Wälder Plünderer im Norden
Ich riskiere meine Existenz«, sagt Anja Finne, 49, Oberförsterin im finnischen Bezirk Kainuu, »aber soll ich unsere letzten Wildniswälder den Bulldozern überlassen?«
Försterin Finne kämpft in den eigenen Amtsstuben gegen den Kahlschlag: Die mächtige »Waldregierung«, wie die Finnen ihre Forstbehörde nennen, läßt gigantische Holzerntemaschinen in die urigen, weglosen Wälder im Kainuu, aber auch in die Wildmarkgebiete Lapplands vorrücken - zum Ärger von Naturschützern, rebellischen Forstleuten und Rentierhaltern.
Mit ungewohnter Heftigkeit prallen im Land der 50 000 Seen und der vermeintlich unerschöpflichen Wälder (auf jeden Finnen entfallen vier Hektar) die Interessen aufeinander: »Während alle Welt um die tropischen Regenwälder bangt«, sagt Sari Kuvaja von Greenpeace in Helsinki, »werden hier im Norden jahrhundertealte Bestände großflächig umgelegt, mit Folgen, die kaum weniger schlimm für unsere Umwelt sind.«
Entrindet, gehäckselt und zu Brei verkocht, enden knorrige Kiefern und Tannen als Rohstoff für Papier und Spanplatten. Die Ödnis, die zurückbleibt, wird zwar mit Treibhaus-Setzlingen bestückt, doch die neuen Holzplantagen, so Forstwirtin Kuvaja, »machen noch lange keinen Wald aus«.
»Don't finnish the forests« - mit diesem Slogan wollen die Greenpeacer die Not der »borealen« (Boreas: griechisch für »Nordwind") Wälder in den Brennpunkt rücken, die sich wie ein Gürtel um die Nordhalbkugel ziehen. Vor allem für den immens gestiegenen Papierbedarf plündern die skandinavischen Staaten, Kanada, die USA und Rußland ihre Urwälder. Die nordischen Holzsupermächte exportieren viermal soviel Holz wie sämtliche Tropenländer zusammen: *___Obwohl nur noch ein Prozent des finnischen und fünf ____Prozent des schwedischen Waldes als »natürlich« gelten ____können, geben die Forstbehörden der Holzindustrie ____bislang unberührte Gebiete frei. In Nordschweden, am ____Njakafjäll, wird urwüchsiger Bergwald geschlagen, in ____Finnland fallen die bizarren Kiefern der lappländischen ____Kessi-Wildmark und nun auch der Mischwald der ____ostfinnischen Kainuu-Region. *___Kanada hat die borealen Urwälder der Provinz Alberta an ____internationale Windel- und Zellstoffkonzerne vergeben, ____die gigantische Flächen roden. In British Columbia ____werden die im Feuchtklima der Westküste ____herangewachsenen ältesten und größten Nadelbäume der ____Erde zersägt. *___Jährlich vier Quadratkilometer Urwald fallen im Gebiet ____des Tanana-Flusses in Alaska, in zehn Jahren werden ____dort nach Schätzungen von Experten sämtliche Bestände ____der alten Weißtannen ausgerottet sein. *___Die russische Taiga, die mehr als die Hälfte der ____weltweiten Nadelwälder umfaßt, ist vom großflächigen ____Raubbau japanischer, südkoreanischer und amerikanischer ____Holzimporteure bedroht. Sibirische Wälder werden auch ____bei der hektischen Suche nach Öl und Erdgas vernichtet.
Zu beiden Seiten der breiten Forstschneisen, die das 450 Quadratkilometer große Kainuu-Gebiet im Osten Finnlands erschließen, fressen sich Kahlschläge in die Landschaft vor. Wo früher im Schatten des alten Waldes Moose, Flechten, Pilze und das Kraut von Blau- und Preiselbeeren den Boden überzogen, klaffen frisch aufgeworfene Gräben und Krater mit schwarzem Wurzelwerk. Vereinzelte Baumruinen und abgestorbene Espen, die der einsame Arbeiter in der schallisolierten Forstmaschine stehenließ, ragen in den Himmel.
