"San Juan" Atomtest-Wächter könnten verschollenes U-Boot aufgespürt haben
Man braucht einen sehr guten Grund, um auf die Crozetinseln zu fahren. Unfassbar abgelegen sind sie, weit draußen im südlichen Indischen Ozean - ein Schiff benötigt allein sechs Tage von der Insel Réunion hierher. Und dann das Wetter! An 100 Tagen im Jahr peitscht der Wind mindestens mit Stärke zehn über die kargen Eilande, an 200 Tagen regnet es. Wer all das trotzdem auf sich nimmt und in die französischen Süd- und Antarktisgebiete reist, möchte zum Beispiel die Robben und Königspinguine beobachten wie es die Forscher auf der Station "Alfred Faure" tun.
Oder er will im Ozean lauschen, wie Mario Zampolli und seine Kollegen. Der italienische Hydroakustiker arbeitet für die CTBTO Preparatory Commission in Wien. Deren Aufgabe ist es, den Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen zu überwachen. Dafür bauten die Experten ein weltweites Messnetz auf, das nach seismischen Erschütterungen des Bodens fahndet, verdächtigem Infraschall in der Luft, radioaktiven Isotopen in der Atmosphäre und auch nach verdächtigen Geräuschen in den Ozeanen.
Im Juni dieses Jahres ist auf den Crozetinseln die elfte und vorerst letzte Unterwasser-Messstation des Lauschnetzwerks in Betrieb gegangen, nach jahrelangen Vorarbeiten. "HA04" heißt die Station. Jeweils etwa 50 Kilometer von der Inselgruppe entfernt haben die CTBTO-Experten dafür zwei mal drei Unterwassermikrofone, sogenannte Hydrofone, in 550 Metern Wassertiefe installiert. Und diese haben nun dabei geholfen, den womöglich entscheidenden Hinweis auf das verschollene argentinische U-Boot ARA "San Juan" zu liefern.

ARA "San Juan": Knall unter Wasser
Am 15. November um 15 Uhr 51 Mitteleuropäischer Zeit zeichnete "HA04" ein verdächtiges Signal auf. Auch die CTBTO-Station "HA10" auf der zu Großbritannien gehörenden Insel Ascencion im Südatlantik hörte das Geräusch. Doch erst nach tagelanger Analyse seien sich die Forscher sicher gewesen, sagte Zampolli: "Es ist extrem unwahrscheinlich, dass das etwas Natürliches ist." Im Klartext: Eine Explosion dürfte das 65 Meter lange Boot mit seinen 44 Besatzungsmitgliedern erschüttert haben.
"Mit viel Handarbeit rangehen"
Die Weltmeere sind alles andere als ruhig, trotzdem gelingen verblüffend präzise Messungen. "Schall breitet sich unter Wasser extrem gut aus. Wenn sie ein Hydrofon ins Wasser tun, ist es überraschend, was da alles durchkommt", erklärte Zampolli. Wale verständigen sich mit Artgenossen, Seebeben lassen den Ozeangrund erzittern, Vulkane brechen aus, Schiffe kreuzen, sogar der Wellengang ist zu hören - und zahlreiche unbekannte Geräusche gibt es ebenfalls. (Hier gibt es eine faszinierende Übersicht der US-Wetter- und Ozeanbehörde NOAA.)
Aus diesem Klangwirrwar soll das Messnetz der Wiener Wächter nun verdächtige Klänge herausfiltern. "Das CTBTO-System ist darauf optimiert, Atomtests nachzuweisen. Wenn man etwas anderes damit machen will, muss man mit viel Handarbeit rangehen", sagte Zampolli. Wie etwa bei der Suche nach einem verschollenen U-Boot.
Viel an selbstgeschriebener Software sei für die Datenanalyse nötig gewesen und immer wieder die Begutachtung durch menschliche Analysten. Deswegen habe es so lange gedauert, bis die Organisation am Donnerstag die argentinischen Behörden und anschließend die Weltöffentlichkeit von ihrem Verdacht informiert habe. Nun wissen Schiffe, wo nach dem verschwundenen Boot zu fahnden ist. Was die Suchtrupps nach rund anderthalb Wochen und einer mutmaßlichen Unterwasserexplosion finden werden, ist eine andere Sache.
