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UNIVERSITÄTEN Stadt für die Wissenschaft

Jüngste Eroberung der ETH ist der deutsche Klimaforscher Gerald Haug. Diese Hochschule in Zürich gilt als die beste Kontinentaleuropas. Was macht sie besser als jede deutsche Uni?
aus DER SPIEGEL 25/2007

Gerald Haug ist ein wenig erschöpft. Sein erster Arbeitstag war anstrengend; am frühen Morgen ist er von Berlin nach Zürich geflogen, an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), dann musste er noch die Möbelpacker in seiner neuen Wohnung beaufsichtigen. Nun sitzt er bei einer Tasse Tee in der Cafeteria des ETH-Hauptgebäudes und streckt seine langen Beine von sich. Mit seiner Nickelbrille, dem dunklen Sakko und der hellen Hose sieht er aus wie ein ungewöhnlich elegant gekleideter Doktorand.

Doch das jungenhafte Aussehen täuscht: Gerald Haug, 39, ist einer der renommiertesten Klimaforscher Deutschlands, bis vor kurzem lehrte und forschte er am Geoforschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft und an der Universität Potsdam. Vor einigen Wochen wurde ihm der Leibniz-Preis verliehen, mit 2,5 Millionen Euro der höchstdotierte Förderpreis, den die deutsche Wissenschaft zu vergeben hat. Es gab mehrere Angebote, die Columbia University in New York lockte mit einer Dienstwohnung am Central Park. Aber nun ist er hier.

Wie ein Palast thront das ETH-Hauptgebäude über der Stadt, direkt daneben steht die Universität Zürich, ihr Turm ist deutlich schmaler als die ETH-Kuppel. Aber die ETH überstrahlt nicht nur sie: In Hochschulrankings wird sie regelmäßig zu den besten Universitäten der Welt gezählt, in Europa können da in der Regel nur Oxford, Cambridge und London mithalten. Keine deutsche Universität hat eine Chance, neben der ETH zu bestehen.

Alles hier wirkt ein wenig moderner, ein wenig gepflegter, ein wenig teurer als an anderen Universitäten. Die Studenten eilen zielstrebig durch die Gänge, sie sitzen in gut ausgestatteten Computerräumen, hantieren in Labors mit modernsten Apparaten, und wenn sie Vorlesungen besuchen, kann es durchaus passieren, dass der Dozent ein Nobelpreisträger ist. 21 hat die ETH bislang hervorgebracht.

An dieser Hochschule seinen Abschluss zu machen ist ein bisschen wie heiraten: Man trägt den Namen der Hochschule ein Leben lang. Hieß es früher etwa »Dipl. Natw. ETH«, nennen sich Absolventen heute »Master of Science ETH«.

Klimaforscher Haug kennt das alles schon. »Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich hier eine ganz tolle Zeit hatte«, sagt er und nippt an seinem Pfefferminztee. »Die ETH ist eine echte Forschungsuniversität im Humboldtschen Geiste. Wenn man hier eine Professur bekommt, ist das wirklich toll.«

Vor ein paar Jahren schrieb er hier seine Habilitation, er war einer von vielen deutschen Oberassistenten, ein engagierter, ein wenig schüchtern wirkender Dozent, der mit ruhiger Stimme von komplizierten Dingen erzählte: von der thermohalinen Zirkulation, vom Einfluss der Ozeane aufs Klimasystem, vom El-Niño-Phänomen. Haug ist Paläoklimatologe, er untersucht Bohrkerne aus aller Welt, um das Klima der Vergangenheit zu rekonstruieren. Er hat eine Bilderbuchkarriere hingelegt: Studium in Karlsruhe, Promotion mit 27 in Kiel, Forschungsaufenthalte in Kanada, in den USA und in der Schweiz, Habilitation mit 33, kurz darauf wurde er als Professor an die Universität Potsdam berufen.

Und was macht die ETH nun so attraktiv? Haug lächelt. Dann gerät er ins Schwärmen: »Die ETH ist einfach ein Global Player. Hier treffen Forschende aus der ganzen Welt aufeinander, es gibt einen dynamischen, offenen Austausch. Es ist ein sehr effizienter Betrieb, die Leute sind professionell und hilfsbereit.«

Tatsächlich stammt rund die Hälfte der 359 Professoren aus dem Ausland - an deutschen Universitäten sind es im Schnitt nur neun Prozent des wissenschaftlichen Personals. »Bei den Berufungsverfahren sieht man den Unterschied«, meint Haug. »Hier

bekommt man auch Bewerbungen aus den USA. Das ist in Deutschland anders, man ist nicht attraktiv genug, um international renommierte Professoren anzulocken.«

Stattdessen verliert Deutschland hochqualifizierte Gelehrte an die ETH: Fast die Hälfte der seit 2001 zugewanderten Professoren sind Deutsche, 32 Prozent stammen aus den USA. Bei den Studenten und Doktoranden zeigt sich ein ähnliches Bild: Jeder siebte Student kommt aus dem Ausland, davon die Hälfte aus Deutschland. Bei den Doktoranden stammt sogar jeder vierte aus Deutschland.

Die Vorteile, die Forscher aus Deutschland und dem Rest der Welt an die ETH locken, lassen sich auf eine einfache Formel reduzieren: mehr Geld, mehr Freiheit, weniger Bürokratie. Die ETH wird mehrheitlich vom Bund finanziert, ihr jährlicher Etat beträgt über 700 Millionen Euro. Geradezu jämmerlich mutet daneben die Ausstattung führender deutscher Hochschulen an: Die Universität Karlsruhe etwa hat einen Jahresetat von 240 Millionen Euro, im Rahmen der Exzellenzinitiative kommen jährlich noch einmal 21 Millionen Euro hinzu. Nur bei den Studierendenzahlen schlägt Karlsruhe die ETH locker: 18 500 zu 13 400.

