
Chinas Militär: Modernisierung im Eiltempo
Aufrüstung China plant Offensive mit Militärsatelliten
Hamburg - China rüstet auf - und gibt sich keine Mühe mehr, seine ambitionierten Waffenprogramme zu verbergen. Die ersten Testflüge eines Stealth-Kampfjets etwa kamen einer öffentlichen Vorführung gleich, seinen ersten Flugzeugträger macht die Volksbefreiungsarmee mitten im Hafen von Dalian einsatzbereit - vor den Augen der ganzen Welt. In den nächsten Tagen oder Wochen, so glauben Experten, wird das Schiff zu seiner Jungfernfahrt aufbrechen.
Der mehr als 300 Meter lange Koloss hieß "Warjag", als die Chinesen ihn der Ukraine abkauften. Inzwischen soll das Schiff "Shi Lang" heißen - benannt nach jenem chinesischen Admiral, der 1681 Taiwan erobert hat. Offiziell bestätigt ist der Name noch nicht - doch das Detail dürfte nicht nur auf der Insel, die Peking als abtrünnige Provinz betrachtet, für Unruhe sorgen.
Denn was jetzt über die Modernisierung von Chinas Streitkräften bekannt wird, könnte den Konflikt um die Inselrepublik erneut anheizen. Experten des Washingtoner World Security Institute warnen in einem neuen Bericht, dass Peking in Windeseile neue Satelliten entwickelt. Die Himmelsspäher könnten feindliche Einheiten in Echtzeit verfolgen und - das ist der zentrale Punkt - ballistische Raketen ins Ziel lenken, schreiben Eric Hagt und Matthew Durnin in einem Beitrag für das "Journal of Strategic Studies".
Westliche Politiker und Militärexperten gehen davon aus, dass Chinas Rüstungsprogramm vor allem auf sogenannte Anti Access/Area Denial-Fähigkeiten, kurz A2/AD, ausgelegt ist. Dahinter verbirgt sich die Strategie, einem technisch überlegenen Feind mit relativ einfachen Mitteln den Zugang zu strategisch wichtigen Gebieten zu verwehren - etwa indem man an den Küsten Anti-Schiffs-Raketen stationiert und es für Flugzeugträger zu riskant macht, in ein bestimmtes Seegebiet vorzudringen.
Machtbalance im Pazifik könnte sich verschieben
Insbesondere die USA sehen dadurch ihren Machtanspruch im Pazifik bedroht, der in erster Linie mit Flugzeugträgern demonstriert und durchgesetzt wird. Die riesigen, leicht zu ortenden und verwundbaren Schiffe in konfliktbeladene Gebiete wie die Taiwain-Straße zu schicken, könnte durch Chinas neue Waffensysteme schlicht zu gefährlich oder zu kostspielig werden.
Schon Ende 2010 sorgte Peking im Westen für erhebliche Aufregung, als die Entwicklung einer ballistischen Anti-Schiffs-Rakete bekannt wurde. US-Admiral Robert Willard adelte die "Dongfeng-21D", indem er sie öffentlich als nahezu einsatzfähig bezeichnete. Prompt argwöhnten Fachleute, die Waffe könne die gesamte Machtbalance im Pazifikraum verändern. Durch die Größe ihres Sprengkopfs könnte eine einzelne DF-21D, so die Befürchtung, einen Flugzeugträger versenken.
Andere Fachleute hielten die Warnung für übertrieben. Ihr Argument: Eine Rakete allein genügt nicht, solange es an der Zielerfassung mangelt. Glaubt man nun der neuen Studie des World Security Institute, arbeiten die Chinesen mit Hochdruck an der Beseitigung dieser Schwäche. Bisher hätten Satelliten lediglich begrenzt allgemeine strategische Informationen sammeln können, schreiben Hagt und Durnin. Die neuen Himmelspäher aber seien in der Lage, taktische Operationen zu unterstützen - und zwar in Echtzeit.
"Ein bekanntes, unbewegliches Ziel könnten die Chinesen schon heute so gut erfassen wie die Amerikaner", so die Experten. In den kommenden zwei Jahren seien derartig viele Satellitenstarts geplant, dass China stellenweise sogar an den USA vorbeiziehen könnte. Die Möglichkeit zur Ortung und Zielerfassung von amerikanischen Schiffen sei die "drängendste und beunruhigendste Anwendung" der neuen Satelliten, so die Autoren. Sie könnte es ballistischen Anti-Schiffs-Raketen ermöglichen, "amerikanische Flugzeugträgergruppen zu treffen".