Wie aber hat die Lokalisierung überhaupt funktioniert? Entscheidend ist, dass die CTBTO-Unterwassermikrofone in Gruppen, jeweils in Form eines Dreiecks, im Meer angeordnet sind. Die Seiten dieses Dreiecks sind zwei Kilometer lang, was wiederum bedeutet, dass Geräusche im Meer jeweils zu etwas unterschiedlichen Zeiten an den Mikrofonen ankommen. Aus dem Zeitunterschied lässt sich die Richtung der Schallquelle berechnen.
Auch Militärs rund um den Globus verwenden solche Systeme. Doch nur die Angaben der CTBTO sind bisher öffentlich bekannt. Und weil es neben der Messung von den Crozetinseln auch die von Ascencion gab, können die Wiener Analysten den Ort des Ereignisses einigermaßen präzise lokalisieren: 46,12 Grad südlicher Breite und 59,69 Grad westlicher Länge. Das ist nur unweit der letzten Position der "San Juan", die genau drei Stunden und 21 Minuten vor dem nun untersuchten Knall zum letzten Mal Kontakt mit ihrer Basis hatte. Da hatte der Kapitän gerade ein Problem mit den Batterien gemeldet.
Schalltunnel in den Weltmeeren
Die Station auf Ascencion ist allerdings um die 7000 Kilometer von der betreffenden Region entfernt, die auf den Crozetinseln sogar 8000 Kilometer. Dass sich der Schall im Meer überhaupt so weit ausbreitet, hat mit einem besonderen Effekt im Wasser zu tun: Der sogenannte Sofar-Kanal ist Ozeanografen seit den Vierzigerjahren bekannt. Es handelt sich sozusagen um ein bestimmtes Stockwerk in der Tiefe der Weltmeere, in dem die Schallgeschwindigkeit besonders niedrig ist - und Brechungsphänomene im Wasser dafür sorgen, dass sich Schallwellen in diesem Bereich wie in einer Art Tunnel fortpflanzen können. Die Wellen bleiben in diesem Tunnel, weil sie an der Ober- und Unterseite der Schicht reflektiert werden - Physiker sprechen von einer sogenannten Totalreflexion.

Aufzeichnung des Knalls durch ein Mikro der Station auf den Crozetinseln
Foto: CTBTODie Lage des Sofar-Kanals ist vor allem von der Wassertemperatur abhängig, aber zum Beispiel auch vom Salzgehalt. In den eisigen Fluten rund um die Crozetinseln liegt er auf etwa 500 Metern, im wärmeren Wasser um Ascencion sind es eher 1000 Meter. Und dort befinden sich jeweils die CTBTO-Mikrofone, gesichert durch Anker am Boden - über Kabel schicken sie ihre Daten an Land, zur Weiterleitung ans Analysezentrum in Wien.
Wenn man auf die grafische Darstellung des Ereignisses vom 15. November schaut, dann fällt bei den Bildern der Station Ascencion auf: Nach dem ersten lauten Knall haben die Mikrofone einige Zeit später noch einen zweiten aufgezeichnet. Dabei, so vermutet Hydroakustiker Zampolli, könnte es sich um Reflexionen der Schallwellen am Meeresgrund, mehrere hundert Kilometer nördlich vom Ort des Ereignisses entfernt handeln.
In Wien rechnen die CTBTO-Experten nun weiter, um womöglich noch präzisere Ortsangaben für die Suchtrupps zu liefern. Was der "San Juan" auf ihrer Fahrt von der Marinenbasis Ushuaia zu ihrem Ziel in Mar del Plata zugestoßen ist, werden sie aus der Ferne sicher nicht im Detail klären können. Wenn aber das U-Boot überhaupt gefunden wird, dann wird das auch den Atomtest-Wächtern zu verdanken sein.