»Das wird so weitergehen«, sagt Anja Finne, »und in zehn Jahren haben wir hier, außerhalb der Schutzzonen, keine alten Bäume mehr.«
»Der wichtigste Grund für den Niedergang der Tier- und Pflanzenarten in Finnland ist die intensive Forstwirtschaft«, resümiert ein Report, den die Biologen Pertti Rassi und Rauno Väisänen im Auftrag des finnischen Umweltministeriums zusammenstellten. Die wenigen verbliebenen »Primärwälder«, so fordern die Naturschützer, müßten deshalb unangetastet bleiben.
Mit drastischen Eingriffen trieben die finnischen (und mitteleuropäischen) Förster seit den sechziger Jahren die Mechanisierung im Wald voran. Zu den folgenschweren Fehlern, so räumt auch Jan Heino vom Ministerium für Landwirtschaft und Forsten ein, zählt die Drainage der ehemals artenreichsten Moor- und Sumpflandlandschaften Europas: Um mehr Fläche für Neuanpflanzungen zu gewinnen, haben die Waldwirtschaftler über ein Fünftel Finnlands trockengelegt.
Als Unkraut, das beseitigt werden mußte, galten alle Bäume außer Nadelhölzern und Silberbirken; heute noch werden Ebereschen und Weiden ausgerupft und Espen durch Entrinden zerstört, weil die Förster übertragbare Pilze fürchten, die empfindliche Plantagenbäume befallen können.
Im derart aufgeräumten Wald, der aus gleichaltrigem Stangenholz besteht, schwindet die Biodiversität, die Vielfalt der Arten, für die sich die Konferenz von Rio, aber auch die »Ministerkonferenz zum Schutz des Waldes in Europa« im Juni in Helsinki stark machten. Käfer, Flechten und Baumpilze, die auf totes oder altes Holz angewiesen sind, werden immer seltener oder sterben aus. Der Weißrückenspecht, ein Klettervogel, der Höhlen ebenfalls nur in alten Stämmen baut, ist schon auf etwa 30 Brutpaare dezimiert.
Hilfe bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen suchen finnische Rentierhalter - sie sehen die Grundlage ihrer Kultur bedroht. Mit einem Rechtsstreit kämpfen sie gegen den Vorstoß der Forstmaschinen in Regionen, in die zur Herbstzeit die aus den Bergen herabkommenden Rentiere ziehen. Die halbwilden Tiere ernähren sich während des Winters von Flechten, die nur an und unter den sehr alten Bäumen wachsen. »Kahlschläge und sehr junge Wälder werden von den Herden gemieden«, erklärt Ritva Torikka, eine junge Lehrerin aus dem Sami-Dorf Angeli, die selbst Rentiere besitzt.
Wenig Verständnis für die Forderungen der Sami und der Waldschützer zeigt die finnische Behörde für Landwirtschaft und Forsten. Keinesfalls sei Finnland das »Brasilien des Nordens«, erklärt Forstdirektor Heino in Helsinki. Abgeholzte Waldareale würden planmäßig wieder nachgepflanzt.
Förster Pertti Veijola, der sein Riesenrevier Nordlappland von dem 3000-Seelen-Ort Ivalo aus betreut, rühmt die neuen Methoden der »sanften Forstwirtschaft«, bei der Bäume unterschiedlichen Alters jeweils von der Rodung ausgespart bleiben. »Die Dreihundertjährigen haben das Recht, stehenzubleiben«, sagt Veijola.
