Zur Ausgabe
Artikel 93 / 125

Transplantationen NIEREN AUS DEM SAUSTALL

Wissenschaftler planen, gentechnisch veränderte Schweine als Organspender zu nutzen. Im englischen Cambridge kamen Ferkel zur Welt, in deren Erbgut zuvor ein Menschengen eingeschleust worden war. Ausweg aus dem Organspende-Engpaß? Oder ein neues Beispiel für den Allmachtswahn der Gentechniker?
aus DER SPIEGEL 35/1993

Die Schweine haben das Sagen in George Orwells Fabel »Farm der Tiere«, 1945 erschienen. Sie sind es auch, die das letzte der Sieben Gebote des Animalismus - »Alle Tiere sind gleich« - mit dem kleinen, zukunftweisenden Zusatz versehen: »Aber manche sind gleicher.«

Daß Schweine zu Höherem geboren seien, glaubt, 50 Jahre nach Orwell, auch sein Landsmann David White, Hochschullehrer an der traditionsreichen Cambridge University und Forschungschef der Biotech-Firma Imutran in der Uni-Stadt.

Schon in wenigen Jahren, so behauptet der Immunologe, könnten die Innereien der Borstentiere, die heute nur als Billigware über den Metzgertresen gehen, einer der wertvollsten tierischen Rohstoffe für den Menschen werden - Organe für Transplantationen.

White gehörte zu den ersten, die mit dem vor gut 20 Jahren entdeckten Medikament Cyclosporin experimentierten. Dieses Wundermittel hat mit seiner Fähigkeit, natürliche Abstoßungsreaktionen des Immunsystems gegen fremdes Gewebe zu unterdrücken, die moderne Transplantationsmedizin erst möglich gemacht - und damit auch den Engpaß herbeigeführt, den die Transplanteure nun beklagen.

»Das größte Problem sind die langen Wartelisten«, so Immunforscher White. Es herrscht Mangel an Spenderorganen.

Nachdem die Entwicklung künstlicher Ersatzorgane einstweilen an unüberwindliche Hindernisse gestoßen ist, richtet sich die Hoffnung auf die sogenannte Xenotransplantation, die Überpflanzung einzelner Organe aus Tieren, die dem Menschen physiologisch ähneln.

Bisher schien die Barriere zwischen Arten, selbst zwischen Mensch und Menschenaffe, unüberwindlich. Die Abstoßungsreaktion ist überaus heftig. Bestimmte Abwehrmoleküle des Immunsystems, die Antikörper, fallen regelrecht über das Fremdorgan her, heften sich an dessen Oberfläche und regen die Immunabwehr zum Angriff gegen den »Eindringling« an.

Körpereigene Zellen und Gewebe sind in der Regel gegen derartige Attacken geschützt: Bestimmte Eiweißstoffe auf ihrer Oberfläche signalisieren dem Immunsystem, es möge sich ruhig verhalten und sie kampflos dulden.

David White und eine Reihe von Wissenschaftlern glauben, die immunologischen Hürden mit den Werkzeugen der modernen Biologie überwinden zu können. Das Tier müsse, so White, nur »ein wenig menschlicher« gemacht werden, damit ein Empfängerorganismus dessen Organe als »eigen« akzeptiere, statt sie als Fremdkörper zurückzuweisen.

Wenn es gelänge, tierische Zelloberflächen mit passenden menschlichen Eiweißen auszustatten, ließe sich, so die Hoffnung, das Abwehrsystem überlisten, so daß es Attacken unterläßt.

Für das Borstenvieh als möglichen Organspender entschieden sich die Imutran-Forscher in Cambridge nicht wegen seines scharfen Verstandes, sondern vor allem, weil es sich sozusagen in der gleichen Gewichtsklasse durchs Leben boxt wie der Mensch: Kaum ein anderes Tier, das sich bereitwillig vermehren und einfach halten läßt, trägt Organe im Leib, die in Größe und Gewicht denen des Menschen so ähnlich sind.

»Physiologisch gesehen, passen Schweine bestens zum Menschen«, sagt auch John Logan, stellvertretender Forschungsleiter bei DNX. Die amerikanische Firma mit Sitz in Princeton im Bundesstaat New Jersey will ebenfalls Organbanken im Saustall etablieren. Beide Forschergruppen, die amerikanische wie die britische, melden erste Erfolge auf dem eingeschlagenen Weg.

