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Automobile Ohne Tränen

Mit Kampfpreisen und frommen Sprüchen will der koreanische Automobilhersteller Kia 60 000 Autos pro Jahr in Deutschland verkaufen.
aus DER SPIEGEL 35/1993

Wenige Minuten vor seiner ersten Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag in Bonn war dem deutschen Kia-Chef noch etwas unklar. Vorsorglich fragte Carl Dommermuth, 59, daher den aus Südkorea angereisten Vertriebsmanager Woo Chun Chung: »Was heißt eigentlich Kia?«

Chung, deutschsprachig, antwortete langsam und nachdenklich: »Aufstehen aus dem Asien.« Dommermuth runzelte die Stirn.

Kia ist nach Hyundai der zweitgrößte Automobilhersteller Südkoreas, baut jährlich 650 000 Fahrzeuge (fast halb soviel wie VW im letzten Jahr) und plant bis 1995 eine Steigerung der Produktion auf eine Million Autos.

In Deutschland startet im Oktober der Verkauf des ersten Kia-Modells »Sephia«. Die Mittelklasselimousine (80 PS, 172 Stundenkilometer) wird ab 21 990 Mark angeboten - als billigstes Auto seiner Klasse. Auch der bisherige südkoreanische Preisbrecher Hyundai, seit 1991 auf dem deutschen Markt, ist teurer.

Serienmäßig gibt es im Kia Sephia neben Colorverglasung, geteilt umlegbaren Rücksitzen, höhenverstellbaren Gurten und bereits eingebauten Radiolautsprechern auch drei Jahre Vollgarantie. Gute Gründe für die europäische Autoindustrie, den neuen Konkurrenten ernst zu nehmen. Der Billig-Wagen Sephia, von dem Kia in diesem Jahr noch 4000 Stück verkaufen will, ist allerdings nur der Vorbote einer großangelegten Offensive, mit der Kia 1996 zwei Prozent des deutschen Gesamtmarktes erobern möchte. Das bedeutet dann rund 60 000 Neuzulassungen pro Jahr.

Schon im kommenden April wird der deutsche Importeur den allradgetriebenen Großraumwagen »Sportage« nachschieben. 1995 folgt eine luxuriöse Limousine namens »Concord« mit Vier- und Sechszylindermotoren bis zu 2,5 Litern Hubraum, 1996 der Kleinbus »Besta«, der Kleinlastwagen »Ceres« und ein Stadtauto mit 0,8 Liter Hubraum, das derzeit noch unter dem Projektnamen »M-Car« geführt wird.

Daß die Koreaner von 18 Bewerbern um die deutsche Importherrschaft den Hamburger Dommermuth auswählten, ist nur zu verständlich: Der Mann zählt zu den eisernsten Autoverkäufern Deutschlands. Er leitet seit sieben Jahren die Importzentrale des russischen Herstellers Lada - und verzeichnet beachtliche Zuwachsraten.

In den vergangenen fünf Jahren vervierfachte sich der Lada-Absatz in Deutschland. 1992 wurden 43 786 neue Lada verkauft, obwohl im Geschäft mit den urigen Ost-Kisten oft schwere Hürden zu überwinden sind. Manchmal kommen ganze Schiffsladungen in schwarzer Farbe an, obwohl kaum ein Händler schwarze Autos bestellt hat.

Mit neidvollem Respekt blicken Konkurrenten auf die wackere Lada-Händlertruppe. Den »schlagkräftigsten« unter ihnen gibt Dommermuth jetzt Kia als zweite Marke. Bei 300 Stützpunkten startet der Verkauf im Oktober. Bis Ende 1995 sind 800 Kia-Verkaufsstellen geplant. Damit wäre das Netz fast so dicht wie bei Toyota.

Im Weg stehen könnten dem Kia-Erfolg ganz allgemeine Vorbehalte gegen asiatische Billigprodukte. Das ahnt auch der Verkaufsprofi Dommermuth. Daher dozierte er bei der Kia-Premiere, Korea gefährde die deutsche Wirtschaft keineswegs. Zum Beleg führte er die Handelsbilanzen der beiden Länder an. 1990 flossen 3,3 Milliarden Dollar von Südkorea nach Deutschland und nur 2,9 Milliarden in die andere Richtung.

Zaudernde Konsumenten sucht Dommermuth auch mit dem Hinweis zu beschwichtigen, daß Teile der Produktionsanlagen im Kia-Werk Asan Bay bei Seoul, etwa Lackiererei und Blechpressen, aus Deutschland geliefert wurden. Nicht zu vergessen: Die Bremsen des Sephia stammen von Teves aus Frankfurt. Manch potentieller Kia-Kunde könnte auch von schlechtem Gewissen geplagt werden, weil er sein erschwingliches Fahrvergnügen ausgebeuteten Billigstarbeitern verdankt. Dommermuth selbst hatte im Sommer 1986 auf solche Mißstände hingewiesen. Als der Lada-Mann damals gefragt wurde, ob es denn schicklich sei, Autos aus der Sowjetdiktatur zu importieren, sagte er: »Fragen wir denn danach, unter welchen Arbeitsbedingungen Fernost-Autos hergestellt werden?«

Im vergangenen Monat erhielt die Welt Kunde von 30 000 protestierenden Hyundai-Werkern, die 36 Tage lang streikten, um höhere Löhne durchzusetzen. Der schwerreiche Konzernchef Chon Sung Won löste den Konflikt mit minimalen Zugeständnissen und dem Einsatz von 10 000 tränengasbewehrten Polizisten.

Für Kia fließen keine Tränen, beteuert Vertriebsmann Woo Chun Chung. Dort herrsche »reine Demokratie«, schon weil ein Viertel des Aktienkapitals der Belegschaft gehöre.

Die Kia-Werker verzichten seit zwei Jahren freiwillig auf Lohnerhöhungen. Schließlich wollen sie sich als Miteigentümer nicht selber schädigen. Ein Arbeiter verdient bei Kia umgerechnet 2600 Mark brutto im Monat und bekommt je nach Betriebszugehörigkeit bis zu 20 Tage Urlaub im Jahr, sagt Chung und lächelt. Während der Kia-Premiere in Bonn am Donnerstag letzter Woche verfinsterte sich die Miene des freundlichen Koreaners nur ein einziges Mal. Als die Frage nach der Bedeutung des Wortes Kia gestellt wurde, übersetzte der deutsche Geschäftsführer dann doch etwas zu frei. Carl Dommermuth erhob sich aus seinem Sitz und donnerte: »Der Aufstand des Ostens.« Y

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