Konrad Osterwalder, 65, Rektor und derzeitiger Präsident der ETH, formuliert es so: »Wir betreiben bisher keine Anstellungspolitik mit dem Gehalt, sondern wir locken mit dem Forschungsumfeld und der Ausstattung. Das Motto lautet: Keine Regel darf so stur sein, dass sie nicht eine Ausnahme erlaubt.« Die ETH wolle sich mit den besten Institutionen auf der ganzen Welt messen. »Das MIT, Berkeley, Stanford, die Max-Planck-Institute - das ist die Liga, in der wir spielen«, sagt Osterwalder. Und die deutschen Universitäten? Osterwalder zögert einen Moment. »Das ist ein oft ungleicher Kampf, wenn eine deutsche Universität mit uns um einen Kandidaten wirbt«, sagt er dann.

Der ETH-Präsident hat einige Tipps, was die Deutschen besser machen könnten. »Das Hauptproblem ist die Finanzierung«, erklärt er. Aber man müsse auch die übertriebene Bürokratie bekämpfen und den Universitäten mehr Autonomie zugestehen. Die Strategie der Exzellenzinitiative sei richtig: »Man muss wenige Universitäten herausheben, ohne dass alle anderen absinken wie in den USA. Mehr Wettbewerb in Europa wäre gut, auch für uns.«

Was die Finanzmittel betrifft, kann natürlich auch die ETH nicht mit den US-Spitzenuniversitäten mithalten. Harvard zum Beispiel verfügt über drei Milliarden Dollar pro Jahr. Trotzdem ziehen manche Forscher die ETH vor - so wie Manfred Kopf, 47, Professor für Molekulare Biomedizin.

Der gebürtige Freiburger forschte sieben Jahre lang am Max-Planck-Institut für Immunbiologie, danach am Basler Institut für Immunologie. 2001 stand er vor der Wahl: Harvard oder die ETH? »Viele hätten sich wohl für Harvard entschieden«, sagt er. Für ihn sei das Finanzierungssystem ausschlaggebend gewesen. »Man muss dort sogar das eigene Gehalt aus Drittmitteln finanzieren. Dadurch ist man gezwungen, Forschungsziele in kurzen Zeitabständen zu erreichen.«

Auch für den Neu-Zürcher Haug war die fehlende Grundfinanzierung ein Argument, das gegen die USA sprach. In Potsdam missfiel ihm vor allem das System der programmorientierten Förderung. »Die Helmholtz-Zentren haben sich da ein bisschen verirrt. Die Programmförderung führt dazu, dass Forscher zu stark kontrolliert und eingeengt werden. So entstehen unendlich viel Reibungsverluste und zusätzliche Bürokratie«, sagt er.

An der ETH hat sich einiges verändert, seit Haug hier Oberassistent war: Viele Gebäude werden gerade modernisiert und umgebaut, Institute werden an neue Standorte verlegt, und ein gigantisches Bauprojekt sorgt in der ganzen Schweiz für Aufregung. Auf dem Hönggerberg, am Stadtrand von Zürich, will die ETH bis 2011 einen Campus nach amerikanischem Vorbild errichten: Science City, ein eigenes Stadtquartier für die Wissenschaft mit neuen Gebäuden für Forschung und Lehre, Wohnungen für tausend Studierende, Sportanlagen, einem Kongress- und Weiterbildungszentrum und einem Gästehaus.

Doch es wird nicht nur friedlich gebaut an der Schweizer Spitzenhochschule. Seit einigen Monaten knirscht es hörbar im Getriebe; es gab einen Machtkampf: Der Präsident hatte radikale Reformen geplant, er wollte die gesamte Hochschule nach amerikanischem Vorbild umorganisieren.

Wie viele Reformen braucht eine Universität, die traditionsgemäß zu den besten gehört? Heftig stritten darüber der letzte Präsident und die Professoren. Dann musste der ehrgeizige Reformer gehen.

Nun übt vorübergehend der langjährige Rektor Osterwalder auch das Amt des Präsidenten aus. Nur sehr vorsichtig äußert er sich zum Thema: »Eine Institution wie die ETH muss sich ständig reformieren, aber damit sind nicht notwendigerweise große Umwälzungen gemeint.« Den Ruf der traditionsreichen Eliteuniversität zumindest konnten die Streitereien bislang nicht beschädigen.

Es ist Montag, der zweite Arbeitstag von Gerald Haug. Eigentlich wollte er seine neuen Wirkstätten zeigen, das Isotopenlabor mit den Analysegeräten und den Raum, in dem die Sedimentkerne aus Ozeanen und Seen gelagert werden. Doch dann fehlte der Schlüssel. Nun sitzt er wieder in der Cafeteria, diesmal ganz entspannt.

Eines möchte er noch loswerden: »Meine deutschen Kollegen sehen meine Entscheidung für die ETH gar nicht als diesen schlimmen Schritt ins Ausland, wie es in den Medien dargestellt worden ist«, sagt er. »Viele sind froh, dass ich nicht nach New York gegangen bin. Die kommen auch gern mal nach Zürich. Und ich kann weiterhin mit den Kollegen in Deutschland zusammenarbeiten.« Er habe, das ist ihm wichtig, »ganz bewusst eine Entscheidung für Europa« getroffen.

Nachdem das geklärt ist, lehnt er sich zurück, verschränkt die Hände hinter dem Kopf und sagt mit einem breiten Grinsen: »Ich habe hier den besten Job der Welt.« SAMIHA SHAFY

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