Abklingbecken deutscher Meiler Gefahr in Kobaltblau

Abklingbecken in Krümmel (2007): "Außerhalb des Containments"
Foto: dapdMan kennt die Bilder der mächtigen Stahlpötte. So lange Deutschland kein Endlager für Atommüll hat, werden strahlende Abfälle in den wohlbekannten Castorbehältern gelagert. Die stehen in Zwischenlagern, meist in der Nähe der Atomkraftwerke. Doch bis alte Brennstäbe in diese Behälter verpackt werden können, ist vorher ein weiterer Schritt nötig: Der heiße Schrott muss in sogenannten Abklingbecken jahrelang abkühlen.
Nun geraten die wassergefüllten, kobaltblau schimmernden Becken wegen der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima verstärkt in den Blickpunkt des Interesses. Denn die Konstruktion einiger deutscher Meiler weist fatale Ähnlichkeiten mit dem Pannenreaktor in Japan auf: Die Abklingbecken liegen außerhalb des Sicherheitsbereichs, dem sogenannten Containment. Weil die alten Brennstoffe sozusagen unter dem Dachboden gelagert werden, könnte strahlendes Material bei Problemen leichter nach draußen dringen.
In Fukushima könnten sich die Pools mit den alten Brennstäben langfristig zu den größten Gefahrenquellen überhaupt entwickeln, warnen Experten. Kühlversuche mit Hubschraubern sind wegen der Strahlengefahr vorerst gescheitert, nun sollen Wasserwerfer zum Einsatz kommen. Denn ohne Kühlung könnte es in den Becken womöglich zu einer Schmelze kommen - . Außerdem könnten sich die aus einer Zirkonium-Legierung gefertigten Brennstabhüllen bei Temperaturen von etwa 900 Grad entzünden. Und weil die Abklingbecken nicht im Sicherheitsbehälter des Reaktors liegen, kann die Umwelt sehr schnell verschmutzt werden. Zumal ein Brand der Brennstabhüllen strahlende Partikel höher in die Atmosphäre reißen würde.
Das bedrohliche Szenario könnte im Grundsatz auch bei einer Katastrophe an einem deutschen Atommeiler auftreten. "Bei allen Siedewasserreaktoren der Baureihe 69 liegt das Abklingbecken außerhalb des Containments im zweiten oder dritten Stock des Gebäudes", warnt Mathias Edler von Greenpeace. Zu der in diesen Tagen viel diskutierten Baureihe 69 gehören folgende Reaktoren:
- Brunsbüttel
- Isar I
- Philippsburg I
- Krümmel
Die ersten drei Meiler dieser Liste sind vom Dienstag beschlossenen Atommoratorium der Regierung betroffen. Möglicherweise gehen sie also nie wieder ans Netz. Für das 1983 in Betrieb genommene Kraftwerk in Krümmel gilt das allerdings nicht. Der Meiler steht allerdings wegen anhaltender Probleme vorerst still.
"Das Reaktorgebäude ist nicht gegen stärkere Einwirkungen ausgelegt"
"Die Abklingbecken in Krümmel sind außerhalb des Containments", bestätigt Barbara Meyer-Bukow, Sprecherin der Betreiberfirma Vattenfall, SPIEGEL ONLINE. Ein Problem ist die Lage aus ihrer Sicht aber nicht. Die Aufbewahrung der alten Brennstäbe geschehe in einem Bereich, der "gut gegen äußere Einflüsse gesichert" sei .
Für Rudolf Wieland, Chef der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK), ist die Lage der Abklingbecken so lange kein Problem, wie die Gebäude um sie herum nicht beschädigt sind. Und genau dafür gebe es eine anderthalb Meter dicke Stahlbetonhülle, sagt Vattenfall-Sprecherin Meyer-Bukow. "Die ist so konstruiert, dass der Lagerbeckenboden nicht beschädigt werden kann." Auch gegen einen Flugzeugcrash sei man gerüstet - "im Rahmen der Szenarien, die bei der Entwicklung des Kraftwerks zugrunde gelegt wurden".
Umweltschützer sehen die Lage dagegen weit weniger positiv. "Anderthalb Meter Stahlbeton würden den Absturz eines großen Verkehrsflugzeugs nicht aushalten", kontert Greenpeace-Mann Edler kurz und knapp. "Damit könnte auch das Abklingbecken getroffen werden." Die möglichen Folgen eines solchen Zwischenfalls sind derzeit in Japan zu sehen. Dort liegen die Becken frei. Wahrscheinlich ist strahlendes Material bereits auf dem Kraftwerksgelände in Fukushima freigesetzt worden.

Auch in den deutschen Meilern könnte so etwas im schlechtesten Fall wohl passieren. "Das Reaktorgebäude ist nicht gegen stärkere Einwirkungen ausgelegt", warnt Wolfgang Neumann von der Hannoveraner Umweltberatungsfirma Intac. Auch er hält die Abklingbecken der Reaktoren für problematisch. Probleme sieht Neumann dabei nicht nur bei Brunsbrüttel, Krümmel und Co., sondern auch bei den Blöcken B und C des Atomkraftwerks Gundremmingen. Das sind die einzigen beiden deutschen Vertreter der moderneren Siedewasserreaktor-Baureihe 72. Dort ist das Abklingbecken zwar ins Containment einbezogen, befinde sich aber "immer noch in einer exponierten Lage", so der Atomsicherheits-Experte.
Lediglich bei den Druckwasserreaktoren sei die Unterbringung der verbrauchten Brennstäbe besser geregelt. Wolfgang Neumann ist sich sicher: Das Thema der Abklingbecken sei "in der Vergangenheit sehr stiefmütterlich behandelt worden". Mit Blick auf Fukushima hat sich wohl auch hier neuer Diskussionsbedarf ergeben.
Drei Monate haben die Sicherheitsexperten nun Zeit für die geplanten Überprüfungen; dabei dürfte auch die Erdbebengefahr in Deutschland eine Rolle spielen. Auf einer Sitzung am Donnerstag wollen sie die Aufgaben festlegen. Bei den Untersuchungen werden man "eher qualitativ als quantitativ vorgehen", sagt RSK-Chef Wieland SPIEGEL ONLINE.
Oder anders ausgedrückt: Um alle Extremfälle auch durchzurechnen, fehlt den Experten schlicht die Zeit. Man werde sich aber mit Dingen befassen müssen, die "über unsere bisherige Vorstellung hinausgehen", verspricht Wieland. Der Absturz eines größeren Flugzeuges über einem Alt-Reaktor könnte solch ein Szenario sein.
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Doch weil dabei auch das Herz des Reaktors beschädigt werden könnte, sieht Wieland die Rolle der Abklingbecken in gewisser Weise auch gelassen: "Wenn der Sicherheitsbehälter nicht mehr da ist, dann ist es auch egal, wo das Brennelementebecken liegt."