanmassen beeinflussen ebenso die Rotation." Keiner dieser Effekte lässt sich vorhersagen. Außerdem dreht sich der Erdmantel noch um einen flüssigen Planetenkern. Und selbst den riesigen Wassermassen des inzwischen vollgelaufenen Jangtse-Staudamms in China rechnen Geowissenschaftler Einfluss auf die Erdrotation zu.
"Wir können das Tempo der Drehbewegung unserer Erde nicht prognostizieren, aber messen", sagt der Astronom. Messergebnis für 2010: Die Erde rotierte etwas schneller als 2009, Schaltsekunde derzeit nicht nötig. Eine Vorhersage für 2011 wagen die Geowissenschaftler nicht.
Die Rotationsforscher erwägen ohnehin, die Schaltsekunde abzuschaffen, weil der kleine Zeitsprung immer wieder Softwareprobleme bei unterschiedlichen computergestützten Anwendungen bereitet.
In internen Mitteilungen an seine Fachgremien hat der IERS bereits ein Szenario entworfen, bei dem ab 2015 die atomuhrgesteuerte Weltzeit von der tatsächlichen astronomischen Zeit abgekoppelt wird. Erst bei einer Differenz von 60 Minuten würde der IERS dann eine Korrekturschaltung verfügen. Das wäre ungefähr im Jahr 2600 der Fall. Dann würde sich der Jahreswechsel um eine Stunde verschieben.