Hörfunk Radio mit Bildern
Die Hauptstadt der Bewegung ist - mal wieder - München. Dort hat sich unter ihrem Vorsitzenden, dem ehemaligen Technischen Direktor des Bayerischen Rundfunks, Frank Müller-Römer, die deutsche DAB-Plattform e.V. formiert.
Erklärtes Ziel des Vereins ist nichts Geringeres als die Abschaffung des UKW-Rundfunks, der bislang mit 1337 Sendern allein in Deutschland die Hauptlast der Hörfunkversorgung trägt.
UKW soll durch ein besseres, multifunktionales Digitalradio ersetzt werden. Nicht gleich morgen, aber über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren.
Die Chancen, daß es so kommt, daß alle, die heute UKW hören, statt dessen eines Tages »Digital Audio Broadcasting« (DAB) einschalten werden, stehen nicht schlecht. Die Radiobauer, von Blaupunkt bis Telefunken, sind hoffnungsfroh: Der Bedarf an Geräten, die für den DAB-Empfang gebraucht werden, könnte sich bis zum Jahr 2010 auf eine halbe Milliarde Stück summieren.
Ende dieser Woche zur 40. Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin, die sich schon wiederholt als Startrampe für Rundfunkinnovationen bewährt hat, geht DAB erstmals auf Sendung.
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg startet zusammen mit der Deutschen Telekom »das erste von allen deutschen DAB-Pilotprojekten«. Andere Landesmedienanstalten folgen den Hauptstädtern, nächstes Jahr sollen sich bereits etwa 10 000 deutsche Mustermänner und -frauen mit speziellen DAB-Empfängern testweise in die neue Welle einhören können.
Digital Audio Broadcasting ist mindestens so revolutionär wie vor 46 Jahren der damals neue Ultrakurzwellen-Empfang. Dessen Audioqualität machte seinerzeit den Hörern erstmals bewußt, wie dürftig der Klang der Mittelwellensender war, denen sie seit Beginn des Rundfunkzeitalters gelauscht hatten.
Den nächsten Quantensprung erlebten die Musikhörer, als 1981 die Compact Disc (CD) eingeführt wurde: Die revolutionäre Digitaltechnik, die Musik nicht länger als Wellenbewegung erfaßt, sondern jeden Ton mathematisch analysiert, bescherte bei nur geringen Mehrkosten kaum noch zu überbietenden Stereosound.
Der Erfolg der CD ermunterte die Ingenieure der Unterhaltungselektronik (UE), den guten Digitalton auch auf andere _(* Prototyp mit Datensichtschirm. )
Audiobereiche zu übertragen. Und schon seit Jahren basteln die Entwickler in den Hinterzimmern der UE-Fabriken am ultimativen digitalen Rundfunk. Das Resultat ist das technisch raffinierte, terrestrisch ausgestrahlte DAB (siehe Grafik Seite 146).
»Die Vorteile der digitalen Rundfunktechnik«, so umschreibt Promotor Müller-Römer den wichtigsten DAB-Nutzen, »liegen in der überlegenen Empfangsqualität, die von einer CD-Wiedergabe nicht zu unterscheiden ist.« Besondere Eigenschaften des Sendernetzes und zusätzliche elektronische Korrekturverfahren sorgen dafür, daß das digitale Radiosignal in den Straßenschluchten der dichtbebauten Städte genauso störungsfrei zu empfangen ist wie in Gebirgslandschaften, »im stationären Betrieb wie im bewegten Fahrzeug«.
Erste Vorüberlegungen zu der neuartigen Sendetechnik hatte es bereits 1980 beim Institut für Rundfunktechnik in München gegeben. Zwei deutsche Techniker, Wolfgang Klimek von der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt und Hans-Georg Musmann von der Technischen Universität Hannover, hielten ein Jahr später auf einem Symposium beim Bayerischen Rundfunk einen Vortrag über ihre Ideen.
Ein erster Ausstrahlungsversuch 1985 in München bestätigte den eingeschlagenen Pfad. 1986 gelang es der europäischen UE-Industrie, das Vorhaben als Eureka-Projekt 147 in Brüssel festzumachen: Förderungsmillionen flossen.