Den DNX-Wissenschaftlern ist die Übertragung des menschlichen Gens für den Blutfarbstoff Hämoglobin auf Schweine gelungen - ein vorläufiger Schritt bei dem Versuch, menschliche Erbeigenschaften nach Maß den Nutztieren einzupflanzen.

Ein gutes Stück weiter wähnen sich die Imutran-Forscher im englischen Cambridge. Sie entnahmen normalen Säuen befruchtete Eier, sogenannte Zygoten. In diese injizierten sie jeweils ein Gen, das zuvor aus menschlichem Gewebe isoliert worden war.

Dieses unter dem Kürzel DAF - für »Decay Accelerating Factor« - bekannte Stück Erbsubstanz ist wichtig für die Erkennung und Duldung körpereigenen Gewebes. DAF verhindert das biochemische Gemetzel des sogenannten Komplements, einer wichtigen Waffengattung des Immunsystems.

Die genmanipulierten, mit dem menschlichen DAF-Erbgut ausgestatteten Zygoten wurden in die jeweilige Gebärmutter der 33 am Versuch beteiligten Testsäue zurückverpflanzt und wuchsen normal heran. Seit Ende letzten Jahres haben 261 Ferkel das wärmende Infrarotlicht eines Schweinestalls erblickt, dessen Standort aus Angst vor militanten Tierschützern geheimgehalten wird.

Mittlerweile ist klar, daß 39 der Tiere das DAF-Gen in sich tragen, eine unerwartet hohe Zahl, gibt es doch keine Methode, Gene gezielt ins Erbgut zu schleusen. Sie fügen sich zufällig an irgendeiner Stelle ein - oder gar nicht.

Das erste der wie jedes normale Hausschwein aussehenden genmanipulierten ("transgenen") DAF-Schweinchen, geboren zwei Tage vor Weihnachten, tauften die Wissenschaftler auf den Namen Astrid. Falls das DAF-Gen in Astrids Erbgut fest verankert ist, wird es auch ein Teil der Nachkommen tragen: In den Augen Whites quiekt mit Astrid schon die Ahnengeneration der universellen Organspender.

»Als wir anfingen, hingen wir noch absolut in der Luft«, sagt Whites Kollege John Wallwork, Mitbegründer von Imutran und Transplantationschirurg im Papworth Hospital bei Cambridge. »Das war, als ob man jemandem 1910 erklärt hätte, noch in seinem Leben würde er in einer stählernen Röhre mit zweifacher Schallgeschwindigkeit nach New York fliegen.«

Die rosa gefärbte Zukunft malen sich Wallwork und White etwa so aus: Neben Transplantationszentren entstehen Schweinefarmen, edlen Tierpensionen vergleichbar. Darin wachsen saubere und gepflegte Säue und Eber auf. Und in diesen Tieren gedeihen von Krankheitserregern freie Herzen, Lungen, Lebern und Nieren in unbegrenzter Zahl.

Vorbei die Zeiten des Wartens und des Sterbens, weil nicht rechtzeitig ein Spenderorgan zur Verfügung stand.

John Wallwork würde nicht nur als Firmenteilhaber profitieren. Bei seinem »interessanten wissenschaftlichen Abenteuer am Ende unseres Jahrhunderts« geht es dem Chirurgen auch um greifbaren Ruhm. Schon in drei Jahren, kündigt er an, könnte er bei optimalem Verlauf der Arbeiten die erste Verpflanzung von Schwein zu Mensch wagen.

Ein relativ risikoarmes Anfangsexperiment könnte darin bestehen, insulinproduzierende Langerhanssche Inseln aus den Bauchspeicheldrüsen von Schweinen auf Diabetiker zu überpflanzen; die Empfänger wären von der täglichen Insulininjektion erlöst. »Wenn es nicht funktioniert, müssen sie halt wieder spritzen«, sagt Wallwork. Am Ende aber sollen die Cambridge-Schweine vor allem jene Organe liefern, an denen heute Mangel besteht (siehe Grafik).

»Ethisch gesehen, haben die ein dickes Fell«, urteilt Claus Hammer über seine »guten Kollegen« in Cambridge.

Hammer, Deutschlands wohl prominentester Experte für Xenotransplantation, arbeitet am Institut für Chirurgische Forschung der Universität München mit Schweineherzen, die allerdings genetisch unverändert sind. Der Chirurg, den seine englischen Kollegen für einen »Pessimisten« halten, macht Basisexperimente - um auf Dauer vielleicht Tierorgane für eine Übergangszeit einsetzen zu können, bis ein menschliches Spenderorgan zur Verfügung steht.

