Christian Stöcker

Russlands Machtanspruch Putin muss geglaubt haben, er könne mit dem Westen alles anstellen

Christian Stöcker
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Vor den Augen der Welt hat Russland über die Jahre Demokratien unterwandert. Spätestens jetzt kann Europa nicht länger wegsehen: Der Westen sollte sich endlich von diesem gewaltigen Einfluss befreien.
Marine Le Pen und Wladimir Putin: Sie ist Russlands Kandidatin – und zwar nicht erst seit gestern

Marine Le Pen und Wladimir Putin: Sie ist Russlands Kandidatin – und zwar nicht erst seit gestern

Foto: ITAR-TASS / IMAGO

Rückblickend ist besonders entlarvend, dass Marine Le Pen mit diesem Bild sogar Wahlkampf machte, auch noch nach dem Angriff auf die Ukraine. Der Flyer, in dem ihre Partei Rassemblement National (RN) Le Pen für ihre Verbindungen zu Staatschefs und »patriotischen Bewegungen in ganz Europa« preist, ist immer noch online. Einschließlich des Bildes, in dem Le Pen Putins Hand schüttelt und stolz in die Kamera schaut.

Die Stichwahl um das Präsidentenamt in Frankreich ist, wie so viele Wahlen und Abstimmungen in Europa und den USA, auch eine, in der es um die Interessen von Wladimir Putin und seinem Kabal aus superreichen Ex-KGB-Männern geht.

Le Pen ist Putins Kandidatin, daran kann es keinen Zweifel geben. Und zwar nicht erst seit gestern. Und sie ist bei Weitem nicht die Einzige.

Milliardenschwere schwarze Kassen

2014, RN war damals praktisch pleite, bekam Le Pens Partei einen Kredit von mehr als neun Millionen Euro  von einer in Prag ansässigen tschechisch-russischen Bank. Es gab Verbindungen zu Gennadi Timtschenko, und Timtschenko ist eben einer jener schwerreichen Ex-KGB-Männer, mit denen Putin schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Für Putins Leute und ihre schwarzen Kassen, war die Summe ein Witz, diese Männer hantieren mit Milliarden, aus dem Geschäft mit Öl, Gas, Mineralien und russischen Staatsunternehmen.

Hierzulande ist fast schon in Vergessenheit geraten, dass es direkt vor der letzten Stichwahl in Frankreich ein mit größter Wahrscheinlichkeit aus Russland stammendes E-Mail-Leak gab, mit mutmaßlich vielen gefälschten Mails darunter . Augenscheinlich sollte damit die Wahl beeinflusst werden– natürlich zugunsten Le Pens. Bei der Verbreitung mischte übrigens neben amerikanischen Rechtsradikalen Wikileaks kräftig mit , obwohl der Leak gar nicht von der Plattform selbst stammte. Wikileaks hat, das nebenbei, ziemlich oft in Putins Interesse gehandelt, bekanntlich auch in den USA, und sogar  in Belarus . Julian Assange selbst ließ sich bekanntlich sogar vom Kreml-Propagandasender »Russia Today« einspannen.

Eine lange und trotzdem unvollständige Liste

Aber zurück zu Wladimir Putin. Der hat nicht nur seine eigene Kandidatin für das französische Präsidentenamt. Russland hat sich über die Jahre in vielen westlichen Demokratien eingekauft. Hier ein paar Beispiele:

Putins Leute schmierten vermutlich Silvio Berlusconi , der sich natürlich revanchierte. 2015 zum Beispiel, nach dem Einmarsch auf der Krim und im Donbas also, mit einem flammenden Pro-Putin-Plädoyer in Form eines Leserbriefs an den »Corriere della Sera« .

