ENERGIE Power vom Bauer
Über saftige Wiesen kann Hermann Sieber in diesem Sommer geradezu in Verzückung geraten.
Wenn der Geschäftsführer des Genossenschaftsverbandes Schaffhausen neuerdings von den Wiesen seines Kantons schwärmt, dann tut er es vor allem aus finanziellen Gründen: Mindestens 16 Schweizer Franken kassieren die Landwirte der Region ab diesem Sommer für je 100 Kilogramm trockenes Gras.
Der Marktwert für den schlichten Rohstoff ist nach oben geschnellt, seit daraus in dem Schweizer Kanton die Edelenergie Strom erzeugt werden soll: Das weltweit erste kommerzielle Graskraftwerk geht in diesen Wochen in Schaffhausen in Betrieb. Die »Bioraffinerie«, so der offizielle Name, vergärt Halme zu Methangas, dieses wiederum wird verbrannt und in Strom und Wärme verwandelt.
Die Bauern heißen das Zubrot willkommen. 200 von ihnen mit insgesamt 600 Hektar Grasland haben bisher einen Kontrakt als Rohstofflieferanten unterzeichnet; drei Millionen Kilowattstunden Ökostrom pro Jahr sind damit gesichert, genug für 1000 Haushalte.
Das Graskraftwerk am Rhein nutzt nur eine von vielen Techniken, mit denen derzeit innovative Unternehmen versuchen, biologischen Rohstoffen Strom zu entlocken. Ob Holzpellets oder -häcksel, Sägerestholz oder Baumrinde, ob Stroh, Schilf oder Pflanzenöl, Gülle, Kuh- oder Hühnermist: kein organisches Material, das nicht von den Bio-Kraftwerkern auf seinen Energiegehalt hin abgeklopft würde. Die Bilanz: In Deutschland ließen sich rund zehn Prozent des Energieverbrauchs durch Biomasse decken (siehe Grafik).
Am letzten Montag wurde nach zähen Verhandlungen auf der Bonner Klimakonferenz die Vereinbarung zum Kyoto-Protokoll angenommen - mit dem Ziel, die weltweite Emission von Treibhausgasen zu begrenzen. Unter den Ökostromern schürt das die Hoffnung auf einen bevorstehenden Boom. Denn weil bei der Verbrennung von Biomasse ("nachwachsende Rohstoffe") immer nur so viel Kohlendioxid frei wird, wie zuvor der Atmosphäre entzogen wurde, gilt aus Biomasse erzeugter Strom als praktisch klimaneutral.
Jetzt, hoffen die Pioniere, werde ihr Produkt im In- und Ausland umso mehr gefragt sein, je verbindlicher die Industriestaaten und später die Entwicklungsländer ihre Treibhausgas-Emissionen begrenzen müssen. Man sei optimistisch, dass die Vereinbarung »in den jeweiligen Nationen die Nutzung der Biomasse voranbringen wird«, erklärt Bernd Geisen von der Bundesinitiative BioEnergie (BBE). Schließlich sei bei den Klimaverhandlungen erneut deutlich geworden, welche »erheblichen CO2-Einsparungspotenziale« die Biomasse berge.
Branchenkenner fühlen sich geradezu überrollt von der plötzlichen Dynamik, die manchen bereits an den Siegeszug der Windenergie in den letzten Jahren gemahnt. »Wirklich unglaublich«, staunt Norbert Allnoch, Leiter des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR) im westfälischen Münster, sei das plötzlich erwachte Interesse an der Stromgewinnung aus Biomasse.
Es sind die garantierten Einspeisevergütungen für Ökostrom, die vielerorts die rasante Entwicklung ausgelöst haben. In Schaffhausen etwa bezahlen die Stadtwerke rund 60 Rappen pro Kilowattstunde für den Grasstrom. In Deutschland sorgt das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) seit April vergangenen Jahres flächendeckend für verlässliche Vergütungen in Höhe von 17 bis 20 Pfennig pro Kilowattstunde Biostrom - je nach Anlagengröße. Auch in Österreich zahlen einige Bundesländer einen gesetzlich festgelegten Preis für Regenerativ-Strom.
