Elektroantrieb für Flugzeuge Der Pürierstab lernt fliegen
Die Revolution lässt sich innerhalb einer Sekunde starten: Hauptschalter ein, dann am Drehregler drehen - schon brummt der Elektromotor im Bug des Segelflugzeugs los. Abschalten ist genauso einfach: Regler nach links drehen, bis der Motor stillsteht, Hauptschalter aus, fertig. Eine Bedienung, so einfach wie bei einer Stereoanlage.
Das Segelflugzeug ist ein Discus 2C FES des schwäbischen Herstellers Schempp-Hirth. Es trägt an Bord eine der aktuell interessantesten Entwicklungen in der Luftfahrt. Das sogenannte FES, für "Front Electric Sustainer". Bei Modellflugzeugen kommt das Prinzip schon seit Mitte der Achtzigerjahre zum Einsatz, nun wurde es von Luka Znidarsic, einem Ingenieur aus Slowenien, auch für richtige Segelflugzeuge zur Serienreife gebracht. Neben Schempp-Hirth bieten es auch andere Hersteller in ihren Flugzeugen an.

Discus 2C FES: Die Rumpfspitze ist ein verkleideter Elektromotor
Foto: Archiv SHKWas aussieht wie die Rumpfspitze, ist in Wahrheit der sogenannte Spinner, in dem zwei Rotorblätter beweglich aufgehängt sind. Im Inneren des Spinners sitzt ein sehr kompakter Elektromotor. Wird der angeschaltet, falten sich die Rotorblätter durch Fliehkraft auf. Wird der Motor wieder abgeschaltet, legen sich die Rotorblätter durch den Fahrtwind wieder an den Rumpf und erzeugen kaum Widerstand.
Es ist diese Einfachheit in der Bedienung, die den Elektroantrieb auszeichnet. Und einer der Gründe, warum er plötzlich nicht nur für Autohersteller interessant wird. Sondern auch für die Luftfahrt. Doch während bei Autos Hersteller und Kunden noch mit dem Elektroantrieb fremdeln, ist die Euphorie in der Luftfahrtbranche viel größer.
Auf der diesjährigen Aero Friedrichshafen, einer der großen internationalen Fachmessen für Luftfahrt, waren elektrische Antriebssysteme wie der Front Electric Sustainer das beherrschende Thema. Gleich mehrere Elektroflugzeuge bewiesen ihre Flugfähigkeit. Das sicherlich spektakulärste von ihnen ist die Extra 330 LE: Eine elektrifizierte Version des Kunstflugzeugs schlechthin, der Extra 300. Der 260 Kilowatt Elektromotor im Bug trieb das Flugzeug 2016 zu zwei Rekorden: In nur vier Minuten und 22 Sekunden kletterte der Brachial-Flieger auf eine Höhe von 3000 Metern - das entspricht einer Steigleistung von 11,2 Metern pro Sekunde. Außerdem erreichte er eine Höchstgeschwindigkeit von 337,5 Kilometern pro Stunde im Geradeausflug.
Es geht aber um viel mehr als nur Rekorde. Die Extra 330 LE ist vor allem fliegendes Versuchslabor. "Sie eignet sich hervorragend, um den Elektromotor an seine Grenzen zu bringen", erklärt Frank Anton. Er leitet das "Electric Aircraft Team" bei Siemens und verfolgt im Auftrag des Konzerns eine verwegen anmutende Vision: Bis zum Jahre 2030 will Siemens zusammen mit Airbus einen Hybrid-elektrischen Regionaljet in die Luft bringen, bei dem Kerosin nur noch verwendet wird, um einen Generator anzutreiben. Der soll mit seinem Strom Elektromotoren speisen, die dann Turbinen oder Mantelpropeller antreiben.