Putins Leute schmierten wohl auch Italiens führenden Rechtsaußen Matteo Salvini , passenderweise mit zwielichtigen Ölgeschäften. Die Russen priesen Salvini als »den europäischen Trump«, und das kann man aus heutiger Sicht durchaus mehrdeutig finden. Gianluca Savoini, ein enger Mitarbeiter Salvinis, versprach im Gespräch mit Abgesandten Putins , man wolle ein »neues Europa«, das »nah an Russland« sein müsse. Dann zählte er die Verbündeten bei dieser Mission auf: die österreichische FPÖ, die deutsche AfD, »Madame Le Pen« in Frankreich, Victor Orbán in Ungarn und die rechtspopulistischen Schwedendemokraten in Schweden.

Savoini ist eine der Schlüsselfiguren dieser russisch-europäischen rechten Erweckungsbewegung. Auf russischer Seite ist einer der wichtigsten Akteure der Milliardär Konstantin Malofejew , der schon seit vielen Jahren an einer reaktionären europäischen Allianz arbeitet. Es ist völlig klar, dass Malofejew für den Kreml arbeitet – er finanzierte auch die »Aufständischen« im Osten der Ukraine.

Putins Leute versorgten aber auch konservative Politiker und Lords in Großbritannien, in diesem Fall auf dem Umweg über die in London so zahlreich vertretenen schwerreichen Russinnen und Russen. »Mehrere Mitglieder der russischen Elite, die eng mit Putin verbunden sind, sind im Vereinigten Königreich mit karitativen und/oder politischen Organisationen verknüpft«, heißt es im hierzulande wenig beachteten »Russlandreport«  eines britischen Parlamentsausschusses.

In dem Bericht sollte es eigentlich um die Frage geben, in welcher Form Russland auf das Brexit-Referendum Einfluss genommen hat. Der Ausschuss kam aber zu dem Schluss, dass sich diese Frage nicht klar beantworten lasse – weil weder die Londoner Regierung noch die britischen Geheimdienste auch nur versucht hatten, dieser nicht ganz unwichtigen Frage auf den Grund zu gehen.

Der Bericht weist explizit darauf hin, dass die genannten Putin-nahen Mitglieder der »russischen Elite« an politische Parteien gespendet haben, und dass außerdem mehrere Mitglieder des Oberhauses Geschäftsbeziehungen mit dem russischen Staat verbundenen Unternehmen unterhalten oder gleich direkt von ihnen bezahlt werden. Skurrilerweise stellte sich gleichzeitig der damalige Labour-Chef Jeremy Corbyn auf Putins Seite . Russland war in Großbritannien atemberaubend erfolgreich.

Auch Boris Johnson selbst hat direkte Verbindungen, zu mindestens einem reichen Russen, der aus heutiger Sicht nichts anderes ist als ein Agent des Kreml , auch, wenn er das natürlich stets abstritt. Die Verflechtungen der russischen Bewohner »Londongrads« und dem britischen Polit-Establishment, insbesondere den Tories, sind so vielfältig wie verwirrend .

Völlig klar ist dagegen: Putin wollte den Brexit, auch, wenn er selbst behauptete, er sei da »ambivalent«. In Wahrheit tat Russlands Regime alles, um diese aus seiner Sicht so wünschenswerte Schwächung der EU zu befördern. »Mr. Brexit«, Nigel Farage, hat Putin immer wieder gelobt , sogar einmal erklärt er »bewundere« ihn. Wieder und wieder hat er russische Propagandapositionen öffentlich wiederholt und, natürlich gegen Geld, ebenfalls für den Kreml-Propagandasender RT gearbeitet. Die Liste westlicher Akteure, die bei RT mitmachten, ist lang .

Vermutlich floss auch noch auf anderen Wegen  eine Menge russisches Geld  in die Finanzierung der »Leave«-Kampagne , und, einer aberwitzigen Pseudo-Partei-Konstruktion sei Dank, vermutlich auch direkt an Farages Ukip-Partei .

Überraschend war das eigentlich nicht, denn auch schon bei Schottlands Unabhängigkeitsreferendum 2014 hatte Russland offenkundig versucht, mitzumischen . Trotzdem fehlten MI5, MI6 und GCHQ, den mächtigen britischen Diensten, aus irgendwelchen Gründen offenbar das Interesse, den russischen Einflussoperationen rund um die folgenschwerste politische Entscheidung ihres Landes seit langem nachzugehen.

