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ZAHNMEDIZIN Schädliche Schrubber

Die meisten handelsüblichen Zahnbürsten sind Fehlkonstruktionen: Statt der Parodontose vorzubeugen, verletzen sie das Zahnfleisch.
aus DER SPIEGEL 40/1980

Mit Mundhygiene hatten die kleinsten Patienten der Universitätszahnklinik Münster nichts im Sinn. Nur unter Zwang, quietschend und schnappend, ließen sie dreimal wöchentlich die Prozedur über sich ergehen.

Jeweils 20 Sekunden fuhren die Borsten über das Gebiß der Mini-Schweine. Was diese Behandlung nach vier Wochen bei den Versuchstieren ausgerichtet hatte, prüften die Ärzte dann unter dem Elektronenmikroskop.

Die Aufnahmen zeigten nichts Gutes: aufgerauhtes Zahnfleisch, das von Kratern und geschwürigen Verletzungen sogar bis ins Bindegewebe durchsetzt war. Schuld war das Putzwerkzeug: handelsübliche, gezahnte Bürsten mit scharfen, zugespitzten Borsten.

Daß Zahnbürsten wie die in Münster getesteten mehr schaden als nützen, haben Mediziner bereits in mehreren Untersuchungen festgestellt. Und längst gibt es Richtlinien für die Beschaffenheit des richtigen Pflegegeräts.

Dennoch ist der »Sägezahn«-Typ nur eine von zahlreichen Fehlkonstruktionen, die in den Zahnputzbechern westdeutscher Haushalte stecken.

Wohl 80 Prozent aller Kinder und Erwachsenen, so schätzt der Zahnheilkundler Professor Hans-Jürgen Gülzow von der Universität Hamburg, bearbeiten ihr Kauorgan mit »gänzlich ungeeigneten« Instrumenten. Sie putzen mit scharfkantigen, unsinnig großen oder auch zu weichen Bürsten. Solche in Apotheken, Drogerien und Supermärkten verkauften »Schrubber«, warnt Professor Gülzow, können weder reinigen noch massieren und verletzen obendrein das Zahnfleisch.

Gerade das Zahnfleisch aber hat meist Pflege nötig. Rund 95 Prozent der Bevölkerung leiden an Erkrankungen des Zahnbetts (Parodontose) -etwa so viele wie an Karies. Jahrelang gerötetes, geschwollenes und leicht blutendes Zahnfleisch löst sich allmählich vom Zahn ab. Statt der festen Manschette entstehen Taschen, in denen sich Keime sammeln können. Die chronische Entzündung greift dann mit der Zeit auf den darunterliegenden Knochen über und führt zu seinem Abbau. Im schrumpfenden Kieferknochen wiederum lockern sich die Zähne (auch die gesunden) und verlieren schließlich jeden Halt.

Dieselben Folgen, wenn auch äußerst langsam fortschreitend, hat die nichtentzündliche Form der Parodontose. Ohne weitere Warnzeichen weicht dabei das Zahnfleisch allmählich zurück -- die Zähne werden scheinbar länger, lockern sich und fallen aus.

Hauptursache der Parodontose, so meinen die Zahnmediziner, sei mangelnde oder falsche Zahnpflege. Ohne den Zahnbelag, der sich aus Speiseresten und Bakterien bildet und auf dem Zahn haftet ("Plaque"), gebe es keine Zahnfleischreizungen oder -entzündungen.

Zwar ist das Zähneputzen (Bundesdurchschnitt: einmal täglich) mittlerweile verbreiteter als etwa das Duschbad. Doch in den meisten Fällen werden die Zahnbürsten (empfohlene Benutzungsdauer: höchstens zwei Monate) zu lange und mit verkehrter Technik gehandhabt: Statt rotierend und jeweils vier Minuten putzen die meisten Benutzer von links nach rechts und nur sekundenlang.

60 Millionen Zahnbürsten wurden 1979 in der Bundesrepublik verkauft. Nach den Forderungen der Zahnärzte sollten sie mit synthetischen, rund geschliffenen Borsten bestückt sein, die sehr dicht stehen und gleich lang sind.

Welch zweifelhaften Wert jedoch ein Großteil der marktgängigen Bürsten hat, zeigte sich den Medizinern beim Blick durchs Mikroskop. Nach Untersuchungen zahlreicher gebräuchlicher Bürstenmodelle kritisieren sie in Fachpublikationen:

* »unerwünschte Spitzen, Lanzen und scharfe Kanten«; S.274

* »gerade abgeschnittene oder am Ende zersplissene« statt glatter, abgerundeter Borsten;

* »rauhe Kanten, die Ursache für Verletzungen abgeben können«.

»Scheuernde Nebenwirkungen« und »gezahnte Oberflächen«, so bemängelt Professor Peter Riethe von der Universitätszahnklinik Tübingen, »provozieren eher Verletzungen«, als daß sie die Plaques reduzieren.

Besonders unnütz sind nach Ansicht der Zahnheilkundler Zahnbürsten mit Naturborsten: Sie können nicht abgerundet werden, quellen im Wasser auf und sind »idealer Nährboden für Mikroorganismen« (Riethe).

Schon nach zwei Wochen Test-Gebrauch fand Riethe die Naturborsten »aufgefasert«. Nach sechs Monaten gar lautete das Urteil des Bürstenforschers: »Mehr Waffe als Zahnbürste.«

S.272Empfohlen: die beiden unten liegenden Zahnbürsten.*

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