Geheimhaltung war gestern
Satelliten sind nicht das einzige Mittel zur Erfassung feindlicher Ziele. Anfang Juli tauchten Fotos einer bisher unbekannten chinesischen Drohne auf. Anhand der Bilder vermuteten US-Analysten, dass das Gerät eine Flughöhe von 20 Kilometern erreichen und per Radar einen Umkreis von fast 500 Kilometern überwachen kann. Damit käme sie ebenfalls als Zielerfassungsgerät für ballistische Anti-Schiffs-Raketen in Frage.
Sascha Lange vom deutschen Drohnen-Hersteller EMT bezweifelt allerdings, dass die Chinesen wirklich so weit sind, wie das World Security Institute in seinem Bericht suggeriert. Viele Annahmen seien optimistisch, und von zahlreichen Fähigkeiten der Chinesen heiße es lediglich, sie würden angestrebt. Zudem komme es nicht nur darauf an, Daten mit Satelliten und Drohnen zu sammeln - sondern vor allem darauf, wie man sie verwerte. "Die Leistung kommt erst am Boden zustande", sagt Lange. "Die Informationen müssen analysiert, aufbereitet und in den Befehlsprozess eingespeist werden." In dieser Hinsicht sieht Lange derzeit noch einen erheblichen Rückstand Chinas auf die USA.
Laut Hagt und Durnin zeigen Chinas Bemühungen, dass es nicht um die ballistische Rakete DF-21D allein geht. Vielmehr entstehe ein "dynamisches System", das auch für andere Langstreckenwaffen nützlich sein könnte, heißt es in dem Report. Dank seiner neuen Fähigkeiten im All "wird China seine militärischen Möglichkeiten erweitern, während es zugleich seine Politik beibehalten kann, keine Militärbasen im Ausland aufzubauen".
Wie beim Stealth-Jet bemühen sich die Chinesen auch bei der Erweiterung ihrer Aufklärungsfähigkeiten nicht um besondere Geheimhaltung. Die neue Drohne etwa rollte auf einem leicht einsehbaren Flugfeld, die Fotos ließ die Regierung ungehindert im Internet kursieren. Das Gleiche gilt für Bilder einer Trainingsanlage am Marine-Forschungsinstitut in Wuhan, wo die Chinesen das Flugdeck der "Shi Lang" komplett an Land nachgebaut haben. Angesichts der sonst rigiden Beschränkungen im chinesischen Netz kommt das fast einer PR-Kampagne gleich.
Initialzündung Taiwan-Krise
Die Initialzündung der chinesischen Satellitenoffensive, so vermuten Hagt und Durnin, war die Taiwan-Krise von 1995/96. Peking veranstaltete Manöver in der Region, die USA schickten daraufhin eine Flugzeugträger-Kampfgruppe in die Taiwan-Straße. Peking habe die US-Schiffe nicht orten und auch sonst nicht auf deren Präsenz reagieren können. Dies habe zu der Einsicht geführt, dass neue Technologien nötig sind, um ein künftiges Eingreifen der Amerikaner in einem möglichen Konflikt um Taiwan zu verhindern.
Die Strategie könnte aufgehen. Kein Geringerer als US-Verteidigungsminister Robert Gates warnte Anfang des Jahres, dass Chinas militärische Fortschritte im All und im Internet den USA den Zugang zum Pazifik erschweren könnten. Die aktuelle wirtschaftliche Schwäche der USA spielt Peking dabei in die Hände: Massive Investitionen in den Ausbau ihrer Streitkräfte kann sich Washington derzeit schlicht nicht leisten.
In den USA ist inzwischen gar eine Debatte um den Sinn der Flugzeugträger entbrannt, die bisher als unantastbar galten. Für einigen Wirbel sorgte etwa ein Beitrag im Magazin des U.S. Naval Institute: Unter der provokanten Überschrift "Twilight of the $UPERfluous Carrier" ("Dämmerung des überflüssigen Superträger") argumentierten ein Pentagon-Stratege und ein Analyst vom US-Marinekorps, dass einige der mehr als 330 Meter langen Superträger künftig durch kleine Träger ersetzt werden könnten. Die seien für die aktuellen und künftigen Regionalkonflikte nicht nur völlig ausreichend - sondern auch billiger.
Die US-Marine bangt inzwischen um ihre Statussymbole. Schon im Mai vergangenen Jahres sah sich Pentagonchef Gates genötigt, den Ängsten entgegenzutreten: "Vielleicht will ich Dinge ändern, aber ich bin nicht verrückt", sagte Gates. "Ich will keinen Flugzeugträger abschaffen." Aber man müsse eben darüber nachdenken, wie man die Schiffe noch einsetzen könne - "in Zeiten, in denen hochpräzise Marschflugkörper und ballistische Raketen einen Träger ausschalten können".