Wenige dieser Geldflüsse lassen sich glasklar nachweisen, aber das Geschäft mit schwarzen Kassen und verdeckten Zahlungen hatte der KGB ja schon vor dem Fall der Sowjetunion perfektioniert. Putin und seine Co-Kleptokraten haben dieses System ausgebaut und perfektioniert. Offshore-Firmen, verschleierte Kredite, Öldeals, symmetrische Aktiengeschäfte mit Rubeln hier und Dollars oder britischen Pfund dort – wer sich für die Details interessiert, dem sei einmal mehr Catherine Beltons Mammutwerk »Putins Netz« empfohlen. Die Geldtöpfe, auf die Putins Silowiki zugreifen können, enthielten, Öl, Gas und Deals sei Dank, Abermilliarden Dollar.

Eine Gesamtschau aller russischen Einflussoperationen im Westen würden den Rahmen dieser Kolumne bei Weitem sprengen, aber das Muster ist ohnehin völlig klar: Der Kreml hofierte die AfD , angeblich auch mit »Geldangeboten an Politiker« in »dicken Briefumschlägen«. Er machte Deals mit der FPÖ in Österreich, und wie bereitwillig man dort bei so etwa mitmachte, konnte man sich im Ibiza-Video ja selbst ansehen. Und so weiter.

»Eine Menge Zeit und Geld investiert«

Schon 2015 sagte ein Berater des damaligen Vizepräsidenten Joe Biden der Journalistin Catherine Belton, Russland finanziere den Front National (die Partei, die heute RN heißt) in Frankreich, Jobbik in Ungarn, die Lega Nord in Italien. Russland sei »total promiskuitiv« bei seinen Einflussoperationen und unterstütze auch Italiens Fünf-Sterne-Bewegung, Griechenlands linksradikale Syriza und, so der Biden-Berater, »wir vermuten, auch die Linke in Deutschland«. Das Ziel sei es stets, »die EU zu schwächen und den Konsens über Sanktionen zu brechen«. »Sie haben eine Menge Zeit und Geld in dieses Ziel investiert.«

Wie gesagt: Das war 2015. All diese Dinge waren längst bekannt. Alle haben weggeschaut.

Bekanntlich gingen und gehen Russlands Anstrengungen aber über Europa hinaus. Auch bei Donald Trump, der schon seit den Neunzigern in zahllose zwielichtige Geschäfte mit reichen Russen  verwickelt war, ist völlig klar, dass er Wladimir Putins Wunschkandidat war. Sicher auch deshalb, weil man etwas gegen ihn in der Hand hat.

Eine gigantische Aufarbeitung ist nötig

Aus heutiger Sicht muss eins klar sein: All die politischen Figuren, die entweder Geld aus Russland genommen oder Wladimir Putin öffentlich gelobt haben – ob Farage oder Alexis Tsipras, ob Le Pen oder Salvini, ob Trump, ob Gerhard Schröder, deutsche Linken-Politiker oder Putins Propagandisten in der AfD – sind spätestens jetzt als völlig diskreditiert zu betrachten.

Vor den Augen der Welt hat Russland über viele Jahre seine Einflussoperationen im Westen betrieben, nicht nur, aber maßgeblich durch Allianzen mit und Förderung von rechtsradikalen und -extremen Parteien und Akteuren. Besonders tief stecken die Haken des Auslandsgeheimdienstes FSB im politischen Establishment Großbritanniens. Aber auch im Rest von Europa gibt es eine gewaltige Menge aufzuarbeiten. Es wird höchste Zeit. Putin muss, angesichts all der Erfolge des FSB und seiner Silowiki, geglaubt haben, er könne mit dem Westen einfach alles anstellen.

Es gilt, die westlichen Handlanger dieses menschenverachtenden Regimes, das illegale Angriffskriege führt, das morden, foltern und vergewaltigen lässt, endlich zu ächten und sich vom Einfluss des Kremls zu befreien. Und zwar gründlich.

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