

Geht es nach den Vorstellungen der Bundesregierung, dann landet der deutsche Atommüll in einigen Jahren im Salzstock von Gorleben. Gerade laufen die Erkundungsarbeiten dazu wieder an. Doch zur Kür des niedersächsischen Salzstocks in den Siebzigern sind längst noch nicht alle Fragen beantwortet. Was prädestinierte gerade Gorleben zum Atomklo der Nation? Waren die wissenschaftlichen Grundlagen der Standortwahl wirklich solide? Und welche Rolle spielte Standortpolitik bei der Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung für das dünnbesiedelte Areal an der damaligen innerdeutschen Grenze?
Ein neues Gutachten macht nun noch einmal klar, wie problematisch die Wahl selbst nach damaligen Standards war. Bei der Auswahl von Gorleben seien "sicherheitsrelevante geowissenschaftliche Kriterien nur von nachgeordneter Bedeutung" gewesen, schreibt der Hannoveraner Geologe Jürgen Kreusch in einer Ausarbeitung für den Gorleben-Ausschuss des Bundestags, die SPIEGEL ONLINE vorliegt.
Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses werden das Papier in ihrer Sitzung am Mittwoch zu Gesicht bekommen. Dann werden der Atomkritiker Kreusch und der als eher Endlager-freundlich geltenden Wernt Brewitz von der TU Braunschweig als Sachverständige gehört. "Wir wollen zeigen, dass Gorleben als Endlager ungeeignet ist", hatte die Grünen-Obfrau Sylvia Kotting-Uhl vor dem Ausschussstart erklärt. Kreuschs Gutachten dürfte die Gorleben-Gutachter in diesem Sinne freuen - wenn auch wohl nicht überraschen.
Der Forscher, der im Rahmen des sogenannten AkEnd an der Ausarbeitung von Endlagerkriterien im Auftrag des Bundesumweltministeriums mitgearbeitet hatte, geht harsch mit dem Auswahlprozess in Niedersachsen ins Gericht: "Die benutzten Kriterien waren zu allgemein, nicht ausreichend sicherheitsorientiert und repräsentierten nicht den damals schon erreichten Stand der Salzgeologie, der Hydrogeologie und der Kenntnisse über die bei der Endlagerung gewünschten Deckgebirgsverhältnisse der Salzstöcke." So sei Ende der siebziger Jahre zum Beispiel längst bekannt gewesen, dass Grundwasser Radionuklide transportieren könne.
Mit zwei Auswahlverfahren war in den siebziger Jahren nach einem Endlager-Standort gesucht worden: Neben der Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft (Kewa) hatte auch die sogenannte Interministerielle Arbeitsgruppe "Entsorgungszentrum" (Imak) im Auftrag der niedersächsischen Landesregierung nach einem Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum gefahndet. Doch beide Verfahren sind aus Sicht von Kreusch problematisch: Das Imak-Verfahren sei "sowohl methodisch als auch seitens der angewandten Kriterien unzureichend" gewesen. Und auch der Ansatz der Kewa sei "bezüglich der Kriterien unzureichend" ausgefallen - immerhin seien in diesem Fall aber mehrere Standorte verglichen worden.
Alles in allem ist die Einschätzung des Gutachters vernichtend - auch im Bezug auf die Entscheidung, den Salzstock auch unter Tage zu erkunden. Diese sei "auf Grund einer unangemessenen hoffnungsvollen Interpretation vorläufiger und ungesicherter Ergebnisse" getroffen worden, kritisiert Kreusch. Problematisch seien die Modellrechnungen zu Grundwasserbewegung und Radionuklidtransport. Denn diese hätten "allein der Methodenentwicklung und nicht dem Eignungsnachweis" gedient. Klar ausgedrückt heißt das aus Sicht des Forschers: "Die Ergebnisse der Berechnungen rechtfertigen die Entscheidung für die untertägige Erkundung nicht."
