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ESSEN Säfte zügeln

In New York traf sich wieder einmal der »Club der Chefs« - eine Vereinigung der Leibköche von Majestäten und Präsidenten-, um Erfahrungen auszutauschen. *
aus DER SPIEGEL 33/1987

Kaiser Hirohito von Japan ist einer, der die Gaumensegel nicht so schnell streicht: »Seine Majestät essen befriedigend, immer eine zweite Portion«, sagte mit weit ausladender Geste sein Leibkoch Makoto Watanabe, der »zweite Wächter des allerhöchsten Magens«. Mit anderen Worten: Majestät hat Übergewicht.

Letzte Woche freilich mußte der Kaiser seines geschätzten Kochs entraten - ein Schicksal, das er mit den Mächtigen und den Monarchen dieser Welt teilte; Ihre Küchenchefs hatten sich davongemacht, nach Amerika hin, wo sie Ratschluß hielten, wie sie dem leiblichen Wohl ihrer Herrschaft fürderhin noch besser dienen könnten.

Die Namen dieser Cuisiniers sind weithin unbekannt, sie stehen in kaum einem Gourmet-Guide und in kaum einer Zeitung, obwohl ihre Träger zu den hervorragendsten Köchen auf dem Erdenrund zählen. Denn in einem sind die Hochmögenden beider Hemisphären einig, seien sie nun Kommunisten oder Konservative, moslemischen oder christlichen Glaubens: Sie wollen besser speisen als das Volk, das sie regieren.

Vor zehn Jahren schlossen sich die Köche im »Club des Chefs des Chefs« zusammen, und seither trifft sich die erlauchte Schar, mittlerweile 33 Kochmützen stark, einmal im Jahr an jenen Orten, an denen die Welt besonders schön ist - diesmal in New York und Washington, wo die Köche bei den Reagans im Weißen Haus Einkehr hielten.

Dort kocht der Schweizer Henry Haller seit nunmehr 21 Jahren - weshalb sich der 64jährige drahtig wie ein Kavallerieoffizier und ebenso befehlsbestimmt durch das Weiße Haus bewegt, als gehöre ihm die daraufliegende Hypothek. Fünf Präsidenten haben unter ihm gegessen, und noch jedem hat er beigebogen, was so ein Mr. President und dessen Family zu speisen haben.

Dem Texaner Lyndon Johnson beispielsweise gewöhnte Haller den seiner Ansicht nach übermäßigen Verzehr von Steaks ab, dem naiven Erdnußfarmer Carter brachte er die Welt der Haute Cuisine nahe, dem biederen Gerald Ford nahm er die Lust auf die hundsgemein hustenbonbonfarbenen Desserts voll kremiger Süße.

Als Ronald und Nancy ins Weiße Haus einzogen, strich er ihnen umgehend das gewohnte Frühstücksei: »Maßhalten ist das Wichtigste«, befand Haller, der aussieht wie die menschliche Gußform dieser Tugend. Jetzt muß sich der Präsident mit einem Ei pro Woche begnügen, und das gibt es am Mittwoch. Basta.

Nur bei Richard Nixon erwies sich solch erzieherische Mühewaltung als überflüssig. »Der war ein Gourmet«, schwärmte Haller. »Und erst der Kissinger, für den hat man nie umsonst gekocht, fügte er hinzu,

wobei sich seine Schnarrstimme mit aus Erinnerung gespeister Rührung ummantelt. Oft bestellten Kissinger und Nixon noch spät abends ein von Vorspeise bis Dessert präzise durchkomponiertes Fünf-Gänge-Menü; während des Schmausens fuhren sie fort, sich um die Probleme dieser Welt zu bekümmern. Erst als die beiden mit Watergate selbst ein Problem hatten, verging ihnen der nächtliche Appetit.

Im Herbst will Haller in den Ruhestand treten. Die Zeit seines Regiments über die Tische und Teller amerikanischer Präsidenten hat er schon verbiographiert, Ende des Jahres kommt das Buch auf den Markt - Experten prophezeien einen Superseller.

Einen schönen Batzen Geldes könnte auch Graham Newbould aus seinen Erinnerungen ziehen, so er nicht ein Engländer wäre und mithin von Anstand und Ehrgefühl vollgesogen wie ein Plumpudding mit Whisky. »Dianas Diäten« könnte der Titel seines Buches lauten, darin enthüllt würde das Geheimnis, wie man etwa aus Spinat und Hühnerbrüstchen oder aus Sellerie und Scholle (aber ohne Butter, please) ein halbwegs wohlschmeckendes Gericht zubereitet.

Aber so etwas würde Newbould, sechs Jahre lang Koch bei Prince Charles und Princess Diana, niemals verraten, schließlich ist er durch seinen Dienstvertrag zu ewigem Stillschweigen verpflichtet. So muß denn Geheimnis bleiben, daß Diana kein rotes Fleisch ißt und auch keine Süßspeisen, daß ihr Mann vorzugsweise Vegetarisches mümmelt und zum Breakfast häufig Körner kaut - nicht gerade eine fordernde Küche für einen ehrgeizigen Koch.

