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LUFTFAHRT Rettende Rosen

Vögel gefährden den Flugbetrieb. Abwehrmaßnahmen wurden verbessert, aber wohl nicht überall strikt angewandt. *
aus DER SPIEGEL 30/1986

Schon wenige Sekunden nach dem Abheben vernahmen etliche der 172 Passagiere »dumpfe Schläge« gegen die Außenhaut des Flugzeugs. Einige sahen, voller Schreck, wie »dunkle Klumpen« gegen die Triebwerke prallten, die nach dem Bericht eines Fluggastes alsbald »furchtbar ins Stottern« kamen - tödliche Gefahr für den Airbus der französischen Air Inter, vorletzte Woche bei Nizza.

In einer weiten Schleife steuerten die Piloten ihre Maschine wieder zurück auf die Piste von Nizza. Auf sicherem Boden erwies sich, daß dem Riesenflugzeug im Steigflug unversehens eine Anzahl von Kormoranen in die Quere gekommen war, Triebwerkteile beschädigt und dadurch die Notlandung erzwungen hatten.

Der Zwischenfall von Nizza erinnerte Fachleute der Flugsicherheit fatal an ein zunächst rätselhaftes Flugzeugunglück aus dem Jahre 1960. Damals war eine viermotorige Turboprop-Maschine vom Typ Lockheed Electra kurz nach dem Start in Boston zerborsten, wobei alle 62 Personen an Bord zu Tode kamen. Erst bei genauer Analyse der Trümmer stellte sich heraus: Nur 80 Gramm wiegende gefiederte Konkurrenten hatten den tonnenschweren Metallvogel zum Absturz gebracht - die Lockheed Electra war mit einem Schwarm von Staren kollidiert.

Seit dieser ersten Vogelschlag-Katastrophe des Turbinen-Zeitalters ist ein Vierteljahrhundert verstrichen. Doch noch immer haben Flugsicherheitsexperten die Gefahr nicht völlig bannen können. Mal traf es Linienmaschinen, mal zweistrahlige Manager-Jets wie jenen vom Typ HS 125, dem während des Abhebens in Surrey (England) einige Kiebitze in die Triebwerke flogen, so daß die Maschine ihren Steigflug nicht mehr fortsetzen konnte und bei der unvermeidlichen Bruchlandung ein Auto zerfetzte (sechs Tote).

Mal ging es, so bei einem Lufthansa-Airbus in Frankfurt und einer Concorde der British Airways in New York, glimpflich ab, mußten nach den Vogelschlägen zerstörte Triebwerke zu Kosten in Millionenhöhe ausgetauscht werden.

Mal wurde es richtig teuer: Als eine DC10 der Overseas National Airways auf dem Kennedy Airport ein paar Kilo Möwen in eines ihrer drei Triebwerke gesogen hatte, konnten sich zwar die 139 Passagiere in letzter Sekunde retten, aber das 60-Millionen-Mark-Flugzeug verbrannte.

»Früher oder später«, warnte unlängst der britische Biologe Malcolm Smith, werde sich durch Vogelschlag ein nach Ansicht des Wissenschaftlers beinahe »vorprogrammiertes Desaster« ereignen.

Die Risiken sind in der Ära der Düsenflugzeuge wieder gewachsen; küstennahe Flugplätze scheinen besonders gefährdet. In rund 10000 Fällen pro Jahr, so die Statistik, stoßen Vögel mit Verkehrsflugzeugen zusammen, wobei allein im Jahre 1983 für rund drei Milliarden Mark Schäden entstanden.

In den fliegerischen Pionierjahren waren die damals gebräuchlichen leichten Flugmaschinen allein schon durch die Wucht eines Zusammenstoßes mit schwerem Fluggetier wie Gänsen oder Schwänen ernsthaft gefährdet. Später, als die Ganzmetallflugzeuge aufkamen, verminderte sich die Gefahr, weil die Vögel - meist rechtzeitig durch den Propellerlärm gewarnt - ausweichen konnten. Kam es zum Aufprall, entstanden schlimmstenfalls Scharten oder leichte Unwuchten an den Propellern. An die eigentlichen Triebwerke kamen die Tiere nicht heran.