Jetzt hoffen die Pioniere auf einen weiteren Schub, nachdem der Bundestag am 1. Juni der lange erwarteten Biomasse-Verordnung zugestimmt hat. Denn nun gilt das EEG auch für große Biomassekraftwerke mit mehr als fünf Megawatt Leistung, ebenso wie für Anlagen, die Althölzer verstromen.
»Plötzlich prüfen sogar kleine Stadtwerke ernsthaft die Möglichkeiten der Biomassenutzung«, berichtet Allnoch. Der staubtrockene Verordnungstext wurde binnen Tagen so etwas wie ein Szene-Bestseller - weit mehr als 100 000-mal schon wurde er von den Internet-Seiten des IWR herunter geladen. Sogar im Ausland stößt das rot-grüne Paragrafenwerk auf reges Interesse. »Beim Biostrom«, sagt Allnoch, »steht Deutschland unter internationaler Beobachtung.«
Erstaunliche Namen tauchen inzwischen in der vormals eher beschaulichen Biostrom-Szene auf. So kündigte die Deutsche Shell an, binnen drei Jahren bis zu acht Holzkraftwerke bauen zu wollen, jedes mit einer elektrischen Leistung von zehn Megawatt. Das erste Projekt mit einem Investitionswert von 45 Millionen Mark soll im brandenburgischen Milmersdorf entstehen und jährlich 80 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen - Elektrizität für mehr als 25 000 Haushalte.
Nur wenige Tage nach dem Ölriesen avisierte die Dortmunder RWE-Tochter Harpen AG den Bau eines 6,4-Megawatt-Holzkraftwerkes im badischen Kehl. Und auch die bisher vor allem mit Windgeneratoren erfolgreichen Aktiengesellschaften der Ökostrom-Branche sind von der Biomasse-Euphorie erfasst: Ob bei der Umweltkontor AG in Erkelenz oder bei der Plambeck Neue Energien AG in Cuxhaven, überall sind einschlägige Projekte in Planung oder im Bau. Die Solarstrom AG in Freiburg prophezeit »Umsatzrenditen zwischen 15 und deutlich über 20 Prozent«.
Insgesamt bringen es die aktuell in Deutschland projektierten Biomassekraftwerke zusammen auf rund 500 Megawatt, schätzt Markus Kurdziel, Wissenschaftlicher Koordinator der grünen Bundestagsfraktion, - das entspricht immerhin etwa der halben Leistung eines Atomkraftwerks. Das Bundesumweltministerium erwartet Neu-Investitionen von bis zu zwei Milliarden Mark als Folge der verbesserten Rahmenbedingungen.
Verbunden mit dem Trend zum Biostrom ist eine Vielzahl neuer Techniken. Typisch ist der Fall von Schwäbisch Hall: Dort plant Stadtwerke-Chef Johannes van Bergen den Bau einer Holzvergasungsanlage, bei der durch eine neue Methode die oft fatalen Probleme mit der Teerbildung verhindert werden.
Der rührige Stadtwerker entschied sich für das Vergasungsverfahren, weil so Strom effektiver erzeugt wird als bei der hergebrachten Verbrennung: 38 Prozent der im Holz gespeicherten Energie ließen sich in Strom umformen, schwärmt van Bergen, weitere 48 Prozent in Wärme. Das Projekt war zwar seit langem geplant, wurde nach dem Strompreisverfall der letzten Jahre jedoch gestoppt. Nun bekam es mit dem EEG eine zweite Chance.
Der Oberhausener Kraftwerksbauer Babcock Borsig Power wirbt ganzseitig in Magazinen für die Energie aus nachwachsenden Rohstoffen ("Wir beherrschen die Technik"). Mit einem Kraftwerk in Schottland, das letztes Jahr in Betrieb ging, macht das Unternehmen aus Hühnerkot Strom.
