RELIGIONEN Suren im Endspurt
Darf man der islamischen Tradition glauben, so wurde der Koran häppchenweise durch die Wolken gereicht. Mal im Zelt, mal schlummernd im Palmenhain zu Mekka, erhielt Mohammed himmlische Nachrichten. So ging es 22 Jahre lang.
Am Ende hatte Allah seinem gehorsamen Propheten insgesamt 114 Suren mitgeteilt, die er ihm direkt »ins Herz« schrieb.
Nur im arabischen Original gilt das Offenbarungswerk des Orients als heilig. Übersetzen bedeutet Entweihung. Selbst in Ländern wie Iran, Malaysia oder Albanien pauken die Kinder in den Betschulen die Suren im O-Ton - obwohl es Fassungen in den Landessprachen gibt.
Auch Europas Gelehrte übertrugen Teile des Wüsten-Manifestes bereits im 17. Jahrhundert in ihre Zungen - allerdings mit verheerendem Echo. »Ein unverständliches Buch, das auf jeder Seite den gesunden Menschenverstand erschauern lässt«, urteilte Voltaire. Goethe fühlte sich streckenweise »angewidert«.
Grund für die Ablehnung waren nicht selten die schlechten Übersetzungen. In der Urschrift herrscht oft grammatischer Wirrwarr. Zuweilen ist nicht klar, was Subjekt und was Objekt des Satzes ist. Das bedeutet Schwerstarbeit für den Dolmetscher.
Aber auch die Satzmelodie und der Wohlklang der Verse ist nur schwer zu übertragen. Der Orientalist Friedrich Rückert nannte den Koran ein »Meisterwerk arabischer Dichtkunst«, narkotisch und voll dunklen Zaubers: »Mohammed unterjochte sein Volk weniger durch das Schwert, als durch der Rede Kraft.«
Davon ist in der maßgeblichen deutschen Ausgabe von Rudi Paret wenig zu spüren. Zwar kommt sie philologisch korrekt daher; sie liest sich aber vor lauter eckigen Klammern und Anmerkungen so steif wie die Betriebsanleitung für einen Staubsauger.
Doch nun, Inschallah, soll alles besser werden. Der Erlanger Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin, 62, bereitet für den Beck-Verlag einen »Geniestreich« vor. Er will den geheimnisvollen Klang der Religionsfibel ins Deutsche retten und zugleich stilsicher um den exakten Ausdruck ringen*. Ursprünglich sollte die Arbeit erst im nächsten Frühjahr erscheinen, in 10 000 Exemplaren, zum Teil im Schmuckschuber mit Echtgoldschnitt und Ledereinband für 148 Euro.
Doch plötzlich ist Eile geboten. Der Professor wirkt gehetzt. Sein Verlag hat ihn jäh gebeten, die Arbeit schon im kommenden Monat fertigzustellen.
Der Grund: Herder in Freiburg, »der führende Verlag für Theologie, Religion
und Glaube« (Eigenwerbung), hat stillschweigend zum Gegenschlag ausgeholt. Er plant selbst einen Deutsch-Koran. Verfasst wird er von Ahmad Milad Karimi, 30, einem gebürtigen Afghanen, der bereits während seiner Kinderzeit in Kabul Suren lernte.
Verlagschef Manuel Herder lobt den multikulturellen Jungphilosophen und Heidegger-Kenner, der seit 1994 in Deutschland lebt und in Indien und Freiburg studierte, als »reflektierten Muslim und einfühlsamen Poeten": »Wie kaum ein anderer versteht er es, intellektuelle Zusammenhänge und Emotionen in Worte zu fassen.«
Interessierten Anrufern bietet Karimi gern eine Kostprobe seines Könnens und singt die Botschaft Allahs auf Arabisch kehlig-melodiös durchs Telefon. Er ist ein Mann des Überschwangs. Sein Credo: »Gott ist schön.«
Und der Wunderknabe hat die Nase vorn. Obwohl er erst im vorigen Sommer mit der Übertragung anfing, hat Karimi sein Pensum bereits erfüllt. Am 17. September, dem 1399. Jahrestag der ersten Koran-Offenbarung an den Propheten, soll sein Opus erscheinen**.
Als der Beck-Verlag jüngst von dem Schnellschuss erfuhr, war der Verdruss groß. »Das Projekt der Gegenseite ist aus dem Hut gezaubert«, ärgert sich der Lektor Ulrich Nolte. Als Vorwortschreiber, moniert er, sei dort »der Professor einer katholischen Fachschule« verpflichtet worden.
Um nicht völlig abgehängt zu werden, haben die Büchermacher von Beck ebenfalls das Arbeitstempo erhöht. Ihr Koran soll nun bereits im Oktober erscheinen. Bobzin muss Sonderschichten schieben.
Entsprechend angespannt ist die Stimmung, der eine will den anderen übertrumpfen. Beck nennt seine Neuübersetzung schlicht »meisterhaft«. Herder tönt zurück, sein Koran sei »so nahe am Original wie noch nie«.
Ob die beiden Autoren den hohen poetischen Ansprüchen genügen, bleibt abzuwarten. In seinen Sachbüchern neigt Bobzin zuweilen zur Drögheit. Karimi wiederum treibt die sprachliche Marotte um, Attribute meist hinters Hauptwort zu stellen. Das findet er poetisch.
Gottesfürchtige gehen bei ihm »den Weg, den geraden«. Ungläubige erwartet »eine Strafe, eine schmerzliche«.
Auch bei seinen Wortschöpfungen - das zeigen erste Leseproben - ist der Mann nicht immer treffsicher. Weil er das Wort »Moschee« nicht mag, hat er es durch den Ausdruck »die Niederwerfungsstätte, die reine« ersetzt.
Nur: Ist das schön? Manch Kritiker fühlt sich dabei eher an ein Unwort aus alten DDR- Zeiten erinnert: die »geflügelte Jahresendfigur«. MATTHIAS SCHULZ
* »Der Koran«. Neu übertragen von Hartmut Bobzin. Verlag C. H.Beck, München; rund 800 Seiten; 34 Euro. ** »Der Koran«.Vollständig und neu übersetzt von Ahmad Milad Karimi.Herder-Verlag, Freiburg; 688 Seiten; 49,95 Euro.