Wie Bonsai-Zwerge muten Lapplands alte, extrem langsam gewachsene Kiefern an - verglichen mit den Giganten, die in Kanadas westlichster Provinz British Columbia in den Himmel ragen. Feuchte Luftströmungen vom Pazifik, die hier, im Westen Kanadas, abregnen, haben einen gemäßigten Regenwald wachsen lassen, dessen Bäume als »grüne Kathedralen« bezeichnet werden. Die bis zu 1000 Jahre alten Zedern, Sitkafichten und Hemlocktannen mit Stammdurchmessern von gut sechs Metern sind wie der Boden, auf dem sie stehen, von einem dichten Teppich aus Moosen, Farnen, zottigen Flechten und riesigen Pilzen überzogen, ein kompliziertes Ökosystem, dessen Erforschung erst in den Anfängen steckt.
Bis zu 40 000 kanadische Dollar bringt etwa eine einzige gutgewachsene Rotzeder, die später als Fertigfenster in deutschen Baumärkten oder als Zellstoff für Werbebroschüren, Windeln oder Telefonbücher endet.
Im Clayoquot Sound, einem der großartigsten Urwaldgebiete auf der Vancouver-Insel, blockieren zur Zeit tagtäglich Umweltschützer die Holzfällerkolonnen des multinationalen Holzkonzerns Mac-Millan Bloedel, etwa 700 Baumschützer warten auf ihre Prozesse.
Die Demonstranten erhielten in der vergangenen Woche Verstärkung von Greenpeace. Mit Protestaktionen machte die Organisation gleichzeitig in Kanada und in Deutschland auf den Raubbau aufmerksam. Im Clayoquot Sound wurden acht Greenpeace-Aktivisten verhaftet. In München erzwangen die Umweltschützer durch den Einsatz lautsprecherverstärkter Kettensägen Gespräche mit der Geschäftsleitung des Verlagshauses Burda.
»Von dem komplexen Waldgefüge, das sich seit der letzten Eiszeit entwickelt hat«, resümiert Aubrey Diem, Geographieprofessor an der Universität von Waterloo in Ontario, »bleibt nach den Kahlschlägen nur eine Wüste von Baumstümpfen und -trümmern.«
In wenigen Jahrzehnten habe »diese Form der Waldausbeutung« das Erscheinungsbild von British Columbia radikal verändert und »schwere Umweltprobleme verursacht": Weil die Konzerne das selektive Schlagen oder auch Vereinzeln der Bäume zu arbeitsintensiv finden, werden Hunderttausende von Hektar jährlich gleichsam abrasiert. Geographieprofessor Diem maß einen Kahlschlag, der 42 Kilometer lang und 40 Kilometer breit war.
Nur zehn Prozent der entblößten Landstriche in British Columbia werden wieder aufgeforstet, mit wenigen Arten gentechnisch manipulierter Setzlinge, von denen ein Großteil wieder eingeht. Starke Regenfälle waschen die Humusschicht aus und verschlammen die bislang klaren, lachsreichen Flüsse; Erosion an den Hängen und Überschwemmungen im Tiefland sind die Folgen.
Warum den »Ökoterroristen«, wie die Holzkonzerne die Widerständler nennen, der Clayoquot Sound so wichtig ist, erklärt Paul George, Sprecher des »Western Canada Wilderness Committee": »Wir dürfen diese Gelegenheit nicht vertun. Die USA haben 90 Prozent ihres gemäßigten Regenwaldes zerstört, ebenso Neuseeland und Australien, Europa hat an seiner Westküste diese Wälder längst verloren. Nun müssen wir wenigstens Clayoquot retten.«
Die Ökotouristen, die der Urwald von British Columbia anlockt, werden unterdessen vom Holzmulti MacMillan Bloedel mit Potemkinschen Wäldern getäuscht: Entlang der Trekkingpfade wurden die Arbeiter angewiesen, Urwaldstreifen stehenzulassen, die dahinter liegende Kahlschläge verbergen sollen.
Auch im Innern der Vancouver-Insel haben die Konzernmanager einen kleinen Park mit Hinweisschildern, gleichsam als Museum, übriggelassen. Da stehen ein paar riesige Bäume, vielbestaunt. Die Erde rundherum ist von den Besucherhorden platt getreten. Y