Elektroantriebe bei Flugzeugen: Revolution auf Knopfdruck
Das Kalkül: Konventionelle Strahltriebwerke verursachen Lärm und erzeugen einen großen Luftwiderstand. Elektrisch angetriebene Triebwerke hingegen sind viel kompakter und können leiser und effizienter betrieben werden. Allerdings gab es bislang keine Elektromotoren für solche Nutzung. "Die in der Industrie oder bei Automobilen bislang verwendeten Elektromotoren sind wegen ihres Verhältnisses von Gewicht zu Leistung für die Luftfahrt nicht brauchbar", erklärt Anton. Sie sind schlicht zu schwer.
"Wir wollen die Leistungsfähigkeit um den Faktor zehn erhöhen", beschreibt Anton das Ziel des Projektes. Der Motor in der Extra 330 LE liegt aktuell bei Faktor fünf. Dass er in ein Kunstflugzeug installiert wurde, hat zwar die angenehmen Nebenwirkungen des PR-Effekts, aber in Wahrheit andere Gründe. Um möglichst viel Erfahrungen zu sammeln, soll der neue Motor hart rangenommen werden. "Die Extra ist als Kunstflugzeug für extreme Manöver ausgelegt - ein Flieger, bei dem wir uns während unserer Belastungstests keine Sorgen um das Flugzeug selbst machen müssen", so Anton.

Extra 330 LE: Ein Extremflieger als Versuchslabor
Foto: SiemensWährend Verbrennungsmotoren für die Fliegerei über Jahrzehnte angepasst wurden, gibt es bei Elektromotoren kaum Erfahrungswerte: "Heute kann etwa noch nicht abschließend gesagt werden, welche Konfiguration von Wicklungssystemen beim Motor am besten die Brücke zwischen Sicherheit, Verfügbarkeit und Leistung bildet. Die damit verbundenen Fragestellungen zu Isolation, elektromagnetischer Wirkung, thermischem Verhalten und vielem mehr wollen wir erforschen", so Anton.
Das Projekt fungiert aber noch in einem zweiten Sinne als Stresstest: Für den Umgang mit den Zulassungsbehörden. Für die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) und das Luftfahrtbundesamt (LBA) sind Elektromotoren nämlich genauso Neuland wie für die Hersteller selbst. Bei den Zulassungsverfahren für Luftfahrzeuge und deren Teile sind selbst die kleinsten Details übergründlich geregelt. Bei Elektroantrieben gibt es jedoch kaum Regularien, auf die man zurückgreifen kann. "Das sehen unsere Ansprechpartner bei den Behörden allerdings durchaus auch als Chance, die verkrusteten Verfahren aufzubrechen", sagt Anton.
Wie wichtig das ist, kann der slowenische Kleinflugzeughersteller Pipistrel bezeugen. Er hat schon seit Jahren ein elektrisches Schulflugzeug im Repertoire, den Alpha Elektro. Ein durchaus interessantes Konzept: Zwar wird bei den motorisierten Privatfliegern a la Cessna und Co. wegen der noch überschaubaren Reichweite aktueller Akkus der Verbrennungsmotor vorerst alternativlos bleiben. Bei den Schulmaschinen aber bietet sich der Elektromotor als Antriebsquelle durchaus an.
Die Schulung für die Privatpilotenlizenz findet nämlich direkt am Flugplatz oder in unmittelbarer Nähe statt. Starten, landen, starten, landen, alles begleitet vom nur geringfügig gedämpften Geknatter der Kolbenmotoren. Die Bewohner der angrenzenden Ortschaften würden deswegen ihr Votum vermutlich sofort für den Elektromotor abgeben. Zwar fliegen auch Elektroflugzeuge nicht ganz lautlos, der Propeller erzeugt alleine durch die Luftverdrängung Schall - aber deutlich weniger als ein Verbrennungsmotor.
Bei diesem Einsatzzweck spielt auch die geringe Reichweite eine untergeordnete Rolle. Rund eine Stunde Flugzeit plus Reserve verspricht Pipistrel für den Alpha Electro. Der für den Platzrundenbetrieb konzipierte Trainer holt beim Landeanflug im Leerlauf laut Angaben des Herstellers rund 13 Prozent der verbrauchten Energie wieder herein - weil der Propeller dann wie ein Windrad funktioniert. Das Elektroflugzeug rekuperiert in diesem Moment wie ein Elektroauto beim Ausrollen an die rote Ampel. Der Clou aber sind die Akkus: Sie lassen sich entweder binnen weniger Minuten austauschen, oder binnen einer Stunde laden.