Moderne Jets werden für die Vögel erst im letzten Moment hörbar: wenn der rettende Schwingenschlag nicht mehr gelingt, geraten die Tiere unentrinnbar in den - bei Jumboflugzeugen mannshohen - Turbinenschlund. An den hochempfindlichen

Schaufelblättern treten Verformungen, Unwuchten, Zerstörungen und Lagerschäden (mit Gefahr von Ölverlust) auf. Außerdem kann es zu einem Strömungsabriß im Triebwerk kommen, das sich dann gleichsam »verschluckt« und ins Husten kommt - womöglich nicht nur für die Vögel tödlich.

Seltsame Vögel: Jahr um Jahr haben ihnen Flugsicherer und Vogelkundler energisch zugesetzt, indem sie Warndienste einrichteten und außerdem versuchten, den Flugtieren ihren Aufenthalt auf Flugfeldern durch immer raffiniertere Maßnahmen systematisch zu vermiesen. Möwen, Kiebitze, Tauben, Rabenvögel, Stare und Spatzen scherten sich wenig um Versuche, ihnen akustisch beizukommen oder sie an Leib und Leben zu schädigen.

Schreckböller und Heuler wurden abgefeuert. Jagdbeauftragte schossen Schrotladungen in Schwärme von Krähen, Lautsprecher ließen via Tonband etwa den Todes- und Warnschrei der Lachmöwe übers Flugfeld gellen, auf dem Charles-de-Gaulle-Flughafen erhob sich wie nach Flugplan eine Force de frappe abgerichteter Falken und Geier in die Luft - aber nirgendwo gelang eine Abschreckung auf Dauer.

Der »Vogelschlag-Beauftragte« des wohl besonders gefährdeten Flughafens Hamburg setzte gar »versuchsweise Laserstrahlgeräte ein, die allerdings nur wirksam sind, wenn der Strahl das Vogelauge trifft«. Als zu kompliziert und kostspielig erwiesen sich Versuche mit Ultraschallwellen, »die im Vogelgehör Schmerz auslöse«.

Vogelschlag, räumte letzten Monat ein Sprecher der Flughafengesellschaft ein, sei nach wie vor »ein großes Problem für uns«. In regelmäßigen Abständen, praktisch vor jedem Jumbo-Start, brausen die Hamburger mit ihrem Warnauto los, aus dem heraus sie notfalls Schreckschüsse knallen lassen.

Als beste Methode hat sich erwiesen den Vögeln durch mehrere, einander ergänzende Maßnahmen die Lebensgrundlage im Flughafengebiet zu entziehen. So werden beispielsweise durch geeignete Bodenbehandlung zunächst die Speisetiere der Vögel wie Regenwürmer und sonstige Kleinlebewesen kurzgehalten. Überdies empfahlen die Wissenschaftler, die traditionellen Flugplatzschafe fernzuhalten, weil Vögel Flächen mit Kurzgras lieben, dagegen langes Gras nicht ausstehen können, das ihnen die Futtersuche erschwert.

Beileibe dürfe kein Klee ausgesät werden, so die Direktive, weil die Tauben gerade diese Pflanzenart schätzten. Als hilfreich hat sich dagegen das Anpflanzen von wilden Rosen erwiesen, weil diese knuffeligen Gewächse die Vögel verärgern und schließlich vergrämen halfen.

Die Manager mittlerer und kleinerer Flugplätze freilich, so meinen Sachkenner, hätten nicht die für derartigen Aufwand erforderlichen Mittel. Schon immer wurden, offenbar mangels Vorsorge, auf kleineren Flugfeldern trotz viel weniger Starts und Landungen vergleichsweise häufiger Vogelschlag-Zwischenfälle beobachtet.

Biologe Malcolm Smith glaubt daher, ein von ihm befürchtetes Vogelschlag-Desaster würde weniger wahrscheinlich auf einem internationalen Großflughafen, »sondern eher einem Provinzflugfeld« passieren.

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