Fehlendes Bewertungskonzept
Für besonders problematisch hält der Geologe einen Begriff, der in der Gorleben-Debatte immer wieder zu hören ist: die Eignungshöffigkeit. Befürworter eines Atomlagers im Wendland verweisen im Zusammenhang mit dem Salzstock immer wieder auf dieses Wort. Gorleben, so sagen sie, sei eignungshöffig. Doch was heißt das eigentlich? Das Bundesamt für Strahlenschutz hat erklärt, der Begriff bedeute nicht weniger und nicht mehr, als dass in Gorleben die Hoffnung bestehe, dass der Standort für die langfristige Aufbewahrung von Atommüll geeignet sein könnte.
Kreusch hingegen kritisiert, der unhandliche Begriff sei "bis heute definitorisch und funktional unbestimmt". Die Eignungshöffigkeit diene "als Platzhalter für das nicht vorhandene Bewertungskonzept der Verantwortlichen Institutionen".
Das Gutachten wird im Ausschuss kontrovers diskutiert werden - zumal Niedersachsen Ende Mai das Auftragsgutachten des Historikers Anselm Tiggemann präsentiert hatte, wonach Gorleben aus rein fachlichen Gründen als Atommüll-Endlager ausgewählt wurde. Landesumweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) hatte damals erklärt, die Entscheidung in den siebziger Jahren sei "sachgerecht". "Verschwörungstheorien" müssten nun ein Ende haben.
Ganz so schnell wird es wohl nicht gehen.
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SPIEGEL-ONLINE-Team in Gorleben: Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat entschieden, dass die Arbeiten tief im Berg von Gorleben schon bald wieder anlaufen.
Erkundungsbergwerk Gorleben: Nach zehn Jahren Pause, ausgehandelt im Rahmen des rot-grünen Atomausstiegs, soll die Erkundung des Salzstocks nun weitergehen - auf Basis einer Genehmigung aus dem Jahr 1983.
Spezialfahrzeug zum Offenhalten der Stollen: Die Luft ist trocken und riecht nach Urlaub am Meer. Rund sieben Kilometer Straße - Salzpiste mit kleinen gepflasterten Abschnitten - gibt es hier unten.
Erkundungsbohrung mit Sicherheitsventil: Bergleute haben auf der sogenannten Erkundunbgsebene insgesamt elf Kilometer Forschungsbohrungen ins Gestein getrieben.
Viel diskutierte Bohrung RB012: Bei manchen Bohrungen, wie hier, stießen die Bergleute auf Laugenreservoirs. Solche Einschlüsse könnten, wenn sie groß genug sind, das Atommülllager fluten.
Arbeit im Bergwerk: Ursprünglich sollten neun Erkundungsbereiche ins Salz gesprengt werden. Doch wegen eines Streits um Salzrechte wurde die Zahl reduziert.
Wand eines Stollens: Im Berg von Gorleben sieht es vergleichsweise ordentlich aus. Viel aufgeräumter zum Beispiel als in der absaufenden Asse. Wenn man mit dem Finger über die weißen Wände streicht und ihn anschließend ableckt, kann man das Salz schmecken.
Angezeichnete Sprengmarkierungen: Insgesamt muss ein mindestens 28 Quadratmeter großer Querschnitt aus dem Salz gesprengt werden. Nur so gäbe es genug Platz für die Großgeräte, die mit radioaktiven Behältern hantieren müssten.
Sieben Kilometer langer Rundkurs unter Tage: Von der bisherigen Arbeit ist vergleichsweise wenig zu sehen. Man kann das beunruhigend finden, weil in Gorleben schon anderthalb Milliarden Euro verbaut wurden. Man kann es aber auch beruhigend finden, weil ein Atomendlager augenscheinlich noch nicht fertig ist, bevor die Angelegenheit juristisch geklärt wurde.
Maschine zur Salzzerkleinerung: Das Salz aus dem Bergwerk wird überirdisch gelagert. Man würde es brauchen, um Atommüllbehälter zu bedecken und Lagerstollen zu verfüllen.
