
Digitalisierung in China Sei eine 1 - oder du bist eine 0

Chinas Präsident Xi Jinping
Foto: GREG BAKER/ AFPWenn jemand in China im populären Messenger WeChat Pu den Bären erwähnen will, wird die Nachricht automatisch blockiert . Winnie the Pooh ist ein Spitzname, den Chinesen ihrem Staatschef Xi Jinping gegeben haben. Aber der Partei gefällt dieser eigentlich doch ganz nette Vergleich mit dem Teddy nicht. Dort sind westliche Kinderbücher generell nicht so beliebt. Und der Wunsch der Regierung ist den Betreibern von WeChat Befehl. Sogar Pu-Bilder werden automatisch zensiert.
Vermutlich in keiner Nation der Welt, nicht einmal in den USA, hat man sich der Digitalisierung so ekstatisch und vorbehaltlos in die Arme geworfen wie in China. Digitale Technologie verändert das Land noch schneller als die westliche Welt. China baut unsere iPhones und Thinkpads. Doch gleichzeitig ist mit Xi Jinping jemand an der Macht, der in aller Konsequenz unterscheidet zwischen den Segnungen und Chancen des digitalen Kapitalismus - und dem, was wir im Westen unter Freiheit verstehen.
China digitalisiert sich rasend schnell, aber nach wie vor in mehrfacher Hinsicht abgeschottet. Ein Ergebnis dieser Strategie ist WeChat. Die App ist so etwas wie Facebook, WhatsApp und Paypal zusammen und vereint auch die Funktionalität all dieser Dienste. Mithilfe der Great Firewall und politischem Druck hat China das erreicht, wovon Europa heimlich träumt: Unabhängigkeit von den Big Five, den fünf Tech-Riesen von der amerikanischen Westküste. Die werden entweder ausgesperrt oder auf Linie gebracht.
Billionen Euro mit dem Smartphone bezahlt
WeChat gehört dem riesigen Internetkonzern Tencent. Das zweite Börsenmonster Chinas ist Alibaba, beide sind aktuell jeweils weit über 350 Milliarden Euro wert. Gemeinsam haben sie etwas erreicht, woran Google und Apple im Westen bislang scheitern: Das Smartphone dient als primäres Zahlungsmittel. Schon 2016 wurden in China etwa drei Viertel aller Online-Zahlungsvorgänge mit dem Smartphone abgewickelt. Für 2017 rechnet das Marktforschungsunternehmen iResearch mit einem Volumen von umgerechnet gut 12,5 Billionen Euro für mobile Bezahlvorgänge . Das ist kein Rechen- oder Schreibfehler: Es sind wirklich Billionen. Zum Vergleich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt für 2016 betrug 3,15 Billionen Euro.
Abgewickelt werden diese unfassbar vielen Handyzahlungen fast ausschließlich von Tencent/WeChat und Alibaba und deren Dienst Alipay. Jede Tube Zahnpasta, jede Flasche Schnaps ist jetzt einem Käufer zuzuordnen, einem Ort und einer Uhrzeit.
Kein Personal, aber Räder und jede Menge Daten
In Shanghai gibt es jetzt dazu auch einen mobilen Supermarkt. Es ist nur ein Prototyp, entwickelt von einem schwedischen Start-up in Kooperation mit einer chinesischen Universität. Aber der Wheely's Moby Mart fährt selbständig durch die Stadt und parkt hin und wieder . Wer sich als Kunde registriert hat, kann ihn mit seinem Smartphone finden, die Tür öffnen, Produkte kaufen und bezahlen. Der Laden begrüßt Kunden namentlich, braucht aber weder Personal, noch müssen seine Betreiber Miete zahlen. Im Moment sind sie auf der Suche nach der nächsten Finanzierungsrunde .
Läden ohne Personal gibt es in China noch mehr, wenn auch weniger mobil. Sie heißen F5 Future Store , Bingobox oder Taocafe - Letzteres ist ein Experiment von Alibaba. In allen wird mit WeChat oder Alipay bezahlt. Und in allen hinterlässt jeder Kunde mit jedem noch so kleinen Einkauf eine Datenspur.
Amazon testet in den USA einen vergleichbaren Laden, und auch andere Unternehmen experimentieren mit autonomen Märkten . In China aber sind sie mancherorts schon Alltag.
Als Xi Jinping diese Woche beim Parteikongress in Peking eine Dreieinhalbstunden-Rede hielt, um die nächsten fünf Jahre seiner Regentschaft einzuläuten und Chinas Anspruch als Supermacht zu betonen, sagte er unter anderem, man müsse "in Wissenschaft und Technik zu neuen Ufern aufbrechen", um "ein digitales China und eine smarte Gesellschaft aufzubauen".
Wer zu viel zockt, bekommt Abzüge
Diese "smarte Gesellschaft" sieht so aus: China baut gerade ein System zur biometrischen Gesichtserkennung , dass jeden seiner knapp 1,4 Milliarden Einwohner binnen Sekunden identifizieren können soll. Bis 2020 soll allen Chinesen ein Punktwert zugewiesen werden. Der Social Credit Score ist eine Art staatlich sanktionierte Ebay-Bewertung für Personen und Unternehmen. Er soll "traditionelle Tugenden" und eine "ehrbare Mentalität" fördern (inoffizielle Übersetzung eines in Oxford lehrenden Wissenschaftlers ). Offiziell geht es vor allem um ein funktionierendes Kontrollsystem für Kreditwürdigkeit. Aber das ist erst der Anfang .
"Jemand, der zehn Stunden am Tag Videospiele spielt, würde beispielsweise als untätige Person betrachtet werden, und jemand, der regelmäßig Windeln kauft, vermutlich als Elternteil, der mit höherer Wahrscheinlichkeit über Verantwortungsgefühl verfügt." Das hat ein chinesischer Spitzenmanager namens Li Yingyun schon vor zwei Jahren in einem Interview gesagt . Er sprach nicht über den Social Credit Score, sondern über ein kommerzielles Scoring-System namens Sesame, das Alibaba gehört . Tencent hat mittlerweile auch eines . Beide beziehen folgende Faktoren in ihre Punktwerte ein, die aus dem beobachteten Verhalten abgeleitet werden: "Sicherheit", "Wohlstand", "Soziales", "Fügsamkeit", "Konsum".
Sesame gilt als eines der Vorbilder für das, was Chinas Regierung für alle will. Einen Punktwert, der alle Bürger zu besseren Menschen machen soll, der erwünschtes Verhalten belohnt, der bestraft, wenn man seine Eltern nicht besucht , oder einfach zu lange untätig herumsitzt. Bislang aber bekam weder Alibaba noch Tencent noch eine von sechs anderen Firmen, die beim Bürgerbewerten mitmachen wollten, eine Lizenz der Regierung . Es scheint Streit darüber zu geben, wem die Daten am Ende gehören.
Zur Rede des Staatschefs hatte man sich bei Tencent trotzdem etwas Besonderes ausgedacht: Ein WeChat-Spiel, in der man Xi Jinping auf dem Touchscreen kräftig applaudieren konnte . Die alten Rituale und Ideen sind noch da. Jetzt aber mit digitaler Unterstützung.