Knochenanalysen Die Gemetzel der Steinzeit

Ausstellung »Tatort Talheim«: So könnte eines der Todesopfer zu Lebzeiten ausgesehen haben (Bildmitte)
Foto: Bernd Weißbrod / picture-alliance/ dpaDer Ort des Schreckens misst gerade einmal anderthalb mal zweieinhalb Meter: In einer Grube dieser Größe lagen die Überreste von 34 Menschen – Männer, Frauen, Kinder offenbar achtlos hineingeworfen und verscharrt. Die Spuren an den Knochen sind Zeugen eines Verbrechens, das etwa 7700 Jahre zurückliegt: Etliche Schädel sind gebrochen, Pfeile haben verräterische Einkerbungen hinterlassen.
Die Knochen waren 1983 zufällig bei Gartenarbeiten entdeckt worden. Der Fund von Talheim bei Heilbronn in Baden-Württemberg gilt als ein Beleg für die Gewalt, die in der Jungsteinzeit geherrscht hat. Eine Zeit, in der Menschen in Europa begannen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben und ihr nomadisches Leben als Jäger und Sammler allmählich aufgaben.
»Der Beweis für vergangene Feindseligkeiten«
Das Massengrab von Talheim ist kein Einzelfall, wie eine neue Analyse zeigt, die im Fachblatt »PNAS« erschienen ist. Ein internationales Forschungsteam hat steinzeitliche Knochenfunde ausgewertet, die zu mehr als 2300 Menschen aus dieser Zeit gehören. Die Überreste sind 8000 bis 4000 Jahre alt und stammen von 180 Fundplätzen aus dem heutigen Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Schweden.

»Tatort Talheim«: In den Schädeln der Opfer klaffen große Löcher
Foto: Horst Ossinger / picture-alliance/ dpaDas Ergebnis: In mehr als zehn Prozent der Fälle fanden sich Spuren von Gewalt. Weil längst nicht alle Verletzungen am Knochen sichtbar sind, könnten noch deutlich mehr der untersuchten Steinzeitler gewaltsam zu Tode gekommen sein.
»Menschliche Knochen sind der direkte Beweis für vergangene Feindseligkeiten«, sagt Studienautorin Linda Fibiger von der schottischen University of Edinburgh. Mittlerweile könnten Archäologinnen und Archäologen tödliche Verletzungen zuverlässig von Knochenbrüchen unterscheiden, die nach dem Tod entstanden sind.
Geweihspitze im Schädel
Besonders grausig: In einigen Knochen stecken noch die Tatwaffen. Aus einem Wirbelknochen, der 2005 in einer Kiesgrube bei Naumburg in Sachsen-Anhalt gefunden wurde, ragt noch die Pfeilspitze. Ein Schädel aus dem heutigen Tygelsjö in Schweden ist von einer Spitze aus Geweih durchbohrt. »Unsere Studie wirft die Frage auf, warum Gewalt in dieser Zeit offenbar so weitverbreitet war«, sagt Studienautor Martin Smith von der englischen Bournemouth University.

Waffen in Knochen: In ein Schädelloch passte eine Pfeilspitze (Bild A und B), in einem Wirbel steckte noch eine Pfeilspitze (Bild C), ein Schädel war von einer Geweihspitze durchbohrt (Bild D), Waffen wurden zu der Zeit häufig aus Geweih hergestellt
Foto: Proceedings of the National Academy of Sciences (2023)Die Opfer aus dem heutigen Talheim waren offenbar wehrlos, als sie attackiert wurden. Die Angreifer näherten sich wahrscheinlich von hinten, bewaffnet mit Pfeil, Bogen und Beilen.
Warum Archäologen glauben, das so genau zu wissen? Die Wunden an den Skeletten finden sich meist auf der Körperrückseite der Getöteten, vor allem am Hinterkopf. Womöglich wurden die Opfer niedergestreckt, als sie versuchten zu fliehen.
Unter den Toten waren neun Männer, sieben Frauen und 16 Kinder. Die übrigen zwei Skelette konnten nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden. Die meisten starben durch Schläge auf den Hinterkopf. Wahrscheinlich wurde eine ganze Gemeinschaft mit einem Angriff ausgelöscht.
Waren Frauenräuber am Werk?
Zu den Gründen gibt es Spekulationen, die Angreifer hätten Frauen geraubt und die übrigen Familienmitglieder umgebracht. Smith glaubt an eine andere Erklärung. Mit dem Beginn des Ackerbaus habe sich die wirtschaftliche Basis komplett verändert und damit auch die Lebensweise. »Mit der Landwirtschaft kam die Ungleichheit«, sagt Smith. »Und diejenigen, die weniger erfolgreich waren, könnten sich manchmal auf Überfälle und kollektive Gewalt als alternative Erfolgsstrategie eingelassen haben.«

Die Löcher in den Schädeln stammen wahrscheinlich von Keulen und Steinäxten
Foto: Proceedings of the National Academy of Sciences (2023)Allerdings gibt es auch Hinweise, dass die Menschen der Steinzeit nicht nur blutrünstig waren, sondern friedlich zusammenlebten. Ein großer Teil der Knochen, die in der Studie analysiert wurden, stammt aus Massengräbern wie dem in Talheim, in denen wahrscheinlich Opfer von Massakern verscharrt worden sind. Dass sich an ihren Knochen Spuren von Gewalt finden, ist wenig überraschend.
Es ging auch friedlicher
Ganz in der Nähe von Talheim, am sogenannten Viesenhäuser Hof, stießen Archäologinnen und Archäologen auf Siedlungsreste und mehr als 200 Gräber, ebenfalls aus der Jungsteinzeit. Die dort bestatteten Menschen lagen meist, wie zu der Zeit üblich, mit angewinkelten Beinen auf der Seite, etliche Gräber enthielten Beigaben. Hier wurden Menschen offenbar nicht nur achtlos verscharrt, sondern mit einigem Aufwand zu Grabe getragen.
Die Zusammensetzung der geborgenen Zähne verriet, wo die dort bestatteten Menschen herkamen. Einige waren demnach in der Gegend aufgewachsen, andere waren zugewandert und hatten sich offenbar der bestehenden Gemeinschaft angeschlossen. Hinweise auf außergewöhnliche Gewalt oder gezielte tödliche Angriffe gab es nicht.