Den erfolgreichen Einsatz von Organen aus transgenen Tieren hält er so bald nicht für möglich. »Das ist alles viel komplizierter«, gibt Hammer zu bedenken. Außer dem »Komplement« spielten beim Mit- oder Gegeneinander von Körper und Fremdkörper beispielsweise auch die vor wenigen Jahren entdeckten Adhäsionsmoleküle eine große Rolle.

John Logan von der US-Firma DNX weist zudem darauf hin, daß sich menschliche Gene in Tierorganismen manchmal völlig anders als erwartet verhalten.

Claus Hammer läßt die Tierherzen menschliches Blut pumpen, um zu sehen, wie sie auf den artfremden Saft reagieren. Dabei beobachtet er »dramatische Veränderungen« am Tierorgan. Offenbar stehen Herz und Blut über die Innenauskleidung des Herzens, die »Endothelzellen«, stärker in Kontakt als bisher angenommen. Dringen Inhaltsstoffe des Menschenblutes durch das Endothel in das Tiergewebe, kommt es zu noch nicht näher verstandenen Unverträglichkeiten.

Maximal elf Stunden habe ein menschenblutdurchströmtes Schweineherz in den Versuchen gepocht, sagt Hammer. »Zum Schluß ist das kein Herzschlag mehr«, erklärt er seine Beobachtungen. »Das sind nur noch die Kontraktionen von geschwollenen, unter Zerfall stehenden Herzmuskelfasern.«

Wallwork und White, fordert er, sollten eines ihrer DAF-Schweine opfern und das Herz mit Menschenblut testen. »Solange sie sich weigern, bleiben erhebliche Zweifel an der Tauglichkeit.« Aber die Imutran-Inhaber wollen ihre transgenen Viecher erst einmal weiter vermehren. »Wenn wir Pech haben«, sagt Wallwork, »opfern wir am Ende noch das beste.« Nach zwei Generationen wird ein Teil der DAF-Schweine »reinerbig« sein. Mit diesen, so Wallwork, würde er bereits eine Operation wagen - wenn er die Zulassung erhält.

Um Zeit einzusparen, hat das Team in Cambridge eine Reihe aufschlußreicher Experimente ausgelassen. Diese Abkürzungen im Wettlauf um spektakuläre Resultate sind nicht unüblich bei der Arbeit mit transgenen Tieren.

Die wissenschaftlich sinnvollen Zwischenschritte würden mehrere Jahre Zeit kosten. Der Einbau der Erbanlage einer Ratte in das Erbgut einer Maus etwa und anschließende Transplantationsversuche - Mäuseorgane in Ratte - hätten wichtige Hinweise geben können.

White und Wallwork bevorzugen offenbar die bislang bei allen »Durchbrüchen« geübte Vorgehensweise, die Claus Hammer mit Blick auf die Fehlschläge in Pittsburgh (siehe Kasten) »Über Leichen gehen« nennt.

»Anfangs«, gibt David White zu, »ist das wie überall in der medizinischen Forschung: eine Lernkurve. Fehler resultieren in Toten.« Whites Partner Wallwork: »Im Augenblick entwickeln wir Fords Model T. Was wir wollen, ist ein Ferrari.«

Wie viele Menschenexperimente vonnöten wären, bis ein Organ vom Schwein in einem Menschen nicht mehr stärker abgestoßen wird als das aus einem anderen Menschen, weiß einstweilen niemand.

Aller Wahrscheinlichkeit nach müssen auf die Schweine noch weitere menschliche Erbanlagen übertragen werden, um sie - genetisch - Schritt für Schritt menschenähnlicher zu machen. White plant bereits den Transfer eines »MCP« genannten Gens, dem anscheinend eine ähnliche Bedeutung zukommt wie dem DAF.

George Orwells satirisches Märchen »Farm der Tiere« endet, als hätte er den Braten sozusagen schon damals gerochen und die Weiterentwicklung der spendierfreudigen Stallgefährten konsequent zu Ende gedacht.

»Die Tiere«, heißt es da, »blickten von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein und dann wieder von Schwein zu Mensch; doch es war bereits unmöglich zu sagen, wer was war.« Y

[Grafiktext]

_209_ Organtransplantationen: Verhältnis Transplantation/wart. Patient

[GrafiktextEnde]

Zur Ausgabe
Artikel 93 / 125
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren