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AUTOMOBILE Schamloses Schnurren

Mit dem ersten V6-Zylinder wagt Mercedes einen Kompromiß: Das neue Aggregat soll Kosten sparen und trotzdem so ruhig laufen wie ein Reihenmotor.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Karl Kollmann, 59, verantwortlich für die Entwicklung »Pkw-Motoren und Triebstrang« bei Mercedes-Benz, befaßte sich jüngst mit einem Ton.

Er vernahm »ein ganz anderes, viel klareres Klangbild« und wußte auch, woran es lag. Der neue V6-Zylinder von Mercedes hat ein Gehäuse aus Aluminium. »Das strahlt heller ab.« Der bisherige Sechszylinder war aus Grauguß und klang vergleichsweise grau.

Die akustische Reinheit des neuen Motors soll den Glauben des Kunden an ein elitäres Qualitätsbewußtsein der Marke Mercedes stärken. Die Bauform jedoch könnte eher Anlaß zu Zweifeln geben.

Zum erstenmal in der Geschichte des Unternehmens setzt Mercedes einen V6-Zylinder in Pkw ein - und verläßt damit einen ehernen Grundsatz im Maschinenbau der renommierten Oberklasse. Der lautete: Es ist immer diejenige Anordnung der jeweiligen Zylinderzahl zu wählen, die die höchste Laufruhe verspricht.

Im Falle des Sechszylinders gibt es zwei Möglichkeiten: den Boxer mit je drei einander waagerecht gegenüberliegenden Zylindern, wie ihn Porsche einsetzt, und den Reihenmotor mit allen sechs Zylindern in einer Linie, von BMW und Jaguar und bislang auch von Mercedes bevorzugt.

Nur diese beiden Konstellationen sind völlig frei von Massenmomenten, die den Motor in störende Vibrationen versetzen. Bei sechs Töpfen in V-Anordnung hingegen neigt das Aggregat zu Eigenschwingungen, die dazu führen können, daß der Motor die geringste Gaspedal-Bewegung mit einem mürrischen Knurren quittiert.

Darüber hinaus ist die Herstellung von V-Motoren im Prinzip aufwendiger. Zwei getrennte Zylinderreihen bedingen zwei getrennte Ventilsteuerungen und zwei getrennt zu bearbeitende Dichtflächen an den beiden Zylinderköpfen. In doppelter Hinsicht erklärte der frühere Mercedes-Motorenchef Kurt Obländer: »Einen V6-Zylinder können wir uns nicht leisten.«

Der inzwischen erfolgte Sinneswandel hat ebenfalls zwei Ursachen. Einerseits ist er die Folge einer radikal geänderten Modellstrategie. Der Mercedes-Vorstand beschloß Anfang des Jahrzehnts, kleinere Autos zu bauen mit Frontantrieb und querliegenden Motoren. Reihensechszylinder sind jedoch zu lang, als daß man sie in Querrichtung verbauen könnte.

Die A-Klasse wird zwar voraussichtlich nie mit sechs Zylindern angeboten. Doch noch vor der Jahrtausendwende wird Mercedes eine etwas größere B-Klasse herausbringen, in der stärksten Version mit einem vorn querliegenden V6-Motor.

Auch was die Kosten angeht, bringt die V-Anordnung inzwischen Vorteile. Im neuen Motorenwerk Bad Cannstatt montiert Mercedes den neuen Sechszylinder im Verbund mit den V8-Aggregaten, unter Verwendung möglichst vieler Teile, die auf Grund des gemeinsamen Zylinderwinkels von 90 Grad in beide Motortypen passen.

Reihensechszylinder lassen sich in einem gemeinsamen Herstellungsprozeß nur mit Reihenvierzylindern fertigen. Vierzylinder werden aber gewöhnlich in so großer Menge gebaut, daß die Stückzahlkosten durch einen Montagezusammenschluß mit anderen Motoren kaum noch zu senken sind. Viel teurer kommt dagegen die Produktion des wesentlich selteneren Achtzylinders. Die kleine Koalition von V6 und V8 senkt die Preise beider Aggregate erheblich.

Auch das Crashverhalten der Fahrzeuge profitiert von der V-Anordnung der Zylinder. Der lange, in Fahrtrichtung eingebaute Reihenmotor dringt beim Aufprall wie ein Rammbock in den Innenraum. Der V6 ist kürzer als ein Vierzylinder. Entsprechend mehr Raum bleibt für die Knautschzone.

Auch bei BMW haben sich die Konstrukteure über diese Vorteile Gedanken gemacht. Sie entwickelten Anfang der neunziger Jahre zwei V6-Versuchsmotoren mit Zylinderwinkeln von 60 und 90 Grad. Der erste hätte im Verbund mit dem V12, der zweite mit dem V8-Motor von BMW hergestellt werden können.

Beide Aggregate scheiterten letztlich an der mangelnden Laufruhe. In der motortechnischen zeitschrift, dem Insiderblatt der Maschinenbauer, zogen die BMW-Konstrukteure Gerhard Schmidt und Heinz Niggemeyer Bilanz: Der Reihensechszylinder, urteilten sie, sei im Schwingungsverhalten deutlich besser und in der Summe das »technisch überlegene Konzept«.

Der Mercedes-Motor soll dieses Grundsatzurteil nun widerlegen. Um störende Eigenfrequenzen zu eliminieren, trieben die Entwickler reichlich Aufwand:

Eine zwischen den Zylinderreihen plazierte Ausgleichswelle soll, ähnlich wie bei schon bekannten V6-Aggregaten von General Motors, Renault oder Peugeot, Massenmomenten entgegenwirken, die allerdings dank besonders leichter Kolben und Pleuel ohnehin nicht sehr groß seien.

Zwei Zündkerzen pro Zylinder, die das Kraftstoff-Luft-Gemisch in kurzer Folge nacheinander zünden, erzeugen einen sanften, vibrationshemmenden Druckanstieg bei der Verbrennung. In Verbindung mit der neu eingeführten Dreiventiltechnik soll die Doppelzündung zudem einen niedrigeren Schadstoffausstoß bewirken.

Eingeführt wird der neue Motor zunächst in der E-Klasse. Zwei Varianten, den E 280 (204 PS, ab 68 080 Mark) und den E 320 (224 PS, ab 79 810 Mark) konnten internationale Fachjournalisten in der vergangenen Woche probefahren. auto bild pries die Laufruhe des anfangs verpönten Motors ohne Vorbehalt: Die »hochmodernen Antriebe«, urteilte Tester Manfred Kolbe, würden »schamlos verführen, geschmeidig aufs Gas ansprechen und leise schnurren«. Der Ausgleich der Schwingungen sei gelungen, »und zwar perfekt«.

Rudolf Thom, 49, der die Entwicklung aller V-Motoren bei Mercedes leitet, wertet solche Rückmeldungen schon als Vorboten eines nicht minder wohlwollenden Kundenechos: »Wenn der Fahrer keine Vibrationen spürt, dann muß es ihm doch schnurzegal sein, was da für ein Motor drinnen ist.«

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Sechszylindermotoren in Reihen- und V-Anordnung

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Sechszylindermotoren in Reihen- und V-Anordnung

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