Sexforscher Rätselhafter Helfer
So macht die Liebe richtig Spaß: Erst mal »am Ohr knabbern« und ein »zartes Küßchen« auf den Hals. Dann aber rasch abwärts und dem »gesamten Warzenvorhof« der Partnerin einen »zärtlichen Dialog« anbieten, »mit der Zunge, den Lippen, den Fingerspitzen«. Weiter, Mann! Es geht um »elektrische Ströme«, die fließen müssen, sonst droht ein Desaster.
Deshalb beißt Mann Frau kurz entschlossen in die Kniekehle, das steigert Strom und Spannung. Nun noch einen »Kußschauer« auf die Innenseite der Oberschenkel, den Po dabei sanft kneten, gut durchatmen, Augen zu, jetzt sprühen die Funken.
In der Liebe nicht verzagen, erst mal Doktor Kaplan fragen.
Der bärtige Sex-Guru verhalf den Bild-Lesern mit einer langen Serie zu »Glück und Erfüllung«, kümmert sich aber auch rührend um die darniederliegende Lust der Käufer von Quick, Hörzu und Bunte.
Auch wenn seine akademischen Zunftkollegen nicht mehr weiterwissen, Kaplan steht ihnen bei. So rät er im Fachblatt Sexualmedizin zu einem Fußbad mit »ganz speziellen ätherischen Ölen«, weil das garantiert »den müdesten Mann wieder munter« macht.
Im Sommer letzten Jahres präsidierte der Gelehrte einer Sitzung der »3. Internationalen Berlin-Konferenz für Sexologie«. Zu diesem Meeting waren Nothelfer aus allen Kontinenten herbeigeeilt. Die Mitteilung der wissenschaftlichen Beobachtungen Kaplans sorgte für die Sensation des Kongresses: Der Professor ließ seine Zuhörer wissen, daß er schon vor zwei Jahrzehnten bei Hunderten ungeborener Kinder aus Fruchtwasser und Nabelschnurblut die Hormonsituation bestimmt, das Triebschicksal seiner Patienten seither verfolgt habe und nun erklären könne, wie und wann Hormone im Hirn des Ungeborenen über Homo-, Bi- oder Heterosexualität entscheiden.
Staunend lauschten die Sexualwissenschaftler dem selbstsicher plädierenden Kaplan. Endlich schien ein altes Menschheitsrätsel gelöst. Die Triebrichtung, so Kaplan, sei angeborenes Schicksal, nicht durch die Umwelt, gar durch Verführung gesteuert, sondern im Mutterleib durch Hormonüberflutung entschieden. Ehe Kaplan handfeste Beweise seiner Untersuchungen präsentieren konnte, zwangen ihn leider dringende Termine zur Abreise.
Seither stochern seine Kollegen im Nebel, allen voran der Ost-Berliner Sexualwissenschaftler Hartmut Bosinski, 35. Dem studierten Kinderarzt kam Kaplans großer Auftritt mysteriös vor - gab es doch vor 20 Jahren nirgendwo in der Welt ein Verfahren, die Nabelschnur eines Ungeborenen zu punktieren. Dazu bedarf es nämlich zwecks Ortung des dünnen Gewebestranges hochauflösender Ultraschallgeräte, die damals weder entwickelt noch gar im Handel waren.
Bosinskis Mißtrauen wuchs, als er völlig vergeblich nach einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen Kaplans suchte. Der Gelehrte schmückt sich zwar mit einem Professorentitel, und in seinem deutschen Reisepaß sind gleich drei Doktortitel verzeichnet. Doch die Spurensuche förderte erst mal nur populärwissenschaftliche Ratgeber zutage, wie das 300-Seiten-Opus »Die Krankheiten unserer Zeit« (1986 im Schweizer Ariston Verlag erschienen) oder den zwei Jahre später (gleichfalls bei Ariston veröffentlichten) Mut- und Muntermacher »Ein Mann bleibt ein Mann - Lösungen für sexuelle Probleme«. Unterhaltsam liest sich beidemal vor allem der Klappentext (siehe Abbildungen).
Im Frühwerk Kaplans zeigt das Autorenporträt einen weißhaarigen Gelehrten, angeblich 1926 geboren. Zwei Jahre später sieht Leon Kaplan schon ganz anders aus; zehn Jahre jünger, denn nun ist er 1936 zur Welt gekommen. Aber jedesmal behauptet der Akademikus, er sei »Mitglied des Kollegiums der Chirurgen Ihrer Majestät der Königin Elisabeth II.« sowie (doppelt hilft besser) »gleichzeitig Lizenzinhaber des Königlichen Kollegiums der Internisten in London«. So steht es auch stolz in seinem Briefkopf.
Leider wissen die hochangesehenen englischen Gesellschaften nichts von einem Mitglied Leon Kaplan. Selbst unter seinem richtigen Namen Ronald Michael Arthur Chaplain ist er dort ganz unbekannt. Sorry, Sir.
Chaplain alias Kaplan ist auch nicht 1926 oder 1936 geboren, sondern am 2. Mai 1939 in Frankfurt am Main. Die »Elite-Universitäten«, an denen er 1956 bis 1961 studierte, heißen Jena und Halle, immerhin hat er dort nachweislich ein »Zweifach-Studium« der Chemie und Medizin absolviert, das nur einen kleinen Haken hat: Die »ärztliche Prüfung«, die Chaplain am 12. September 1961 in Halle bestand, »berechtigt nicht zum Antrag auf Approbation als Arzt«, wie der Prüfungsvorsitzende warnend vermerkt.
Gleichwohl führt Sexologe Kaplan den »Dr. med.« - die Herkunft dieses Titels ist nebulös. Dunkel blieb bisher auch, welche Universität den Schmalspur-Medikus schon mit 30 Jahren zum Professor erhoben haben könnte, wie er behauptet. Durch britische Belege gestützt ist lediglich die Promotion zum »Dr. phil.«, 1966 in Oxford. Damals hielt sich Kaplan, wie er später in einem Lebenslauf formulierte, »im Auftrag unserer Regierung« (der DDR) in der englischen Universitätsstadt auf. Seinen Versuch, dort auch noch einen medizinischen Grad, den »Bachelor of Medicine« zu erwerben, brach er ab.
Zurückgekehrt in die Arbeiter-und-Bauern-Republik, werkelte Chaplain-Kaplan von 1966 bis 1973 an der Technischen Hochschule Magdeburg, Sektion Technische Kybernetik, wo er seine »Fähigkeiten zur Leitung sozialistischer Kollektive unter Beweis« stellte (wie damals sein Sektionsdirektor urteilte).
Tatsächlich, so jedenfalls behauptet Multi-Talent Kaplan in der jüngsten Ausgabe der Illustrierten New mag, sei er damals als Agent des britischen Geheimdienstes MI 5 tätig gewesen - ein Dunkelmann im weißen Kittel. 1973 habe er fluchtartig die DDR verlassen. Auf Antrag des Magdeburger Staatsanwaltes beschloß der Senat der Humboldt-Universität daraufhin, Kaplan den Dr. sc. nat. wieder abzuerkennen.
Kaplans Interesse am Sex muß aus späteren Tagen datieren. Während der Magdeburger Zeiten hat sich Chaplain nachweislich nicht mit Schwangeren und ihren ungeborenen Babys befaßt, sondern mit der Erforschung biochemischer Besonderheiten des tierischen Muskels. Genauer gesagt: Chaplain verfütterte, wie sich seine damalige Laborassistentin erinnert, der Wissenschaft zuliebe Schabefleisch an Schildkröten. o