Besuchergruppe im Bergwerk: Freundliche Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE) und des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) karren in offenen Mercedes-Jeeps gern Besucher unter Tage herum.
Im Salzstock: Ein neues Gutachten macht nun noch einmal klar, wie problematisch die Wahl selbst nach damaligen Standards war. Bei der Auswahl von Gorleben seien "sicherheitsrelevante geowissenschaftliche Kriterien nur von nachgeordneter Bedeutung" gewesen, schreibt der Hannoveraner Geologe Jürgen Kreusch in einer Ausarbeitung für den Gorleben-Ausschuss des Bundestages.
Die Erkundung soll wieder anlaufen: Gorleben-Anhänger verweisen darauf, dass bereits anderthalb Milliarden Euro in die Erkundung des Salzstocks geflossen seien. Deswegen mache eine Suche nach weiteren Standorten allein schon wirtschaftlich keinen Sinn.
Schutzpatronin der Bergleute: Vier weitere Erkundungsbereiche soll es nach den aktuellen Planungen geben - alle auf gleicher Höhe wie der bisherige.
Anti-Atom-Protest im Wendland: Bereits jetzt stehen zahlreiche Castor-Atombehälter in einem oberirdischen Zwischenlager in Gorleben. Jedesmal, wenn ein neuer dazukommen soll, ist ein Großeinsatz der Polizei nötig. Atomgegner ketten sich dann an solche Betonpyramiden.
Sieben Kilometer langer Rundkurs unter Tage: Von der bisherigen Arbeit ist vergleichsweise wenig zu sehen. Man kann das beunruhigend finden, weil in Gorleben schon anderthalb Milliarden Euro verbaut wurden. Man kann es aber auch beruhigend finden, weil ein Atomendlager augenscheinlich noch nicht fertig ist, bevor die Angelegenheit juristisch geklärt wurde.
Foto: Kay Nietfeld/ dpaGeplantes Endlager Gorleben (Luftbild vom August 2008): Seit Ende der siebziger Jahre hatte sich die Endlagersuche im Westen Deutschlands vor allem auf den Salzstock Gorleben im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg konzentriert.
Proteste am Erkundungsbergwerk Gorleben (am 10. September 2009): Zur Kür des niedersächsischen Salzstocks in den Siebzigern sind längst noch nicht alle Fragen beantwortet. Was prädestinierte gerade Gorleben zum Atomklo der Nation? Und waren die wissenschaftlichen Grundlagen der Standortwahl wirklich solide?
Spezialfahrzeug im Bergwerk Gorleben (Archivbild vom September 2003): Eine Suche nach alternativen Standorten hat vor allem auf Druck von Unions-Ministerpräsidenten und Atomindustrie bis heute nicht stattgefunden.
Endlager und untersuchgungswürdige Standorte: Geologen haben dafür zahlreiche Hinweise geliefert, wo ein Atomlager alternativ zu Gorleben eingerichtet werden könnte.
Nachgemachte Atommüllfässer (im Februar 2002 in München): Rund 300 bis 350 Tonnen Uran, so groß ist nach Auskunft der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) die Menge an hochradioaktivem Abfall, die jedes Jahr in Deutschland anfällt.
Anti-Atomkraftdemo (am 5. September 2009 in Berlin): Gegen die Endlagerung in Gorleben gibt es immer wieder öffentlichkeitswirksamen Widerstand
Der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (links) in der Asse: In dem Berg bei Wolfenbüttel lagern mehr als 124.000 Fässer mit schwach und mittelradioaktivem Abfall. Der Zustand des Berges ist desolat.
Schacht Konrad: Die ehemalige Eisenerzgrube in Salzgitter soll Endlager für nicht oder nur schwach wärmeproduzierende Atomabfälle werden. Die Einlagerung soll im Jahr 2013 starten.
Endlager Morsleben: Das zentrale Endlager für Atommüll der DDR ist zum Teil einsturzgefährdet. Seit 1998 werden keine Abfälle mehr eingelagert.
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