Deshalb hat der 31jährige unlängst dem Prinzenpaar den Dienst aufgekündigt und sich im schottischen Schloßhotel Inverlochny als Chefkoch, kurze Zeit später auch der dort tätigen Oberkellnerin Odile als Verlobter verpflichtet. Die sieht zwar aus wie Diana, nimmt aber, wie bei den zahlreichen Lunchs und Dinners in New York zu beobachten war, ausreichend Nahrung auf.

In munterer Runde saßen da die Chefs der Chefs, tauschten Erfahrungen aus und unterhielten sich über ihre Herrschaft und deren kulinarische Gepflogenheiten. Der von ihm verköstigte Saudi-Prinz Abdallah Ibn Abd el-Asis, so berichtete der deutsche Koch Otto Goebel, wünsche allmittäglich vier Fleisch- und zwei Fischgerichte fertig bereitet zur Auswahl. König Hassan II. von Marocko läßt sich zweimal am Tag gleich drei komplette Menüs zubereiten, die jeweils von drei Lebensmittelchemikern auf etwaige Giftgaben untersucht würden.

Das ist freilich noch gar nichts im Vergleich zum Sultan von Brunei, der häufig eine bis zu 6000 Mäuler hungrige Gästeschar einlädt - was seinen Koch, den Schweizer Stefan Bollhalder, freilich wenig schreckt: »Da schalte ich dann das Fließband ein, das wir in der Palastküche haben.«

Die zwei Staatsköche der chinesischen Regierung hingegen ergingen sich in philosophischen Exkursen über Sinn und Wesen des Essens. Das Speisen diene hauptsächlich dazu, so führten sie in Knäueln sich überschlagender Sätze aus, die drei schlechten Säfte der menschlichen Seele - als da sind: Dummheit, Hochmut und Habgier - zu zügeln. Das Essen amerikanischer Eigenart sei zu solch moralischer Stützung wenig nutze - was die beiden freilich nicht davon abhielt, sich wiederholt und kräftig aufzutun.

Immer wieder suchten die Teilnehmer des Köche-Konvents nach dem Verbleib ehemaliger Arbeitskollegen - gleichsam verblichene Spuren in ihren Lebensläufen, die so bunt sind wie die Farbsymphonie eines kalten Buffets

Beispielhaft für den Berufsweg eines ambitionierten Kochs ist der Werdegang von Heinrich Lauber, inzwischen Chefkoch im Bellevue Palace in Bern und Ausrichter von Staatsbanketten für die Schweizer Regierung. Er hat in Rom gekocht und in Caracas, in Sao Paulo, Schiphol (Holland) und auf Malta (wo er sich mit einer Einheimischen ehelich verband). »Wer bei uns etwas werden will« postulierte er, »der muß rausgehen in die Welt.«

Bei ihrem über den gesamten Globus mäandernden Berufsweg treffen sich die Köche irgendwo in der Welt immer wieder, oder sie treffen einen, der einen getroffen hat, mit dem wiederum ein anderer zusammengearbeitet hat - ein eng vernetztes Beziehungssystem, in dem keiner so schnell verlorengeht.

»Was macht denn der Benni, der verruckte Hund?« fragte etwa Lauber einige Kollegen. Der Benni, gab einer Auskunft, arbeite jetzt in Peking. Und ein verrückter Hund sei er übrigens immer noch.

In Brüssel hängengeblieben ist Roland Schnitzler, der die EG-Kommissare sowie die gerne bankettierenden Minister verköstigt - von welch letzteren ihm vor allem Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann in guter Erinnerung ist: »Der hat sich einmal bei mir bedankt.«

Allzu üppig freilich kann der als Massenäser bekannte Bangemann in Brüssel nicht gespeist haben. Denn Schnitzler bringt grundsätzlich nie mehr als drei Gänge auf den Tisch, Hummer, Lachs und Kaviar hat er längst vom Speiseplan gestrichen und so den Preis für ein Menü auf 1200 belgische Franc (60 Mark) pro Kopf gesenkt. (Wenigstens einer in der EG, der mit fremder Leute Steuergeldern ordentlich umgeht.)

Nur einer der Köche im Club der Chefs, Hirohitos Hofkoch Watanabe, dient seit über 20 Jahren am selben Herd dem selben Herrn - erst als Lehrling, jetzt als rechte Hand des Hauptkochs, der über 90 ist und entsprechend wacklig auf den Beinen. Wenn der alte Mann stirbt, wird Watanabe der »erste Hüter des kaiserlichen Magens«, wenn der alte Hirohito stirbt, dann erbt sein Sohn den Hofkoch - so will es die Tradition, nach welcher Koch und Kaiser einander lebenslang ausgeliefert sind.

Was denn sei, wurde der kleine Watanabe gefragt, wenn dem Kaiser das Essen seines Kochs nicht munde? »Das ist nicht schön für den Kaiser«, antwortete er philosophisch, »und das ist nicht schön für den Koch.« _(Auf einem Ausflugsboot während ihres New ) _(Yorker Treffens. )

Auf einem Ausflugsboot während ihres New Yorker Treffens.

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