
Doch kein Atommüll in Bayern Seehofers Endlager-Coup erweist sich als Bluff
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- • Grün-Rot: Kretschmann nennt Bedingungen für Atomendlager
Hamburg - Jetzt soll es also anbrechen, das atomfreie Zeitalter in Deutschland. Das Bundeskabinett hat den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Doch Tausende Tonnen hochradioaktiver Abfall haben sich angehäuft - wohin damit?
Dass der stark strahlende Müll wie geplant in Niedersachsen verbuddelt wird, erscheint ungewisser denn je. Zwar wird der dortige Salzstock Gorleben erkundet, aber seine Tauglichkeit als Endlager ist ungewiss - und jetzt sollen Alternativen her: Die sogenannte Ethikkommission der Bundesregierung hat eine bundesweite Suche gefordert. Auch zahlreiche Politiker wie zuletzt FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle haben sich für eine Ausweitung der Endlagersuche ausgesprochen.
In der Verantwortung finden sich vor allem die süddeutschen Bundesländer. In Bayern stehen fünf der 17 deutschen Atomkraftwerke (AKW). Nur Baden-Württemberg produziert ähnlich viel hochradioaktiven Atommüll. Doch die Hinterlassenschaften der AKW wollten beide Länder am liebsten nach Norden transferieren. Die Suche nach einem Endlager innerhalb der eigenen Grenzen lehnten sie bislang ab.
Im Mai jedoch hatte der neue Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann von den Grünen, überraschend erklärt, der Endlagersuche im eigenen Land nun doch zustimmen zu wollen. Kurz darauf erklärte sich auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mit einer bundesweiten Endlagersuche einverstanden. Er erntete dafür nun harsche Kritik aus der eigenen Partei.
Wissenschaft contra Politik
Jetzt zeigt sich jedoch, dass Seehofer nur geblufft hat. Seine Ankündigung, einer deutschlandweiten Suche nach einem Atommüllendlager zuzustimmen, schließt Bayern nicht mit ein. Sein Umweltministerium unter Markus Söder (CSU) lehnt eine Endlagersuche in Bayern weiterhin ab, wie es auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE mitteilte: Man wolle sich zwar "einer allgemeinen geologischen Untersuchung nicht entziehen", erklärte das Ministerium. Doch die Auswahl geeigneter Gesteinsformationen für die Endlagerung von radioaktiven Abfällen sei "eine wissenschaftliche und keine politische Entscheidung". Wissenschaftliche Untersuchungen schlössen ein Endlager in Bayern aber aus: "Alle Analysen haben ergeben, dass Bayern aus geologischen Gründen nicht geeignet ist", so das Bayerische Umweltministerium.
Damit stellt sich Bayern gegen die Wissenschaftler der Bundesbehörden, die längst auch in Bayern Gesteine für ein mögliches Atomendlager ausgemacht haben. Umfangreiche Studien der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hatten ergeben, dass beispielsweise an der Grenze zu Baden-Württemberg in der Nähe von Ulm Tonschichten liegen, die in Frage kommen (siehe Karte in der Bilderstrecke). "Eine Endlagersuche kann auch in Bayern erfolgen", betont auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS).
Das Bayerische Umweltministerium widerspricht: Das Tongestein sei ungeeignet, denn es habe "nur eine geringe Mächtigkeit von knapp über hundert Metern". Im Gegensatz dazu seien die norddeutschen Tonschichten bis zu 1500 Meter dick. Zudem beeinträchtigten Grundwasserschichten in der Nähe die Eignung der Region für ein Endlager.
"Aussagen nicht korrekt"
Mit diesen Argumenten wendet Bayern sich schon seit langem gegen die Endlagersuche - und zieht damit den Unmut unabhängiger Wissenschaftler auf sich: Bayern würde "Kernaussagen des BGR-Berichtes nicht korrekt widergeben", erklärt das Bundesamt für Strahlenschutz. Auch Salz- und Granitschichten in Bayern könnten noch nicht von der Endlagersuche ausgeschlossen werden (siehe Karte in der Bilderstrecke). Erst im Rahmen eines ergebnisoffenen und transparenten Auswahlverfahrens müsse geklärt werden, welche Regionen in Frage kämen. "Die Tonschichten in Bayern haben nach bisherigem Kenntnisstand in ihrer Qualität den gleichen Stellenwert wie die ausgewiesenen Tongesteinsformationen in anderen Bundesländern", erklärt die BGR.
