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ERFINDUNGEN Niemals müde

Im Actionfilm »Iron Man« wird ein Tüftler mit einer Hightech-Rüstung zum Helden. Nun gibt es einen Roboteranzug, der seinem Träger tatsächlich Superkräfte verleiht.
aus DER SPIEGEL 19/2008

Was nützt es Tony Stark, dass er der Sohn eines milliardenschweren Bosses aus der Rüstungsbranche ist? Er wird in einem kommunistischen Straflager in Vietnam gefangen gehalten, und ein Granatsplitter in seinem Körper nähert sich bedrohlich seinem Herzen.

Wie gut also, dass der junge Mann vom Schicksal neben Reichtum mit einer Extraportion Intelligenz beschenkt wurde. Stark, der sich schon mit 15 Jahren beim legendären Massachusetts Institute of Technology eingeschrieben hat, konstruiert im Kerker einen eisernen Kampfanzug - eine schnieke Ritterrüstung, auf der sich seine beachtliche Bauchmuskulatur abzeichnet. Mit gewaltigen »Magnetumkehrstrahlen«, die Stark aus den Handflächen der Rüstung abfeuert, mäht der Rächer seine Häscher nieder und befreit seine gepeinigten Mitgefangenen.

Der Feldzug des »Eisernen« war die Geburt einer der bizarrsten Comic-Figuren Amerikas. Anders als bei den meisten anderen Superhelden sind die überirdischen Kräfte des Eisernen nicht die Folge einer ominösen Verstrahlung, sondern einzig auf wissenschaftlichen Genius zurückzuführen.

Vergangene Woche ist in den deutschen Kinos die modernisierte Hollywood-Version der Story um die gusseiserne Ein-Mann-Armee angelaufen. Schon hat der Blockbuster »Iron Man« mit Robert Downey Jr. in der Hauptrolle unter den Fans des Phantasiegeschöpfs eine rege Fachdiskussion angeschoben: Ließen sich jene wahnwitzigen Gimmicks tatsächlich verwirklichen, mit denen die Comic-Zeichner des Marvel-Imperiums ihren Eisenmann Anfang der sechziger Jahre ausstaffierten?

Was kaum einer der Fans weiß: Beinahe zeitgleich mit dem Erscheinen des Actionfilms ist der wahre Tony Stark auf der Bildfläche aufgetaucht. Der Erfinder Steve Jacobsen ist zwar kein Superheld - sein Haar ist grauweiß und seine Aura die eines ganz in seine Experimente versunkenen Professors. Doch der beschlagene US-Ingenieur hat einen Anzug konstruiert, der seinem Träger in der Tat vergleichsweise kolossale Körperkräfte beschert.

1983 gründete Jacobsen in Salt Lake City mit dem Robotikspezialisten »Sarcos« ein kleines, aber feines Unternehmen, das sowohl singende Androiden wie auch lebensgroße und bewegliche Tyrannosaurus-Modelle fertigte und den Disney-Konzern zu seinen Kunden zählt.

Der Roboteranzug »Xos« ist derzeit allerdings der ganze Stolz des Chefs. Das Ding kann zwar nicht schießen und fliegen, ansonsten aber gleicht es in verblüffender Weise der Hightech-Rüstung aus dem Comic.

Steve Jacobsen wollte freilich keine Killermaschine konzipieren, mit der man auf Verbrecherjagd gehen kann. Sein sogenanntes Exoskelett soll Soldaten beim Be- und Entladen von Konvois entlasten oder in die Lage versetzen, verwundete Kameraden im Feld zu bergen.

Diese Übung gelingt: Bei ersten Tests stemmte ein Proband mit Hilfe des Anzugs hundertmal hintereinander an die hundert Kilo, ohne auch nur aus der Puste zu geraten. Allenfalls beginnende Langeweile bremste seine Motivation. »Er wird niemals müde«, kommentiert Jacobsen die Kraftmeierei.

Der Träger des Supermann-Anzugs kann in der Tracht behende tänzeln und zuhauen wie ein Boxer - ein Wunder der Ingenieurkunst. Denn Jacobsens Kluft muss jede Bewegung exakt vorausahnen. »Wenn das Exoskelett nicht absolut synchron mit seinem Träger läuft, hat der das Gefühl, wie durch einen See zu waten«, sagt Jacobsen.

Um genau dieser Misslichkeit zu entgehen, besitzt das geschmeidige Gerät in den Händen, den Füßen und im Rücken hochsensible Sensoren. Diese senden mitunter 2000 Signale pro Sekunde an einen Rechner, der die Informationen wiederum blitzschnell in Befehle an den hydraulischen Antrieb im Anzug umwandelt.

Schon 2009 wollen die US-Streitkräfte Jacobsens Zaubergewand erstmals auf Fronttauglichkeit testen. Finanziert wurde das Projekt mit weit über zehn Millionen Dollar im Auftrag des Pentagon aus einem Topf der Defence Advanced Research Projects Agency.

Um die Militärs dauerhaft bei Laune zu halten, muss Jacobsen gleichwohl noch die Energieversorgung des Exoskeletts weiterentwickeln. Mit Batteriebetrieb hält seine Schöpfung derzeit gerade mal 40 Minuten durch. Ansonsten versorgt eine Hydraulikpumpe den Anzug, dessen Mobilität dadurch jedoch ziemlich einschränkt wird.

Immerhin: Jacobsens Herkules-Dress funktioniert - die futuristische Eisenmontur aus dem Comic hingegen würde sich in Wahrheit niemals von der Stelle rühren. Um die rotgolden schimmernde Rüstung fliegen oder kämpfen zu lassen, wäre mehr Energie vonnöten, als ein Kernkraftwerk liefern könnte - das hat zumindest der Physikprofessor James Kakalios von der University of Minnesota errechnet.

»Traurigerweise wird kaum eine der Eigenschaften aus dem Anzug der Comic-Figur in naher Zukunft realisiert werden«, vermutet Kakalios und resümiert: »Der Eiserne verhöhnt in gewisser Weise die Physik.« FRANK THADEUSZ

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