Die Firma Sulzer Hexis im schweizerischen Winterthur startet in diesen Wochen eine Testreihe, um Hochtemperatur-Brennstoffzellen - eigentlich für den Erdgas-Einsatz konzipiert - Biogas-tauglich zu machen. Die Firma Farmatic Biotech Energy im schleswig-holsteinischen Nortorf forscht an einem vergleichbaren Projekt, mit Unterstützung der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig. Das Hamburger Spillingwerk schließlich, einst Reparaturwerkstätte für Schiffsmaschinen, liefert jetzt Dampfmotoren zur Biomasseverstromung - unter anderem zur Elektrizitätsgewinnung aus Reishülsen und Kakaobohnenschalen.
Selbst eine von Ingenieuren stets hoch gelobte Uralt-Technik, die jedoch nie den Durchbruch am Markt schaffte, erhält mit Biogas eine neue Chance: In diesem Sommer wird die Firma Solo in Sindelfingen bei Stuttgart den vor 185 Jahren patentierten Stirling-Motor erstmals in Serie herstellen. Weil die Maschine durch jede beliebige Wärmequelle angetrieben werden kann, gilt sie als ideal für die Biomasseverstromung.
Eine Anlage zur Verfeuerung so genannter Holzpellets will Solo in anderthalb Jahren nachreichen. So nimmt das holzbefeuerte Blockheizkraftwerk Gestalt an - als Ersatz für konventionelle Öl- oder Gasheizungen im heimischen Keller.
Der Charme des Biomassestroms liegt also im breiten Spektrum der Brennstoffe und in der Vielfalt der technischen Verfahren. Und im Gegensatz zur boomenden Windbranche, die Projekte häufig nur gegen heftigen Widerstand vor Ort durchsetzen kann, bleibt den Verfechtern der sanften Bioenergie der Ärger mit aufgebrachten Bürgern erspart.
Land- und Forstwirte hoffen auf neue Einnahmequellen, innovative Technologiefirmen auf neue Märkte, die Energieunternehmen lockt, dass sie unabhängig von Sonnenscheindauer und Windverhältnissen Ökostrom in ansehnlichen Mengen produzieren können.
Nur eine Form der Bioenergie droht die Szene zu spalten: die Verbrennung von Getreide. »Das birgt Sprengstoff«, fürchtet BBE-Experte Geisen. Zwar gebe es gute Argumente für den Anbau von Energiegetreide auf bisherigen Brachflächen - warum sollte Strom zum Beispiel aus Weizen verwerflicher sein als die Verbrennung von Rapsöl oder die Vergärung von Silomais? -, doch zu einer offiziellen Position dazu konnte sich die BBE noch nicht durchringen.
Auch der Deutsche Bauernverband zögert. »Da geht es um ein Ur-Lebensmittel«, warnt Thomas Forstreuter, der Energiereferent des Verbands. So etwas zu Strom zu verbrennen, solange auf der Welt Millionen Menschen hungern, rühre Emotionen auf, die am Ende die junge Branche in Misskredit bringen könne.
Trotzdem wird Getreide schon heute als Biomasse-Energie eingesetzt - wenn auch in kleinem Maßstab. Bundesweit wächst derzeit auf 230 Hektar Stilllegungsflächen Energiegetreide.
Am Ende dürfte deshalb auch das Weizenfeuer seine Marktnische finden. Auf seiner Internet-Seite (www.getreideheizung.de) zitiert der bayerische Landwirt Franz Pentenrieder eine Erkenntnis, die schon vor Jahrzehnten kursierte: »Die Preisuntergrenze der Agrarprodukte wird von ihrem Heizwert bestimmt!«
Nachdem der Weizenpreis in den letzten Jahren stark gesunken ist, ist der Breakeven-Punkt erreicht. Weizen ist heute, gemessen am Energiegehalt, billiger als Heizöl. BERNWARD JANZING