Ursprünglich hatten die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten schon vor zwei Jahren mit DAB-Pilotsendungen beginnen wollen. Doch angesichts knapper Mittel und anhaltender Gebührendiskussionen schien es den Intendanten der falsche Zeitpunkt für die teure Einführung eines neuen Radiosystems. Mittlerweile ist in Deutschland ein flächendeckendes Sendernetz im Aufbau, geeignete Frequenzen wurden zugeteilt, in 20 weiteren Ländern laufen Feldversuche.
Während anfangs bei den Diskussionen über DAB allein die Tonqualität im Vordergrund stand, wird jetzt bei den Pilotprojekten eine zweite Besonderheit des Digital Audio Broadcasting hervorgehoben: DAB ist nicht nur Hörfunk, sondern - kurioserweise - auch Radio zum Sehen.
Auf der digitalen Welle können - ähnlich wie der Videotext beim Fernsehen - Schrifttafeln, aber auch Lauftexte und sogar bewegte Bilder mitreiten, die dann am DAB-Radio auf einem Bildschirm zu besichtigen sind. »Das Bild war das einzige, was dem Radio bisher noch fehlte«, begeistert sich Forschungsleiter Dr. Gert Siegle von Bosch.
Auf der IFA am Berliner Funkturm wird gezeigt, was den Benutzer am Radio mit Bild in Zukunft erwartet: Standbilder von Orchestern und Dirigenten als Beigabe zu einem Klassikprogramm oder auch die Anzeige des gerade laufenden Titels, der Interpreten und der Bestellangaben für die CD.
Auch dezidierte Verkehrshinweise mit Warnungen vor Staus oder belegten Parkplätzen werden auf Radiobildschirmen zu lesen sein, ebenso Nachrichten oder Wetterberichte, Hotel- und Immobilienangebote mit Bild, womöglich auch digitales Fernsehen im Auto. Überdies könnte über Digitalfunk der gesamte Inhalt einer Tageszeitung übertragen werden; im Haus des Abonnenten decodiert ein DAB-Computer die digitalen Signale und druckt sie auf einem PC-Drucker aus, komplett mit Text und Bildern.
In Berlin strahlen die DAB-Sender am Alexanderplatz und am Schäferberg freilich vorerst fast ins Leere. Zwar hat die Telekom bei Bosch-Blaupunkt in Hildesheim 1000 DAB-Radios für das Berliner Pilotprojekt bestellt, doch zur IFA stehen nicht mehr als zwei Dutzend Vorführgeräte zur Verfügung.
Besser vorbereitet wollen die Münchner in die Digitalfunk-Ära starten, wenn sie wenige Wochen später mit Aplomb ihre DAB-Premiere feiern. Das Pilotprojekt Bayern ist mit 42 Millionen Mark üppig ausgestattet.
Bayern hat ein Netz mit elf Sendern aufgebaut, das knapp drei Viertel des Freistaates mit landesweiten DAB-Programmen versorgen kann, dazu je ein lokales Sendernetz in München, Nürnberg und Ingolstadt. Mehr als 4000 Testhörer sollen in Kürze eines der Zukunftsradios geschenkt bekommen, hergestellt bei Grundig am Bayern-Standort Fürth.
Ehe DAB bundesweit in den Regelbetrieb geht - geplant ist dies zur nächsten IFA 1997 -, sind noch etliche gesetzgeberische Probleme zu lösen. Offen ist zum Beispiel die Frage, ob Bildschirme, wie sie zum DAB-Autoradio gehören, im Sichtbereich des Fahrers geduldet werden können. In manchen Staaten der USA ist das aus Gründen der Verkehrssicherheit prinzipiell verboten.
Schon im Vorfeld hatten sich die innovativen Radiobastler aus Hildesheim zu diesem Punkt etwas einfallen lassen: Bei einem Autoradio, mit dem man auch fernsehen kann, bleibt der Bildschirm dunkel, solange nicht die Handbremse angezogen ist: Glotze im Auto geht nur, wenn der Wagen steht. Y
Ein Bild des Dirigenten reitet auf der digitalen Welle mit
[Grafiktext]
Funktionsweise von DAB (Digital Audio Broadcasting)
Herkömmlicher Rundfunk (UKW)
[GrafiktextEnde]
* Prototyp mit Datensichtschirm.