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MEDIZIN Schlummernde Wucherung

Immer mehr junge Raucherinnen sterben an einer tückischen Form des Lungenkrebses. Forscher arbeiten an einem System zur Früherkennung.
aus DER SPIEGEL 25/2004

Manchmal, das weiß Peter Drings, ist eine brutale Schocktherapie die beste Vorbeugung. Deshalb lädt der ärztliche Direktor der Heidelberger Thoraxklinik jede Woche mehrere Schulklassen ein, um ihnen den schwarzen Tod durch Rauchen vorzuführen - live, per Bronchoskopie. Auf einer Großleinwand müssen die Teenager ansehen, wie ein Untersuchungsgerät langsam durch die vom Raucherteer zerstörte Patientenlunge geschoben wird.

Anschließend berichten Nikotinopfer reuevoll von den Folgen ihrer Sucht. Immer häufiger sind das relativ junge Frauen. So etwa eine 45-jährige Mutter zweier Kinder: 27 Jahre hat sie geraucht, bis ein Tumor so groß wurde, dass Teile des rechten Lungenflügels herausoperiert werden mussten.

Der rasante Anstieg der qualvollen Sterbefälle beim weiblichen Geschlecht hat gerade erst begonnen. Immer mehr Frauen werden in den kommenden Jahren als Folge des Rauchens an Lungenkrebs sterben. War das Bronchialkarzinom bis in die achtziger Jahre bei Frauen eher selten, so wachsen nun die Raten rapide. Schon jetzt steht das Lungenkarzinom an dritter Stelle der weiblichen Krebssterbefälle. Mediziner gehen davon aus, dass es die Todesrate von Brust- und Darmkrebs schon bald überholen wird. Es lässt sich vorhersehen, dass sich die Zahl der Toten in einem Jahrzehnt auf bis zu 20 000 weibliche Lungenkrebstote pro Jahr verdoppeln wird.

»Was wir erleben, ist ein Drama«, sagt Martina Pötschke-Langer aus der Stabsstelle Krebsprävention im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, »wir wissen, dass eine Todeswelle auf uns zurollt, und können kaum etwas tun.« Denn es sei nicht nur die Anzahl der vielen neuen Krebsfälle, die uns »verzweifeln lässt«, so Pötschke-Langer, es ist vor allem auch die erstaunliche Bösartigkeit der Tumoren, mit denen Frauen in wachsender Zahl zum Arzt kommen.

Anders als etwa in den USA sorgen Deutschlands Frauen weiter für stabile Steigerungsraten im Zigarettenkonsum: Sie rauchen immer mehr, immer länger, und sie hören - anders als die männlichen Quarzer - immer seltener wieder auf. Vor allem aber fangen junge Mädchen immer früher an: Gelockt auch von der Tabakwerbung, die stark auf das weibliche Geschlecht zielt, paffen nach jüngsten Umfragen 27 Prozent der 15-Jährigen - mehr als bei den Jungen.

Dass es kaum mehr als 20 Jahre dauert, bis viele dieser jungen Mädchen kläglich sterben, hat in erster Linie mit einer speziellen Leidenschaft der Raucherinnen zu tun: Sie greifen eher zu leichten, weniger kratzigen Zigaretten. Die Industrie hat diesen Glimmstängeln Menthol beigemischt, um dem Tabak den scharfen Geschmack zu nehmen. Das Reizempfinden fällt weg, Raucher bekommen ein »sensationelles Gefühl der Kühle«, wie sich ein Hersteller in einem internen Papier begeisterte. Der Nebeneffekt: Es wird tiefer inhaliert.

Mit den kräftigen Zügen gelangen Schadstoffe nicht nur in die Bronchien, sondern bis in die feinsten Verästelungen der tiefen Lungenwege. Außerdem zerstört der Rauch die winzigen Flimmerzellen der Bronchien, die eigentlich die Lunge säubern sollen.

Das Tückische ist, wie DKFZ-Wissenschaftler herausgefunden haben: Der Krebs erregende Dreck aus der Zigarette bleibt so nicht in den oberen Lungenabschnitten, sondern schlummert in den Tiefen des Lungengewebes. Dort sind frühe Schäden schwer zu erkennen und rufen besonders bösartige Wucherungen hervor, die erst auffallen, wenn es zu spät ist. Das Adenokarzinom, das dann entsteht, ist - wie das bekannte Plattenepithelkarzinom der Roth-Händle-Generation - nahezu unheilbar.

Deshalb wollen die Tumorspezialisten vom DKFZ nicht länger warten, bis umfangreiche Studien die alltäglichen Erkenntnisse der Pathologen wissenschaftlich untermauert haben. Unverzüglich bilden sie nun eine Art Task-Force, um mit neuen Methoden frühzeitig Schädigungen der Lunge, so genannte Vorläufer-Läsionen, zu entdecken - nur so wird sich die Todeswelle überhaupt eindämmen lassen.

Alle Richtungen der Tumorforschung werden im Krebszentrum für dieses Ziel gebündelt. Gemeinsam wollen etwa Pharmakologen, Nuklearmediziner und Molekularbiologen eine Art molekulares Frühwarnsystem schaffen.

Bis die Heidelberger Forscher am Ziel sind, haben die Raucherinnen allerdings nur eine echte Chance: schnellstens aufhören. UDO LUDWIG

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