Aufgrund der heute geltenden Bestimmungen gibt es aktuell allerdings nur ein Land, in dem der Hersteller seinen elektrischen Trainer legal verkaufen kann: Australien. In den meisten anderen Regionen verhindern die jeweiligen Regularien ein Abheben des Elektrofliegers. In Europa bremst beispielsweise eine sehr strenge Vorgabe für das maximale Abfluggewicht die Entwicklung von sogenannten Ultraleichtflugzeugen mit Elektroantrieb. An Interesse am Markt mangelt es nicht: "Wir haben aktuell rund hundert Vorbestellungen von Kunden, die nur noch auf eine Zulassung warten", sagt Taja Boscarol von Pipistrel. "20 Maschinen haben wir bislang nur verkauft".

Pipistrel Alpha Electro: Das (leise) fliegende Klassenzimmer
Foto: PipistrelDa ist Schempp-Hirth schon weiter. Rund 15 Exemplare darf der Segelflugzeughersteller mit sogenanntem Permit to Fly, sozusagen einer Ausnahmegenehmigung der Aufsichtsbehörde EASA, verkaufen. Dann muss eine amtliche Zulassung, ein Type Certificate, erfolgen. "Wir haben bisher elf Flugzeuge mit FES-Antrieb ausgeliefert," sagt Bernd Weber, Vertriebsmitarbeiter bei Schempp-Hirth. "Aber die Zulassung läuft und wird voraussichtlich im Juli 2017 erfolgen". Schempp-Hirth profitiert hier davon, dass das System auch von anderen Herstellern verwendet wird.
Das FES-System ist zudem ziemlich genau auf einen sehr spezifischen Einsatzzweck zugeschnitten: Mit dem 22 kW-Elektromotor im Bug und zwei 4,2 kWh-Lithium-Polymer-Paketen in einem Schacht hinter den Tragflächen ermöglicht es entweder einen Steigflug bei voller Leistung auf rund 1800 Meter oder einen Reiseflug ohne Höhengewinn von etwa 45 Minuten bei einer Geschwindigkeit von hundert Kilometern pro Stunde. Es ist eine sogenannte Heimkehrhilfe. Ändert sich bei einem sogenannten Überlandflug über mehrere Hundert Kilometer die Wetterlage unerwartet oder flaut aus einem anderen Grund die Thermik ab, müssen Segelflieger unter Umständen "Außenlanden", wie Segelflieger außerplanmäßige Landungen, zum Beispiel auf einem Acker, nennen. Das ist nicht unbedingt gefährlich, aber lästig: Bis die Vereinskameraden mit dem Segelfluganhänger angefahren kommen und das Flugzeug wieder abgerüstet und verstaut ist, kann es manchmal tiefe Nacht sein.
Deswegen gibt es seit den späten Siebzigerjahren Heimkehrhilfen, bislang waren sie überwiegend von Zweitaktmotoren angetrieben. Mit der Antriebstechnologie des alten Jahrhunderts verbunden waren aber auch seine Nachteile. Das stinkende Benzin. Die stinkenden Abgase. Die alles durchrüttelnden Vibrationen. Und die Menge der beweglichen Teile und das teils komplizierte Anlassverfahren der archaischen Triebwerke. Alles potenzielle Fehlerquellen. Im Vergleich dazu ist das FES-Konzept der Antrieb ohne Risiken und Nebenwirkungen.
"Viele Entwicklungen in der Luftfahrt beginnen im Kleinen und kommen dann ins Große", erklärt er. Faserverbundstoffe oder bestimmte Profile fanden über den Segel-, oder Kleinflugzeugbau ihren Weg in die kommerzielle Luftfahrt. "Oder zum Beispiel die Winglets: Die hatten früher nur Hängegleiter und Segelflieger. Heute finden wir sie an jedem Jet".