Für die Landesregierung in München ist die Endlagerfrage heikel: Eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE nach der bayerischen Position in Sachen Endlagersuche wurde erst nach neun Tagen und auf sechsfache Nachfrage schriftlich beantwortet. Im Laufe dieser Zeit suchte Ministerpräsident Seehofer erstmals sein Heil in der Offensive, indem er sich für eine Endlagersuche in ganz Deutschland starkmachte - ein taktisches Manöver, wie sich nun zeigt. Dabei hatte Bayerns Umweltminister Markus Söder in Interviews immer wieder gefordert: "Bei der Endlagersuche muss es um Geologie gehen, nicht um Ideologie."
Auch Ostdeutschland im Fokus
Experten zeigen kaum Verständnis für die Manöver aus München. "Ein offenes Verfahren auf Grundlage wissenschaftlicher Kriterien" fordert das Bundesamt für Strahlenschutz. Doch auch andere Bundesländer geraten nun in den Fokus, schließlich hat die BGR auch in Ostdeutschland mögliche Endlagerstandorte ausgemacht. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) erklärte jedoch schon, er sehe "keine Notwendigkeit in der Suche nach einer Alternative zu Gorleben". Manche Experten mahnen inzwischen zur Eile, sie fordern Kurzzeit-Endlager, um die gefährlichen Altlasten schneller von der Erdoberfläche zu verbannen.
Doch die Erkundung von Gorleben stockt, sie wurde erst vor einem halben Jahr wieder aufgenommen, nachdem die damalige rot-grüne Bundesregierung die Erkundung des Salzstocks vor elf Jahren ausgesetzt hatte. Seither gab es praktisch keinen Fortschritt bei der Suche nach einem Endlager. Immer mehr Mängel am Salzstock Gorleben wurden offenbar. Gorleben war in den achtziger Jahren offenbar aufgrund unwissenschaftlicher Methoden zum Favoriten erklärt worden. Mit den damaligen Vorgängen in niedersächsischer Landesregierung und Bundesregierung befasst sich derzeit ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.
Die bayerische Regierung könnte sich bei der Endlagerfrage nun in eine ähnlich heikle Lage manövrieren. Widersprüche fallen auf: Einerseits erklärt Bayern, bei der Suche nach Endlagern für das Treibhausgas Kohlendioxid nicht in Frage zu kommen, weil im Freistaat kaum Kohlekraftwerke stünden, die das Treibhausgas produzierten. Den Umkehrschluss, dass dementsprechend die vielen AKW im Land zur Atomendlagersuche verpflichteten, wollte die Bayerische Regierung bislang nicht ziehen - trotz der Zustimmung von Ministerpräsident Seehofer zu einer bundesweiten Endlagersuche.
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Erkundung im Salzstock Gorleben: Seine Tauglichkeit als Endlager ist ungewiss - Alternativen sollen her: Die sogenannte Ethikkommission der Bundesregierung hat eine bundesweite Suche gefordert.
Mögliche Endlager im Ton- oder Salzgestein: Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hat auch in Baden-Württemberg und Bayern geeignete Gebiete identifiziert, die erkundet werden sollten.
Mögliche Endlager in anderen Gesteinen: Auch im Felsgestein hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Baden-Württemberg und Bayern Gebiete identifiziert, die für Atommüllendlager erkundet werden sollten.
Zwischenlager Gorleben: Über dem Salzstock werden Castorbehälter mit Atommüll gelagert. Ob sie aber jemals in den Salzstock verfrachtet werden können, erscheint ungewiss.
Ortsschild Gorleben: Der Widerstand in der kleinen Ortschaft an der Elbe gegen ein Atommüllendlager ist groß. Immer mehr Mängel am Salzstock wurden offenbar. Gorleben war in den achtziger Jahren offenbar aufgrund unwissenschaftlicher Methoden zum Favoriten erklärt worden. Mit den damaligen Vorgängen in niedersächsischer Landesregierung und Bundesregierung befasst sich derzeit ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.
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