Biologie Alge frisst Papier

Grünalge: Die Mikroorganismen können Zellulose verdauen
Foto: dapdLondon/Hamburg - Eine einzellige Grünalge verblüfft Biologen: Sie ernährt sich auch von Bestandteilen anderer Pflanzen, wie Forscher der Universität Bielefeld herausgefunden haben. Leidet die Grünalge Chlamydomonas reinhardtii unter Kohlendioxidmangel, stellt sie zusätzlich zur Photosynthese auf Zellulose-Verdauung um.
Eine Verdauung dieser organischen Substanzen kenne man bisher nur von tierischen Organismen oder Bakterien, berichten die Forscher im Magazin "Nature Communications". Das sei der erste Beleg für einen Photosynthese treibenden Organismus, der Zellulose-Material nutzen und verdauen könne. "Hier frisst eine Pflanze gewissermaßen eine Pflanze", sagt Studienleiter Olaf Kruse.
Zellulose ist eines der häufigsten Naturprodukte. Es wird von Pflanzen produziert, um ihre Zellen und ihr Gewebe zu stabilisieren. Nach gängiger Lehrmeinung kann Zellulose nur von Tieren, Bakterien und Pilzen verdaut werden. Diese Organismen nutzen spezielle Enzyme, um die großen Zellulose-Moleküle aufzubrechen und sie als Baumaterial für ihr eigenes Wachstum zu nutzen.
Pflanzen hingegen gewinnen ihre Energie aus dem Sonnenlicht, sie betreiben Photosynthese und benötigen dafür vor allem Wasser und Kohlendioxid. Dass es Algen gibt, die sowohl die pflanzentypische Photosynthese betreiben, als auch Zellulose verdauen, haben Kruse und seine Kollegen nun entdeckt. Hinweise, dass Chlamydomonas reinhardtii dieses Kunststück bewältigen kann, gab es schon. Die Grünalge verfügt nicht nur über Eigenschaften, die Pflanzen zugeschrieben werden, sondern auch über welche, die im Tierreich verortet sind. Sie verfügt über einige Gene des letzten gemeinsamen Vorfahren von Pflanzen und Tieren, die im Erbgut der Blütenpflanzen nicht mehr vorkommen, schreiben die Wissenschaftler.
Für ihre Studie hatten die Forscher die Grünalgen auf einem Nährmedium gehalten, das lösliche Zellulose enthielt. Im Versuchsbehälter befand sich dabei nur sehr wenig Kohlendioxid - der für die Photosynthese wichtige Luftbestandteil. Schon nach kurzer Zeit stellten die Wissenschaftler fest, dass die Mikroalgen trotz dieser Mangelsituation ungestört weiterwuchsen.
Neue Energie?
Auf dem normalerweise durch die Zellulose getrübten Nährmedium zeigten sich rund um die Algenkolonien klare Flächen - ein Indiz dafür, dass die Grünalgen die Zellulose abgebaut hatten. Diesen Abbau beobachteten die Forscher selbst dann, wenn sie den Algen statt der löslichen Zellulose festes Material in Form eines Filterpapiers zur Verfügung stellten.
"Chlamydomonas reinhardtii muss ein System besitzen, mit dem sie dieses organische Material in ihrer Umgebung verdauen kann", schreiben Kruse und seine Kollegen. In näheren Untersuchungen wiesen sie bei der Grünalge tatsächlich Enzyme nach, die die Zellulose in kleinere Zucker aufspalten. Es zeigte sich, dass die einzelligen Algen diese Abbauprodukte der Zellulose aus ihrer Umgebung aufnahmen und in ihre Gewebe einbauten.
Nach Ansicht der Forscher hat die neu entdeckte Algen-Eigenschaft möglicherweise einen praktischen Nutzen. Denn die Grünalge könnte zukünftig die Herstellung von Biotreibstoffen erleichtern. Bisher werden Biodiesel, Methan oder andere biologisch basierte Energieträger gewonnen, indem man zellulosehaltiges Pflanzenmaterial zusammen mit abbauenden Enzymen erhitzt. Die Enzyme hierfür, die sogenannten Zellulasen, werden meist aus Pilzen gewonnen, die wiederum organisches Material benötigen, um zu wachsen.
"Unsere neuen Erkenntnisse eröffnen nun die Möglichkeit, diesen Schritt zu vereinfachen", sagen die Forscher. Denn ließen sich die Zellulasen künftig aus Algen gewinnen, bräuchte man keine Pilze und kein organisches Material als Pilznahrung. Es reichen Sonnenlicht, Wasser und CO2, um die Algen zu vermehren. "Damit könnte man beispielsweise zellulosehaltiges Altpapier mit Hilfe von Sonnenlicht und Algen zu Rohstoffen für Bio-Energieträger umwandeln", hoffen Kruse und seine Kollegen.